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UFZ-Newsletter Dezember 2014

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ UFz-Newsletter | Dezember 2014 7 Der soziologe Prof. Dr. Matthias groß leitet am UFZ das Department stadt- und Umweltsoziologie. In gemeinsamer Berufung mit der Friedrich-schiller- Universität Jena ist er Professor für Umweltsoziologie. Zu seinen For- schungsschwerpunkten zählen soziolo- gische Analysen zur Energiewende, das Verhältnis von kalkulierbarem Risiko zu Nichtwissen sowie Technikentwicklung im Anwendungskontext. e-mail: matthias.gross@ufz.de Warum werden neue Stromtrassen, geothermische Bohrungen, spiegelnde Photovoltaikflächen oder in den Himmel ragen- de Windräder nicht einfach als das betrachtet, was sie sind: äußere Begleiterscheinungen eines Jahrhundertprojekts, das die Mehrheit befürwortet? Repräsentative Umfragen zeigen zumindest, dass weitgehend Übereinstimmung darüber herrscht, dass anstelle fossiler Energiequellen mittelfristig erneuerbare Energieträger etabliert werden sollen. Bei der Art der Umset- zung scheiden sich jedoch die Geister. Denn selbstverständlich soll der Lebensstandard auch ohne Kohle, Öl und Gas oder auch ohne Atomkraft – wenn schon nicht steigen – dann doch zumin- dest gehalten werden. Aber wer will schon Windräder, Wasser- kraftanlagen oder neue Stromtrassen vor der eigenen Haustür? Dieser Widerspruch ist nichts Außergewöhnliches, denn viele Deutsche fliegen auch mindestens einmal pro Jahr in den Urlaub, in Flughafennähe wohnen möchten sie aber normalerweise nicht. Im Fall der Energiewende kommen jedoch weitere Aspek- te hinzu, die nicht mit dem sogenannten „Not in my Backyard“- Phänomen zu erklären sind. Dazu gehört, dass die Energie- wende zunehmend als „von oben“ bestimmt wahrgenommen wird und auch, dass es für viele Menschen problematisch ist, aufgrund der Vielzahl widersprüchlicher Expertenmeinungen Vertrauen aufzubauen. Außerdem stehen die Erschließung und Nutzung erneuerba- rer Energien vielen Aktivitäten zum Umweltschutz konträr gegenüber: Die Energiewende wird in vielerlei Hinsicht deshalb befürwortet, weil man als endlich erachtete Naturressourcen, Landschaften oder das Klima schützen möchte. Dass eine erfolgreiche Energiewende grundlegende Eingriffe in Böden, Heimat und Landschaft erfordert, widerspricht einem bei vielen Menschen tief verankerten Ökologiebild von Unberührtheit und Harmonie. Soziologisch ist dies der klassische Fall eines „paradoxen Effekts“. Die Natur, die durch den Wechsel auf erneu- erbare Energieträger vor weiterer Ausbeutung und Zerstörung geschützt werden soll, wird nun durch eben diese Rettungsakti- on erst grundlegend verändert. Das schafft Unbehagen. Bis vor einigen Jahren ging man in der soziologischen Forschung davon aus, dass man es hier lediglich mit einen „Public Percep- tion Time Lag“ oder einer kulturellen Phasenverschiebung der öffentlichen Meinung hinter den Erkenntnissen der Wissen- schaft zu tun hat. Mittlerweile gibt es jedoch in der soziologi- schen Literatur zunehmend Hinweise darauf, dass – fast einer anthropologischen Konstante gleich – Natur, Ökologie und Na- türlichkeit in der Öffentlichkeit und im Alltag grundsätzlich mit Gleichgewicht oder Harmonie in Verbindung gebracht werden – egal ob Chaostheorie oder Ungleichgewichtsökologie anderes behaupten mögen. Man befindet sich damit in einem kulturell stark auf Prävention und Bewahrung gerichteten Naturverständ- nis, das tendenziell nichts Neues schaffen, sondern Bestehendes schützen will. Dieser Widerspruch spiegelt sich ebenso in öffent- lichen Debatten wider. Zaghafte, wenn auch populäre Konzepte wie das der Resilienz weisen im Grunde (und oft trotz anderslau- tender Rhetorik) auf einen früheren Idealzustand und streben den Erhalt oder das Zurückfedern in den Status quo ante an. Für das Jahrhundertprojekt Energiewende, das einen langen Atem für grundlegende Umstrukturierungen braucht, die naturgemäß mit Unsicherheiten behaftet sind, taugt dies wenig. Ein wichtiger Aspekt, der in der Bevölkerung die Unterstützung der Energiewende hochhält, ist die Hoffnung auf Energieunab- hängigkeit. Das schließt sowohl die nationale (z. B. von unsiche- ren Energieimporten) als auch die individuelle oder haushalts- basierte Unabhängigkeit (z. B. durch flache Geothermie) ein. Dieser Punkt, der bis dato in der Forschung noch relativ wenig untersucht wurde, könnte für die langfristige Unterstützung der Energiewende durch die Bevölkerung entscheidend sein. Denn die sozialwissenschaftliche Risikoforschung zeigt seit langem, dass Risiken deutlich weniger kritisch betrachtet werden, wenn mit ihnen ein möglicher Unabhängigkeits- und Freiheitszuwachs verbunden wird (das sogenannte „Edgework“) und wenn sie freiwillig eingegangen werden. Für das Experiment Energiewen- de könnten die Hoffnung auf Energieunabhängigkeit und die Bedeutung der individuellen Einflussnahme auf die Energie- versorgung damit zentrale Gesichtspunkte zur Stärkung der öffentlichen Akzeptanz darstellen. Foto:SusanWalter,UFz RENEwABLE ENERgIEs ein besonderer Fokus des Buchs liegt auf der wachsenden Be- deutung von zivilgesellschaftlichen Akteuren bei der etablie- rung von dezentralen energieversorgungsstrukturen sowie dem Umgang mit unvermeidbaren Risiken und häufigen Vorbehalten der Öffentlichkeit gegenüber neuen Technologien. Von Matthias Groß und Rüdiger Mautz; 176 Seiten, Routledge – 2014, Englisch, ISBN-10: 0415858615, ISBN-13: 978-0415858618 STANDpUNkT: eNerGieWeNDe jA, NATUr VeräNDerN NeiN? Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ UFz-Newsletter | Dezember 20147

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