Das Konzept der Bestände als Entscheidungshilfe für eine Politik der Nachhaltigkeit


Bearbeitung

Department Ökonomie

Department Umwelt- und Planungsrecht

Department Hydrogeologie


Partner

An der Ernst Moritz Arndt Universität Greifswald: Institut für Botanik und Landschaftsökologie

An der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg: Alfred-Weber Institut für Wirtschaftswissenschaften

Praxispartner

  • BUND − Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
  • Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
  • Thüringer Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt
  • Flussgebietsgemeinschaft Elbe

Status

BMBF-Initiative "Wirtschaftswissenschaften für Nachhaltigkeit"

Projektlaufzeit

2007 − 2010


Kurzbeschreibung

Eine Politik der Nachhaltigkeit benötigt Ansatzmöglichkeiten im Faktischen. Politikmaßnahmen müssen unterschiedliche Gegebenheiten berücksichtigen: Beschaffenheit der Landschaft, Klima, Biodiversität, vorhandene Industrien, Energieversorgung, Verkehrssystem, Siedlungsformen, Ansprüche von Menschen, Organisationen, Institutionen, Gesetze, politische Verhältnisse etc. Insbesondere ist die Dynamik bzw. die Trägheit solcher gegebenen Strukturen zu beachten. Diese Gegebenheiten, ihre Dynamik und ihre Interaktionen sind langfristig kaum überschaubar. Nachhaltigkeitspolitik ist daher ein dynamischer Entwicklungsprozess, der unter hoher Komplexität, Unsicherheit und Unwissen stattfindet (Faber et al. 1996; Knight 1921; Petersen und Faber 2004). Es fehlt bislang eine umfassende operationale Grundlage, die Akteuren und wissenschaftlichen Beratern eine konzeptionelle und systematische Anbindung der Nachhaltigkeitspolitik an faktische Gegebenheiten ermöglicht.

Ziel des Projektes ist es, wesentliche innovative Beiträge zur Entwicklung einer operationalen Methodik erfolgreicher Nachhaltigkeitspolitik zu leisten.

An eine solche Methodik sind vor allem folgende Anforderungen zu stellen: (i) Sie soll zeigen, welche Ansprüche eine Nachhaltigkeitspolitik an verantwortungsbewusste Politiker, Berater und Staatsbürger stellt. (ii) Sie soll die ökologischen, ökonomischen und sozialen Problemlagen, auf die sich die Nachhaltigkeitspolitik bezieht, in ihren dynamischen Eigenschaften und Wechselwirkungen abbilden. (iii) Sie soll für Politiker, politische Berater und Staatsbürger verständlich sein. (iv) Sie soll anschlussfähig sein an die verschiedenen Disziplinen der Natur- und Sozialwissenschaften. (v) Sie soll theoretisch und in konkreten Anwendungsfeldern Möglichkeiten aufzeigen, wie unter unübersichtlichen und komplexen Problemlagen erfolgreiche Nachhaltigkeitspolitik stattfinden kann.

Um eine solche Methodik zu entwickeln, wird im Projekt folgendermaßen vorgegangen:

1. Unter Bezugnahme auf wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Entscheidungstheorien wird das aus der politischen Philosophie stammende Konzept der Urteilskraft im Hinblick auf die Entscheidungsfindung in der Nachhaltigkeitspolitik weiterentwickelt. Es werden Anforderungen für eine Methodik der Entscheidungsfindung abgeleitet.

2. Auf der Basis von Vorarbeiten der Antragsteller wird eine interdisziplinäre Theorie entwickelt, die die Erfassung ökologischer, ökonomischer und sozialer Zusammenhänge in ihrer Zeitlichkeit, d.h. ihrer Trägheit und ihrer Veränderungsdynamik ermöglicht. Diese Theorie basiert auf Vorarbeiten, in denen die Antragssteller das Konzept der Bestände ausgearbeitet haben (Faber et al. 2005)

Konzept der Bestände: Ein Bestand ist eine Menge von Elementen, die durch eine gemeinsame Eigenschaft, Zugehörigkeitseigenschaft genannt, von allen übrigen, nicht zu dieser Menge gehörenden Elementen abgegrenzt werden (Faber et al. 2005a: 259). Die Menge dieser Elemente wird als Bestand bezeichnet, wenn sie in einem von null verschiedenen Zeitraum nicht leer ist (260f.). Die Zugehörigkeitseigenschaft ebenso wie die Zeitskala der Betrachtung können je nach Problemstellung unterschiedlich gewählt werden. Das, was jeweils als Bestand dargestellt wird, ist abhängig von der Beobachterperspektive. Je nach theoretischer oder praktischer Fragestellung werden unterschiedliche relevante Bestände identifiziert. (Z.B. könnten in Notsituationen Möbelstücke und Bücher mit Vorräten an Kohle zusammen als ein Bestand an Brennstoffen betrachtet werden.) Die Perspektive, unter der eine Menge als Bestand betrachtet wird, wird somit von subjektiven Gesichtspunkten bestimmt. Eine Menge als Bestand zu betrachten impliziert, dass von der Strukturiertheit und den Systemeigenschaften der Menge (Faber et al. 2005: 255) zunächst abgesehen wird. Indem die Theorie der Bestände die Zeitlichkeit, d.h. die Dynamik, Fortdauer bzw. Veränderung ihres Gegenstandes in den Fokus nimmt, weist sie den Spezialwissenschaften die Aufgabe zu, gegebenenfalls die spezifischen Dynamiken des untersuchten Bestandes und deren Ursachen zu untersuchen. Die Wahl des Untersuchungsgegenstandes ergibt sich hier nicht wissenschaftsimmanent aus den Spezialdisziplinen, sondern aus der Problemstellung des jeweiligen Akteurs − z.B. eines Entscheidungsträgers der Nachhaltigkeitspolitik.

Die Theorie der Bestände, die bisher nur für quantifizierbare Größen formuliert ist. soll im Forschungsprojekt erweitert werden, indem sie auf ökonomische und soziale Dynamiken bezogen wird, die die Nachhaltigkeitspolitik berücksichtigen muss. Von besonderer Bedeutung dafür sind (i) immaterielle interpersonelle Interaktionsstrukturen − Institutionen, sowie (ii) intrapersonelle Vorstellungs- und Verhaltensmuster − Präferenzen.

Im Hinblick auf Institutionen bearbeitet das Forschungsprojekt u. a. folgende Fragen: (i) Wie lassen sich Institutionen als Bestände beschreiben? (ii) Lässt sich mit dem Konzept der Bestände der Aufwand zur Veränderung bestehender bzw. zur Einrichtung neuer Institutionen erfassen? In welchem Verhältnis steht eine solche Beschreibung zur Neuen Institutionenökonomik? (iii) Wie verändern sich Institutionen über die Zeit und wie können sie gestaltet werden?

Hinter Präferenzen stehen Strukturen, die sich als Bestände ansehen lassen: Erwartungen, Ansprüche, Lebensgewohnheiten sind zwar grundsätzlich veränderlich, aber vielfach in einer Person derart fest verwurzelt, dass sie eine starke Beharrlichkeit aufweisen. Dabei ist die Nachhaltigkeitsrelevanz vieler dieser Strukturen offensichtlich − z.B. im Bereich des Verkehrs (Autofahren, Fliegen), im Bereich des Wohnens (Heizen, Klimaanlage), im Bereich des Konsums (Supermarkt 'auf der grünen Wiese' mit entsprechendem Landschaftsverbrauch) etc.

3. Die Methodik der Bestände wird im Projekt in den Anwendungsfeldern (1) nachhaltiges Gewässermanagement und (2) nachhaltige Flächennutzung erprobt. Für beide Felder charakteristisch sind hohe Komplexität, starke Prognose-Unsicherheiten, lange Zeithorizonte sowie eine Vielzahl relevanter ökologischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Bestände mit entsprechenden Wechselwirkungen. Die Anwendungsfelder werden aus der Perspektive von Entscheidungsträgern betrachtet. Je nach Anwendungsfeld wird eine Auswahl aus den folgenden fünf Aspekten untersucht: (i) Es werden unter Anwendung der konstruktiven Methode die jeweils relevanten materiellen Bestände identifiziert, ihre Dynamik und Wechselwirkungen analysiert; (ii) Aufbauend auf Literatur, Vorarbeiten der Antragssteller und Auswertung weiterer Informationen aus der Praxis (z.B. Gesetzestexte, internationale Vereinbarungen etc.) werden die Nachhaltigkeitsanforderungen in den jeweiligen Feldern herausgearbeitet; (iii) Es werden die institutionellen Besonderheiten, d.h. immateriellen Bestände des jeweiligen; Politikfeldes untersucht; (iv) Ausgehend davon werden jeweils Grundzüge einer zielgerichteten Nachhaltigkeitspolitik entwickelt; (v) Dazu kontrastierend wird unter Anwendung der kritischen Methode eine Analyse der stattfindenden Nachhaltigkeitspolitik in Bezug auf die Anwendungsfelder durchgeführt − u.a. mit der Frage, in welcher Form Aspekte der Urteilskraft, die für unseren Ansatz relevant sind, in den realen Politikprozessen bereits eine Rolle gespielt haben.