I N T E R V I E W Wie bekommt man ins Bewusstsein der Men- schen, dass die Kosten jetziger ökologischer Transformationen zwar enorm hoch, aber die Folgekosten beim Nichtstun oder Zu-Wenig- Tun um ein Vielfaches höher sein werden? Ich glaube, dass diese Aufklärung darüber nicht ohne die Ökonom:innen geht. Sie müssen uns helfen, diese Trans- parenz über Diskontraten, temporäre Verschuldung für die Investments in zukünftig günstigere Energieversorgung zu trennen, die sozialen Kosten des Klimawandels usw. herzustellen. Und warum vieles, was von öffentlicher Hand gefördert wird und entsteht in der künftigen Infrastruktur ja auch als Gemeinschaftsvermögen aufgefasst werden kann und muss. Die erneuerbaren Energien zeigen es am deutlichsten, die Brennstoffpreise entfallen und auch die Verschmutzung wird runter gehen. Das heißt, die Betriebs- kosten von den neuen Energiesystemen werden dann auch nach unten laufen. Wie groß sind Ihre Befürchtungen, dass sich nennenswerte Teile der Gesellschaft weiter aus der Realität verabschieden – so wie in den USA recht drastisch zu erleben und punktuell auch in Deutschland? Die Sozialwissenschaften haben ja herausgearbeitet, dass es nicht eine Realitätsverweigerung, sondern eine eigene Realität ist. Mit eigenen Erzählungen, mit eige- nen Gruppen, mit eigenen Referenzquellen. Und deshalb glaub ich auch, dass sich mit dem Vorwurf der Realitäts- verweigerung eher die Abwehrmechanismen noch mal hochschrauben. Deshalb gilt es nachzufragen, welche ist denn die Information, auf der eigene Realitäten aufbau- en? Oder: Haben Sie auch mal anders auf das Problem draufgeschaut? Hier wird aber der oder die Absender:in relevant sein und wie sich wer umgekehrt gesehen fühlt. Das dokumentieren auch Fokus-Gruppen-Interviews. Die zeigen, dass einige Menschen das Gefühl haben, die Politik interessiert sich gar nicht mehr für ihre wirklichen Belange. Die sind wütend, und suchen dann Geschichten, die es ihnen einfach machen, Sündenböcke zu finden. Und wir dürfen die Kombination zwischen Vergütung und sozi- aler Anerkennung nicht außer Acht lassen. Es gibt system- relevante Jobs, die nicht nur unterdurchschnittlich bezahlt werden, sondern die auch noch eine schlechtere Reputati- on haben. Und diese Kombination ist natürlich toxisch, sie führt dann auch schnell zu Ohnmachtsempfinden. 18 Ist Klimaschutz Schuldenmachen oder Investition in die Zukunft? Wenn man rein ökonomisch draufschaut, ist es eine Kos- ten-Nutzen-Relation, die sich absolut rechnet. Wenn aber in Zukunft Inseln oder Landstriche wegen des mensch- lichen Handelns verschwinden werden, ist auch mal irgendwann die Frage angebracht, ob hier eine positive Kosten-Nutzen-Rechnung der Maßstab ist. Da spielen dann ganz andere Werte und Menschenrechte mit hinein. Inwieweit ist der CO2-Preis für Sie die wich- tigste und letztlich ausschlaggebende Kate- gorie für das Initiieren von Veränderungen? Makroökonomisch betrachtet ist das ein total wichtiges Instrument, aber wenn man sich alle Klimapfad-Berech- nungen anschaut, ist es überhaupt nicht ausreichend. Wir sehen das ja derzeit überall. Wenn die Infrastruktur für Alternativen nicht da ist, werden sich Investitionen und Verhalten nicht schnell genug ausreichend verändern. Es braucht wirklich eine ganzheitliche Neuausrichtung aller Lenkungswirkungen, die wir haben. Sonst hapert es mit der Umsetzung der Alternativen. Die Unternehmen und Verbraucher:innen sehen nur die Kosten steigen, die wiederum können sich die Wohlhabenden viel eher leisten als die anderen und der Druck gegen das eine Instrument nimmt zu. Ein ausreichend hoher CO2-Preis ist ganz wichtig, aber überhaupt nicht ausreichend. Ist der Kapitalismus, wie wir ihn mit seinen Besitzverhältnissen, seinen Folgen, seinen auf Externalisierung der sozialen und ökologischen Kosten ausgerichteten Geschäftsmodel- len als Bürger erleben, die passende Gesellschaftsform, um den großen Transformationsprozess auch erfolgreich zu bewältigen? Der Kapitalismus wurde ja immer weiterentwickelt. Und er war ja auch nicht immer ganz so finanzrabiat in seiner Orientierung wie jetzt. Und es lohnt sich, darüber zu strei- ten, wie stark die Befriedung in einigen Teilen der Welt zu Lasten anderer Teile der Welt passierte. Es sind sich alle nachhaltigkeitsinteressierten Ökonom:innen einig, dass diese finanzialisierte Form, bei der Preise nicht die öko- logische und soziale Wahrheit sagen, nicht funktionieren kann. Und dass eine Verteilungsdynamik, wo einige, die eh schon auf Milliarden sitzen, 40 Prozent Zuwachs ihrer Vermögen bekommen, während der Rest der Bevölkerung einer Pandemie trotzt, demokratisch nicht haltbar blei-