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UFZ-Newsletter Februar 2014

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ UFZ-Newsletter | Februar 2014 9 Widerspruch müssen Wissenschaftler in den Politikberatungsgremien ausspielen können. Deshalb würde ich vorschlagen, dass Wis- senschaftler die Rolle von Kartografen ein- nehmen, welche Landkarten zeichnen und gangbare Wege zu verschiedenen möglichen Zielen aufzeigen – inklusive der Chancen und Risiken, Kosten und Nutzen. Die Rolle der Politiker wäre dabei die der Navigatoren; sie müssen lernen, solche Landkarten des Wissens gewinnbringend zu lesen und zu nutzen. Die Kartografie von Politikalterna- tiven wird die Politiker fürchterlich ärgern – sie werden schließlich einer Machtressource beraubt. Aber irgendwann wird vielleicht die Einsicht reifen, dass brauchbare Landkarten zu alternativen Wegen für die Navigation weitaus wichtiger sind als Ratgeber, die sich während des Navigierens als Einflüsterer des rechten Pfades betätigen, jedoch selbst oft genug keine Übersichtskarten zur Verfü- gung haben. Wissenschaftler müssen also auch selbst lernen, dass „ihr“ Weg nicht der einzig wahre ist? Ja, in der Tat. Wir müssen lernen, dass sich solche Landkarten verändern können durch neue Einsichten. Unser Wissen ist unvoll- ständig und fehlbar. Wir haben alle unsere Lieblingsideen und Vorurteile. Deshalb müs- sen wir uns in aufwendigen Lernprozessen darüber verständigen, wohin wir wollen und was die vermuteten Hindernisse, Unsicher- heiten, Risiken und Zielkonflikte oder auch Synergien auf dem Weg dorthin sind. ist wissenschaftliche Politikberatung eine neue „Währung“ im ranking von Wissenschaftlern und instituten? Genau ein solches Ranking wurde kürzlich von der FAZ veröffentlicht. Die deutschen Ökonomen wurden darin zunächst nach dem sogenannten H-Index, ein üblicher Indikator für die wissenschaftliche For- schungsleistung, bewertet. Neben diesem Kriterium zählte für das Ranking jedoch auch die Anzahl der Nennungen in Medien- berichten sowie bei Umfragen in Ministerien und unter Parlamentariern. Aus meiner Sicht ist aber der bloße Bekanntheitsgrad auf dieser Ebene noch lange kein Hinweis für gute wissenschaftliche Politikberatung. Viel wichtiger wäre die Messung und Bewertung einer Politikberatung, in welcher Wissen ver- mittelt wird, das im Peer Review-Verfahren geprüft und dann veröffentlicht wurde – also Wissen, das höchsten wissenschaftlichen Qualitätsstandards entspricht und in der wissenschaftlichen Gemeinschaft verankert ist. Die Präsenz in einer Talkshow oder die dieses Ziel kostengünstig erreicht werden kann – mit dem Ergebnis, dass wir hierzu sehr viel Bioenergie benötigen. Damit ist jedoch eine schwierige Güterabwägung ver- bunden. Wir schützen zwar, so das Argument der Kritiker, mit einer massiven Bioenergie- nutzung vielleicht das Klima, gehen damit aber zugleich das Risiko ein, die Biodiversität und die Ernährungssicherheit zu gefährden. Wir müssen also entweder die Risiken und Nebenwirkungen einer klimafreundlichen Energieversorgung in den Griff bekommen oder aber das ursprüngliche 2-Grad-Ziel modifizieren. Ziele und Mittel sind folglich miteinander verwoben. Entscheidend für die wissenschaftliche Politikberatung ist daher, dass verschiedene Ziel-Mittel-Kombinationen und deren praktische Konsequenzen unter- sucht werden. Zielkonflikte sollten dabei klar auf den Tisch gelegt werden. Diese Idee der Politikberatung verlangt jedoch einen ständigen Dialog und Lernprozess zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit. Glauben sie, dass dieser Prozess bereits funktioniert? Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, es besteht ein verhängnisvolles Missverständ- nis, wenn Politiker mit Wissenschaftlern reden. Politiker fragen Sachzwänge nach, weil sie entweder nachträglich (ex post) oder vorab (ex ante) Entscheidungen legitimieren wollen. Zum Beispiel haben manche Politiker das Bedürfnis, die politische Entscheidung zur deutschen Energiewende nachträglich durch wissenschaftliche Gutachten recht- fertigen zu lassen. Oder jemand, der aus industriepolitischen Gründen in Speicher- technologien investieren will, möchte vorab ein Gutachten, das darlegt, dass Speicher- technologien das Thema der Zukunft seien. Wissenschaftler sind oft sehr gerne bereit, solchen Anfragen nachzukommen. Aus dieser verhängnisvollen Allianz resultieren dann die vielen angeblich alternativlosen Politikempfehlungen der Experten. Dem muss man sich als Wissenschaftler jedoch widersetzen – aus ethischen Gründen und aufgrund der Einsicht, dass Wissenschaftler eigentlich gar nicht gut dafür geeignet sind, den nachgefragten politischen Konsens durch angebliche wissenschaftliche Sach- zwänge zu erzeugen. Leider neigen Politiker dazu, die politischen Konsensfindungspro- zesse auf wissenschaftliche Gremien und den vorpolitischen Raum zu verlagern. Aber Mehrheitsbeschaffung und Konsensfindung sind das Geschäft der Politiker. Wissenschaft braucht vielmehr den Widerspruch, die Kritik und den Konflikt für wissenschaftlichen Fort- schritt. Diese Fähigkeit zum konstruktiven Häufigkeit in den Medien ist kein Gütekrite- rium für wissenschaftliche Politikberatung. Das schließt umgekehrt natürlich nicht aus, dass in Talkshows auch gute Politikberater sitzen. einverstanden. aber Nature und science werden ja wohl kaum die lektüre der Politiker sein. Nein, aber die sogenannten wissenschaft- lichen Assessment-Berichte könnten diese Aufgabe erfüllen. Denn diese Berichte sollten nicht nur auf hochqualitativen Veröffentlichungen beruhen, sondern auch selbst fachwissenschaftlich begutachtet werden. Allerdings muss dabei das Haupt- prüfkriterium sein, wie gut es diese Berichte geschafft haben, nützliche und verlässliche Landkarten von alternativen Politikpfaden zu erstellen. Genau hier liegt jedoch das Pro- blem: Hochklassige Wissenschaft, veröffent- licht in hochklassigen Journalen, muss noch lange nicht zu guten Landkarten führen. Im Bild gesprochen: Die Politik möchte für den Bau eines komplexen Domes Rat von der Wissenschaft, diese kippt den Politikern je- doch mit der bestehenden Fachliteratur bloß einen Haufen einzelner Ziegelsteine vor die Füße. Es fehlen damit noch Holz und Mörtel sowie ein guter Plan, um den Dom tatsäch- lich bauen zu können. Leider wird die Arbeit an Assessments bisher von vielen nicht als eine wissenschaftliche Aufgabe angesehen, sondern eher als Feierabendbeschäftigung hoch reputierter Wissenschaftler. Hier brau- chen wir dringend eine Professionalisierung, auch in Bezug auf die Rahmenbedingungen im Wissenschaftssystem; das Zeichnen von Landkarten für die Politik und die Produk- tion des dafür notwendigen wissenschaft- lichen Wissens ist alles andere als trivial. Wo ist aus ihrer sicht Politikberatung gelungen? Ein gelungenes Beispiel ist der Geoenginee- ring-Bericht der Royal Society. Außerdem halte ich – auch wenn es etwas nach Eigen- lob stinkt – den IPCC für ein einzigartiges Beispiel gelungener Politikberatung auf globaler Ebene. Gerade die enorme Kritik, die man ihm hat angedeihen lassen, zeigt, welche Bedeutung letztlich den Wissen- schaftlern beigemessen wurde. In diesen Assessments wird vermehrt der Versuch unternommen, Alternativen zu explorieren – statt politikvorschreibend zu sein. Es muss selbstverständlich noch einiges verbessert werden; der IPCC entwächst gerade den Kinderkrankheiten. Das Interview führte Doris Wolst

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