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UFZ-Newsletter Oktober 2016

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ UFZ-Newsletter | Oktober 2016 9 Michael Braungart Prof. Dr. Michael Braungart, Jahrgang 1958, ist ein deutscher Chemiker, Verfahrenstechniker und Au- tor. Zusammen mit dem US-amerikanischen Architekten William McDonough entwickelte Braungart das Cradle-to-Cradle-Konzept (C2C / Von der Wiege zur Wiege), das auf Ökoeffektivität, geschlossene Stoff- und Materialkreisläufe und eine unbegrenzte Wiederverwertbarkeit von Produkten abzielt. Braungart ist Professor an der Erasmus-Universität Rotterdam, Geschäftsführer der Environmental Protection Encouragement Agency Internationale Umweltforschung GmbH in Hamburg (EPEA) und wissenschaftlicher Leiter des Hamburger Umweltinstituts. Sein bekanntestes Buch „Cradle to Cradle. Einfach intelligent produzieren.“ erschien 2005. Braungart ist mit der SPD-Politikerin Monika Griefahn verheiratet und hat drei Kinder. Die Helmholtz Environmental Lecture (HEL) ist eine öffentliche Veranstaltungsreihe des UFZ, in der seit 2009 herausragende Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu wichtigen ökologischen, sozio-ökonomischen und sozialen Fragen Stellung beziehen und sie dann mit dem Ple- num – durchaus auch kontrovers – diskutieren. Dafür stehen auch die bisherigen Gastredner: Klaus Töpfer, Hans Joachim Schellnhuber, Achim Steiner, Jochen Flasbarth, Angelika Zahrnt, Frank Schirr- macher, Ernst Ulrich von Weizsäcker, Ottmar Edenhofer, Stephan Kohler, Thilo Bode, Matthias Horx, Michael Braungart. länger, aber der Staub liegt auf der Straße und wird eingeatmet. Oder Bremsbeläge – da steht drauf: Diese sind frei von Asbest. Ja toll, aber wir ersetzen es durch Antimon- sulfid, das ist viel stärker krebserregend. Stoffe müssen so gemacht werden, dass sie in biologische Systeme zurückkehren und dort nützlich sind. Darum ist eine Kultur der Großzügigkeit, der Verschwendung im positiven Sinne gefragt. Ein Kirschbaum im Frühling, der vermeidet oder reduziert auch nicht, aber alle Materialien des Baumes sind nützlich. Und so können wir es in der Technosphäre auch machen. Kupfer in biolo- gischen Systemen ist giftig, in technischen Systemen kann es ohne Ende eingesetzt werden. Sie sagen: Ökoeffektivität statt Öko­ effizienz. Was meinen Sie damit? Schauen sie sich Blumen an. 50 Rosen für eine Frau sind völlig ineffizient, aber sehr effektiv. Die Natur ist nicht effizient, sie ist effektiv. Ist Verzicht für Sie per se etwas Schlechtes? Nein, es gibt durchaus Kulturen, wo Ver- zicht dazugehört. Zum Beispiel 40 Tage zu fasten kann nicht schaden. Aber das ist etwas Freiwilliges. Im Moment wird den Leuten immer mehr vorgeschrieben. Wir haben einen Planeten, der jede Menge Energieüberschuss hat – und das können wir durch viel intelligentere Materialien nutzen. Die Grenze unseres Planeten ist unsere Intelligenz. Sehen Sie sich als Visionär oder sind sie schon weiter? Ich bin zuerst einmal nicht Visionär, son- weniger Stoffe ab als die anderen. Und vor allem keine Schadstoffe. Die Zukunft sollte so aussehen: Der Fernseher ist nur eine Dienstleistung, man kauft nur die Nutzung des Geräts zum Beispiel für 8000 Stunden Betrieb. Dann kann man ihn über die Strom- einsparung finanzieren, weil er so viel Strom einspart, dass man den Fernseher praktisch gegen eine Schutzgebühr nutzen kann. Sie kritisieren auch die moralische Intention von heutigem Umweltschutz. Warum? Mir geht es nur um Qualität und Innovati- on. Ein Produkt, das Abfall verursacht, ist einfach nur schlechte Qualität. Wir müssen aufpassen, dass wir auf halbem Wege nicht stehenbleiben. Eine normale Broschüre ent- hält etwa 50 giftige Stoffe, die eine Kompos- tierung des Papiers nicht möglich machen, da wir den Kompost ja in der Landwirtschaft nutzen wollen. Wenn sie verbrannt wird, kann die Asche nicht in die Landwirtschaft. Vor 30 Jahren waren zum Beispiel in einem solchen Newsletter etwa 90 giftige Stoffe, heute sind es 50. Wo ist der Unterschied, ob ich 50- oder 90-mal erschossen werde? Und ihre Lösung ist? Ich lege alle Zutaten fest, so dass man die Produkte auch essen, kompostieren oder verbrennen könnte. Wenn ich die Digitalisierung mit der Umwelt zusammenführe und mit Dienstleistungskon- zepten verbinde, dann wird ein Schuh draus. Ein Beispiel: Automobilhersteller haben mir stolz erzählt, dass sie Roboter gekauft haben für ihre Fabrik der Zukunft. Wenn sie die Roboter kaufen, haben sie die am Hals. Dabei wollen sie die doch nur nutzen. Im Westen haben wir immer das Eigentum zur Religion erklärt. Wenn ich einen Roboter be- sitze, dann zahle ich die Wartung, den Ser- vice. Wenn ich aber 100 Millionen Schweiß- punkte kaufe, dann kriege ich genau diese Schweißpunkte zum günstigsten Preis. Ihre Vorstellungen vom Cradle-to-Cradle gipfeln in der These: „Verschwendet, aber richtig“. Vielen ist dieses Konzept geschlossener Stoffkreisläufe viel zu vi- sionär und reine Science Fiction. Warum ist es das in ihren Augen gerade nicht? Ich will auch nicht, dass ein Tisch die nächs- ten 5000 Jahre als Tisch verwendet wird. Das ist heute ein Tisch, morgen ein Autoteil, übermorgen ein Fenster. Das ist kein Kreis- lauf, sondern eine Technosphäre – also für Dienstleistungen. Die Biosphäre besteht für all das, was verschleißt. Vor 30 Jahren wa- ren Reifen schneller kaputt, heute halten sie dern Verfahrenstechniker und Chemiker. Ich zeige ja mit dem EPEA und seinen vielen Filialen weltweit schon, was geht. Dort entwickeln wir mit vielen Leuten viele Lösungen. Da sind schöne Dinge entstanden. Wir haben jetzt perfekt kompostierbares Papier und kompostierbares Leder. Es gibt inzwischen über 6.500 C2C-Produkte. Auch Staubsauger, Kaffeemaschinen und Fernseher. Vor allem die Leute in Asien verstehen, worum es geht. So arbeite ich mit Samsung zusammen. Aber ich möchte natürlich auch, dass andere Hausgeräte- hersteller wie Bosch und Siemens eine Zukunft haben. Wir können nicht nur das Museum für Indien und China werden. Wir haben eine Eiskremverpackung entwickelt, die sich bei Raumtemperaturen verflüssigt. Damit bin ich zu Unilever gegangen. Und die sagten: Bei uns nicht, wir haben jetzt 30 Jahre gebraucht, die Verpackung weniger schädlich zu machen. Ich sage: Weniger ist auch noch schädlich. Im eigenen Land gilt der Prophet wenig? In Deutschland steht uns die Romanti- sierung der Natur im Wege. Als Mutter Natur. Sie ist nicht Mutter Natur. Die am stärksten krebserregenden und giftigen Stoffe sind Naturstoffe. Die Natur braucht sie zur Anpassung des Genpools. Aber die Natur macht keine Chemikalien, die sich in Muttermilch anreichern. Ich nehme seit 28 Jahren Muttermilchproben, da gibt es keine einzige, die man als Trinkmilch verkaufen könnte. Manche Stoffe werden um das Hundertfache des Erlaubten überschritten. Die Natur ist unsere Lehrerin, nicht unsere Mutter! Das Interview führte Steffen Reichert Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ UFZ-Newsletter | Oktober 20169

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