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UFZ-Newsletter Oktober 2013

4 UFZ-Newsletter | Oktober 2013 Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ werke aber nicht“, resümiert der Sozialge- ograph. Und tatsächlich konnte der tech- nische Hochwasserschutz im vergangenen Sommer durchaus erfolge verzeichnen. So waren die Fluten 2002 noch über die Stadt eilenburg hereingebrochen, die etwa 20 Kilometer von Leipzig entfernt an der Mulde liegt. Damals richteten die Über- schwemmungen allein im Stadtzentrum rund 135 Millionen euro Schaden an. bis zum Jahr 2008 aber bekam eilenburg für 35 Millionen euro neue Deiche und Mauern. Die Stadt galt damit als weitgehend hoch- wassersicher – und blieb 2013 tatsächlich verschont. es fehlten allerdings nur zwei Zentimeter, bis auch die neuen bollwerke überspült worden wären. Meißen dagegen hatte weniger Glück und wurde trotz seines nagelneuen Schutzsystems geflutet. „Das zeigt sehr deutlich, dass auch der ausge- feilteste technische Hochwasserschutz kei- ne völlige Sicherheit bietet“, sagt Christian Kuhlicke. raus aus dem Korsett Das aber hat seiner erfahrung nach längst noch nicht jeder eingesehen. Schon sind mancherorts heftige Diskussionen darüber entbrannt, wer die Verwüstungen der aktu- ellen Jahrhundertflut zu verantworten hat: Naturschützer? bürgerinitiativen? Langwie- rige Genehmigungsverfahren? „Das alles aber ist nicht das Problem“, meint Christian Kuhlicke. Vielmehr habe man nach 2002 zu einseitig auf technische Maßnahmen gesetzt. Andere wichtige Säulen einer effektiven Hoch- wasservorsorge seien dagegen vernach- lässigt worden. So unterstützen die UFZ- Forscher ausdrücklich die Forderung vieler Naturschützer, den Flüssen mehr raum zu geben. Wenn sich die Fluten erst einmal auf unbewohnten Auenflächen verteilen können, statt zwischen Dämmen eingezwängt fluss- abwärts zu schießen, verliert die Hochwas- serwelle schließlich an Wucht und kommt nicht so schnell im nächsten Ort an. Wer also den Deich ein Stück vom Fluss weg ver- legt, gewinnt wertvolle Überflutungsflächen. Die Auen als Verbündete für den Hoch- wasserschutz einzuspannen, ist allerdings gar nicht so einfach. Denn nach einer Stu- die des bundesamtes für Naturschutz sind bundesweit zwei Drittel der ursprünglichen Überschwemmungsflächen verloren gegan- gen – trockengelegt, um Landwirtschaft zu betreiben oder Siedlungen, Industriegebiete und Verkehrswege zu errichten. Und auch Naturschützern ist klar, dass man viele die- ser Gebiete nicht einfach wieder den Flüs- sen überlassen kann. einige aber schon. Allein in Sachsen-Anhalt plant der Landes- betrieb für Hochwasserschutz und Wasser- wirtschaft 17 Deichverlegungen an der elbe, der Unteren Mulde, der Schwarzen elster und der Havel. Das soll etwa 2600 Hek- tar Überflutungsflächen schaffen. Ähnliche Vorhaben laufen auch in anderen bundes- ländern. einige dieser Projekte haben sogar schon den Sprung vom Papier in die Praxis geschafft. So hat die elbe in Sachsen-An- halt, brandenburg und Niedersachsen in den letzten Jahren rund 700 Hektar Fläche zurückgewonnen. Ihre ersten bewährungsproben haben die- se natürlichen Wasserspeicher auch schon bestanden. eine Deichverlegung bei Lenzen in brandenburg hat der elbe im Jahr 2009 rund 420 Hektar mehr Platz beschert. Dort kann der Fluss bis zu 16 Millionen Kubik- meter Wasser zwischenlagern. Das aber hat dazu geführt, dass der elbe-Pegel im nie- dersächsischen Schnackenburg bei einem Hochwasser im Jahr 2011 mehr als 20 Zen- timeter niedriger lag als bei einem ähn- lichen ereignis im Jahr 2006. Und bei der Jahrhundertflut 2013 hat die Lenzener Aue nach Angaben des Karlsruher Instituts für Technologie ihr Potenzial voll ausgeschöpft. Das Umland blieb von Überflutungen ver- schont. Aus für den Flussblick? „Wie wichtig solche Projekte sind, war nach 2002 allerdings noch längst nicht in allen Köpfen angekommen“, sagt Christian Kuh- licke. Und auch sonst haben er und seine Kollegen damals wenig Hinweise für ein grundsätzliches Umdenken gefunden. So war schon damals immer wieder die rede davon, dass die bautätigkeit in Über- schwemmungsgebieten erschwert werden sollte. Passiert ist in dieser richtung aber wenig. Die wirtschaftliche Weiterentwick- lung der Kommunen schien wichtiger zu sein. Nach den jüngsten ereignissen aber hören die UFZ-Forscher bei ihren befragungen zu- nehmend nachdenklichere Töne. So man- cher bürgermeister sieht die Fluten inzwi- schen nicht mehr als einmalige Katastrophe, sondern als grundsätzlicheres Problem. Sogar die Frage, ob man Menschen aus be- sonders gefährdeten Gebieten umsiedeln sollte, ist kein Tabu mehr. Grundsätzlich hält Christian Kuhlicke das für einen durchaus sinnvollen Ansatz. Zwangsumsiedlungen wie in den braunkohletagebau-Gebieten lehnt er zwar ab. Doch warum keine Anreize für ei- nen Umzug schaffen? So mancher Hochwas- sergeschädigte würde künftig vermutlich gern auf den gefährlichen Flussblick verzich- Das 100-Seelen-Dorf Erlln, eine knappe Autostunde südöstlich von Leipzig, liegt in einer Flussschleife der Mulde. Am 4. Juni 2013 erscheint es als Insel im Mulde- Meer. während des Hochwassers 2002 wurde es komplett überflutet. 2013 be- wahrten technische Schutzmaßnahmen im wert von 2,7 Mio. Euro die Bewohner vor einer neuen Flut. (Foto: André Künzelmann, UFZ) Alter Deich

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