UMWELTPERSPEK TIVEN Der UFZ Newsletter | Mai 2019 I N T E R V I E W es allen Familien leichter zu machen, damit alle Lust und die Chance bekommen, das auszuprobieren. Wenn wir für alle einen solidarischen Lebensstil wollen, brauchen wir mehr Verhaltensmöglichkeiten. Und das geht nur durch mutige politische Entscheidungen. Mehr als die Hälfte der Deutschen sagen, sie würden gern auf das Auto verzichten, wenn sie alternative Möglichkeiten im ÖPNV hätten; wenn sie das Fahrrad nutzen könnten und zwar nicht nur in ständiger Konkurrenz zum Auto. Also müsste es den ent sprechenden Umbau für nachhaltige Mobilität geben. Populismus leugnet Tatsachen und wissen- schaftliche Erkenntnisse gerade im Bereich der Umweltpolitik. Haben Sie nicht Angst, dass zu viele Menschen in ein „Nach mir die Sintflut“ verfallen? Als Psychologin weiß ich um den Aspekt der Demoralisie rung und Leugnung. Man kann Menschen demoralisieren, die eine hohe Motivation haben, aber Dinge nicht umsetzen können. Da ist dann Leugnung ein psychologischer Aus weg, der aber gesellschaftlich fatal ist. Ich bin mir aber gar nicht so sicher, ob das Problem in Deutschland so groß ist. 2017 war das Leugnen des Klimawandels ein großes Thema unter Wissenschaftlern bei der UNKlimakonferenz in Bonn. Man muss aber auch sagen, dass die Bühne, die den Klimazweiflern damals in den Medien gegeben wurde, deren Bedeutung stark überhöhte. Wenn bei einer Diskus sion vier Leute sitzen und einer von denen ein Leugner ist, wirkt das so, als sei das eine gängige wissenschaftliche Position. Das ist sie aber nicht. Da sehe ich die Medien in einer problematischen Situation: Widersprüche beleben den Stoff, den sie präsentieren. Aber sie vermitteln dann ein ganz falsches Bild. Man will ausgewogen sein. Aber ist man ausgewogen, wenn man bei einem Konsens von 97 Prozent der Wissenschaftler über den menschengemachten Klimawandel einen Zweifler dann mit auf die Bühne holt? Aber das ändert sich mittlerweile, das ist heute viel weni- ger problematisch als noch 2017. Wie muss die Wissenschaft auf Klimaleugner reagieren? Erkenntnisse gut kommunizieren, sich auch nicht scheuen, Interviews zu führen, Vorträge halten – ich kenne Kollegen, die haben darauf nicht viel Lust. Es ist ja nicht immer einfach, komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge zu vereinfachen. Aber auch das ändert sich. Und es gibt mittlerweile sehr gute Plattformen, die sich an interessierte Bürgerinnen und Bürger wenden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen raus aus ihrem Elfenbein- turm, sie müssen über ihre Themen sprechen. Sie müssen gegebenenfalls vereinfachen und sich dann auch der Kritik ihrer eigenen Community stellen. Noch nie wurde Wissenschaft so viel und so offensiv in der Öffentlichkeit kommuniziert wie heute, etwa über Lange Nächte der Wissenschaft, Tage der offenen Tür, Science Slams, popu- lärwissenschaftliche Filme in Kino und TV oder Blogs. Mit scheinbar übersichtlichem Erfolg. Was müssen wir anders machen? Ich glaube, das ist ein steiniger Weg, auf dem wir uns befinden. Wir als Gesellschaft müssen darüber nachdenken, wie wir Vertrauen in wissenschaftliche Institutionen bei dieser Explosion von Medienvielfalt bewahren oder wieder klug herstellen können. Wissen- schaft hat eine Verpflichtung auf Nachvollziehbarkeit und Konsens in Diskursen. Sie muss aber auch Wahr- scheinlichkeiten benennen und Methoden erklären. Sie sollte also auf Bürgerinnen und Bürger treffen, die diese Komplexität einschätzen und bewältigen können. Bildung ist also ein Schlüsselthema. DA S I N T E R V I E W F Ü H R T E S T E F F E N R E I C H E R T. Die Helmholtz Environmental Lecture (HEL) ist eine öffentliche Veranstaltungsreihe des UFZ, in der seit 2009 herausragende Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu wichtigen ökologischen, sozio-ökonomischen und sozialen Fragen Stellung beziehen und sie dann mit dem Plenum – durchaus auch kontrovers – diskutieren. Bisherige Gastredner: Klaus Töpfer, Hans Joachim Schellnhuber, Achim Steiner, Jochen Flasbarth, Angelika Zahrnt, Frank Schirrmacher †, Ernst Ulrich von Weizsäcker, Ottmar Edenhofer, Stephan Kohler, Thilo Bode, Matthias Horx, Michael Braungart, Hartmut Rosa, Stefan Juraschek und Claudia Kemfert. 21