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UFZ-Newsletter Oktober 2013

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ UFZ-Newsletter | Oktober 2013 7 beigeordneten für Ordnungsrecht. Fünf Stabsgruppen, die von Profis gemanagt werden, koordinieren alles Notwendige – von der Festlegung, wer was am Deich machen darf bis hin zur Versorgung oder evakuierung von Altenheimen, Krankenhäu- sern usw. Außerdem sind im Krisenstab die Verkehrsbetriebe, die Stadtwerke, der Hafen, die Polizei, die bundeswehr, die Presse, eine Hotline sowie technische einsatzleitungen vertreten. Alles in allem zwischen 20 und 30 Leuten. Wir haben uns täglich jeweils 8 und 15 Uhr getroffen. Dazwischen gab es Sonderbesprechungen. Ich selbst war darü- ber hinaus sehr viel in der Stadt unterwegs, habe mit Leuten gesprochen. was war für Sie die schwierigste ent- scheidung, die Sie zu treffen hatten? Das war die Anordnung, die ostelbischen bereiche der Stadt zu evakuieren. Dort be- stand akute Überflutungsgefahr durch einen Deichbruch, und das Tiefbauamt konnte nicht garantieren, dass die alte sanierungs- bedürftige brücke – ein wichtiger Flucht- weg – das Hochwasser übersteht. bei solchen Maßnahmen kann immer Panik aus- brechen. Deshalb sind wir sehr differenziert vorgegangen. In einigen bereichen mussten die Menschen ihre Häuser verlassen, in anderen haben wir nur empfehlungen ausge- sprochen. Diese entscheidung war auch aus heutiger Sicht richtig, denn keiner konnte damals wissen, dass kurze Zeit später die Pegel wieder sinken. Nach dem Hochwasser ist vor dem Hoch- wasser. was muss sich ändern? In Großstädten wie Magdeburg müssen wir gemeinsam mit dem Land vor allem Herr dr. Trümper, Sie mussten entschei- den, wo und wie hoch Sandsäcke zu stapeln waren, wo evakuiert werden musste. Sie hatten kurze Nächte und viele Zweifel, mussten ruhe bewahren, panik vermeiden und durften nie hand- lungsunfähig wirken. Sie wurden viel gelobt – und kritisiert. was würden Sie heute anders machen? Nicht viel, was die grundsätzlichen entschei- dungen betrifft. Denn Sie können erst dann entscheiden, wenn Zahlen vorliegen. Das haben wir getan. Nach bestem Wissen und Gewissen. Die Prognose von 7,20 Meter Wasserpegel hat uns erst einmal geschockt. bereits beim Hochwasser 2002 dachten wir, 6,72 Meter ist die Grenze dessen, was wir ertragen können. Dieses Mal fehlten teilwei- se nur wenige Zentimeter bis zur Deich- kante. Niemand konnte vorhersagen, ob die Deiche dem Druck standhalten. Wir haben also mit der Prognose von 7,20 Metern die markanten Stellen der Stadt vermessen. Und dann kamen 7,46 Meter auf uns zu … Heute würde ich mit Prognosen vorsichtiger umgehen. Aber hätten wir einfach von uns aus 10, 20 oder 30 Zentimeter auf die 7,20 Meter drauf legen sollen? Dann hätten wir auf Verdacht viel mehr baumaßnahmen einleiten, viel mehr Sandsäcke stapeln, viel mehr Arbeitskräfte und Material binden und Menschen eher evakuieren müssen. Wir hätten möglicherweise sinnlos Hektik aus- gelöst. Wir konnten also nur von den 7,20 Metern ausgehen. Sie sprechen von „wir“ und meinen damit den Krisenstab. wie hat der funk- tioniert? Geleitet wird der Krisenstab von meinem technische Schutzmaßnahmen planen und umsetzen. Dazu gehören feste oder flexible Schutzmauern überall dort, wo wir mit hohem Aufwand Sandsäcke aufgetürmt haben und wieder wegräumen mussten. Das allein hat etwa 12 Millionen euro gekostet. Fest installierte oder mobile befüllungsan- lagen für Sandsäcke könnten helfen, beim nächsten Hochwasser viel Zeit und Kraft zu sparen. Das hat auch Nachteile, denn solche Anlagen – auch mobile Schutzwän- de – müssen gelagert und gewartet und das Personal muss regelmäßig geschult werden, damit im Hochwasserfall auch alles klappt. Die Alte elbe müsste dringend ausgebaggert werden. Sie ist völlig versandet und besitzt deshalb ein hohes rückstaupotenzial. Leider auch ein hohes Konfliktpotenzial, denn im Stadtrat wurde vor Jahren, als keiner an Hochwasser dachte, beschlossen, die Alte elbe und den Umflutkanal ganz im Sinne der FFH-richtlinie sich selbst zu überlassen. Dort sind inzwischen Ökosysteme entstan- den, die sicher schützens- und erhaltens- wert sind, aber keine Wassermassen mehr aufnehmen können. Das müssen wir neu diskutieren. Über Magdeburg hinaus sind sowohl Deichsanierungen als auch Deich- rückverlegungen notwendig. Aber bitte mit länderübergreifenden Konzepten und mit bedacht. Auch Deichrückverlegungen kos- ten viel Geld und Zeit. Deshalb muss vorher klar sein, wo das überhaupt Sinn macht. Und wir brauchen künftig viel genauere Da- ten, um im Hochwasserfall vor Ort schneller und besser entscheiden zu können. Diese bereitzustellen ist sicher kompliziert und ohne wissenschaftliche expertise nicht machbar. Schließlich ist jedes Hochwasser anders. Das Interview führte Doris Böhme Dr. Lutz Trümper lebt seit 1978 in Magdeburg. Er studierte Lehramt Biologie und chemie, promovierte im Fachgebiet Physikalische chemie und arbeitete bis 1992 als wissenschaftler an der Otto-von- guericke-Universität Magdeburg. Seine politische Karriere begann 1994 im Stadtrat der Landeshauptstadt, seit 2001 ist der SPD- Politiker Oberbürgermeister. Im Juni 2013 war er zum zweiten Mal als Krisenmanager dafür verantwortlich, Magdeburg mit seinen 230.000 Einwohnern und 60 km Elbufer vor einem Jahrhunderthochwasser zu schützen. (Foto: Peter Förster) „wIr brAUCHeN KüNFTIg vIeL geNAUere dATeN“

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