Pressemitteilung vom 26. Februar 2015

Amphibienseuche Chytridiomykose erreicht Madagaskar

Und bedroht damit über 290 endemische Arten

Leipzig/Braunschweig. Der für Amphibien tödliche Chytridpilz wurde erstmals auf Madagaskar nachgewiesen. Die Seuche, die bisher großen Anteil am Massensterben von Schwanz- und Froschlurchen in den USA, Mittelamerika und Australien hat, erreicht damit einen Hotspot der Artenvielfalt. Auf der Insel im Indischen Ozean gibt es rund 290 Amphibienarten, die nur dort leben. Weitere 200 Froscharten, die noch nicht beschrieben sind, werden zudem dort vermutet. Ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) schlägt daher nun einen Notfallplan vor. Dazu gehöre neben dem Monitoring der Ausbreitung des Erregers auch der Aufbau von Amphibien-Zuchtstationen und die Entwicklung von probiotischen Therapien, schreiben die Wissenschaftler im renommierten Fachmagazin Scientific Reports, dem Open-Access-Journal des Nature-Verlages.

Ein rotäugiger Baumfrosch aus dem Ranomafana-Nationalpark in Südostmadagaskar. Foto: Miguel Vences / TU Braunschweig

Ein rotäugiger Baumfrosch aus dem Ranomafana-Nationalpark in Südostmadagaskar. Bei dieser Art mit dem wissenschaftlichen Namen Boophis quasiboehmei wurden Infektionen mit dem Chytrid-Pilz festgestellt.
Foto: Miguel Vences / TU Braunschweig

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Engmaulfrosch (Platypelis pollicaris) aus Ranomafana. Foto: Miguel Vences / TU Braunschweig

Auch bei diesem Engmaulfrosch (Platypelis pollicaris) aus Ranomafana wurde Chytrid-Befall nachgewiesen.
Foto: Miguel Vences / TU Braunschweig

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Die gesamte Gruppe der Amphibien wird zurzeit von einer weltweiten Pandemie heimgesucht, die das Aussterben massiv beschleunigt. Auch wenn der durch den Menschen verursachte Verlust von Lebensräumen weiterhin die Hauptbedrohung für Amphibienpopulationen ist, bietet der Schutz der Lebensräume inzwischen keine Garantie mehr für das Überleben der Amphibien. Eingeschleppte Infektionskrankheiten bedrohen mittlerweile selbst scheinbar abgelegene Lebensräume. Die verheerendste bekannte Amphibienseuche ist die so genannte Chytridiomykose, die von einem tödlichen Chytridpilz (Batrachochytrium dendrobatidis, kurz Bd genannt) hervorgerufen wird. Der Pilz befällt die Haut, die für die Amphibien von besonderer Bedeutung ist, da sie über diese atmen. Auf diese Weise sind bereits viele Arten verschwunden – vor allem im tropischen Mittelamerika, wo zwei Drittel der Arten aus der Gattung der farbenfrohen Stummelfußfrösche bereits in ihrem gesamten Verbreitungsgebiet drastisch dezimiert sind. Bd wurde inzwischen bei über 500 Amphibienarten festgestellt, von denen 200 deutlich zurückgegangen sind. Der Erreger wird daher weltweit als eine der größten Bedrohungen für die Artenvielfalt bezeichnet.

Bisher galten jedoch einige Inseln wie Madagaskar als nicht befallen. Bei der letzten Serie an Untersuchungen 2005 bis 2010 konnte der Krankheitserreger nicht festgestellt werden. Die Auswertung der jüngsten Untersuchungsserie zeigte jetzt jedoch, dass der Chytridpilz auch in Madagaskar Amphibien bedroht. „Das ist eine traurige Nachricht für Amphibienfreunde weltweit“, erläutert Dr. Dirk Schmeller vom UFZ, der an der Auswertung der Proben beteiligt war. „Denn zum einen ist damit eine Insel bedroht, die über besonders viele Amphibienarten verfügt. Mehrere hundert Arten leben nur hier. Und zum anderen bedeutet das auch: Wenn der Erreger selbst bereits auf eine solch abgelegene Insel gelangt ist, dann kann und wird er überall auftreten.“

Für die jetzt veröffentlichte Studie wertete das Forschungsteam Proben von über 4.000 Amphibien aus 50 Orten in Madagaskar seit 2005 aus. Dabei stellten sich Proben von vier Madagaskarfröschen (Mantidactylus sp.) von 2010 sowie eines Maskarenenfrosches (Ptychadena mascareniensis) von 2011 aus dem entlegenen Makay-Massif als positiv heraus. 2013 und 2014 wurde der Erreger dann bereits in fünf verschiedenen Regionen registriert. Prof. Dr. Miguel Vences von der Technischen Universität in Braunschweig: „Der Chytridpilz wurde in allen vier Familien der einheimischen Madagaskarfrösche nachgewiesen und zeigt somit das Potential selbst ökologisch unterschiedliche Arten zu infizieren. Das ist ein Schock!“. Die Studie zeigt auch, das Amphibien in mittleren bis hohen Lagen infiziert werden, was sich mit Beobachtungen aus anderen Regionen der Erde deckt, wo die Auswirkungen der Amphibienseuche von allem im Gebirge zu spüren sind.

Dass der Erreger in einer sehr abgelegenen Region der Insel gefunden wurde, stellt die Forscher vor ein Rätsel. Es besteht die Hoffnung, dass es sich um einen bisher unentdeckten, einheimischen Stamm des Erregers handeln könnte, der bereits länger in der Region existierte, aber mangels fehlender Proben bisher nicht entdeckt worden war. In diesem Fall könnten die Amphibienarten Madagascars u.U. Resistenzen gebildet haben. Aber dies muss erst durch weitere Untersuchungen bestätigt werden, bevor Entwarnung gegeben werden kann. Denn denkbar ist auch, dass der Erreger mit Krebsen, der Asiatischen Schwarznarbenkröte (Duttaphrynus melanostictus), über Zugvögel oder den Menschen eingeschleppt worden ist. „Glücklicherweise ist es auf Madagaskar bisher zu keinem Massensterben gekommen. Dennoch scheint sich der Erreger unterschiedlich stark auszubreiten. Möglicherweise sind auch mehrere Stämme, vielleicht sogar der global verbreitete hypervirulente Stamm des Erregers, auf Madagaskar“, berichtet Dirk Schmeller. „Das zeigt, wie wichtig es ist, den Erreger zu isolieren und genetisch analysieren zu können, was bisher noch nicht gelungen ist.“ Daneben sollte das Monitoring im ganzen Land fortgesetzt werden, um die Ausbreitung zu beobachten. Die Wissenschaftler schlagen auch vor, für Schlüsselarten neben den im Aufbau befindlichen zwei Zuchtstationen weitere zu errichten, um im Ernstfall genug Tiere in diesen Archen nachzuzüchten, mit denen die Lebensräume wieder besiedelt werden könnten. „Wir haben auch die Hoffnung mit Hilfe von Hautbaktieren das Wachstum des Bd-Erregers zu unterdrücken,“ meint Miguel Vences, „diese könnten dann vielleicht künftig als eine Art probiotische Hautsalbe dienen“. Auch eine hohe Vielfalt an mikrobiellen Gemeinschaften in den Gewässern könnte das Infektionspotenzial verringern, so frühere Untersuchungen der UFZ-Forscher, die in Current Biology publiziert wurden.

Mit dem Ausbruch der Amphibienseuche Chytridiomykose auf Madagaskar sind nach Angaben der Amphibian Survival Alliance (ASA) weitere sieben Prozent der weltweiten Amphibienarten bedroht. „Der Rückgang der madagassischen Amphibien geht nicht nur Herpetologen und Froschforscher an“, sagt Dr. Franco Andreone von der Weltnaturschutzorganisation IUCN und Mitautor der Studie. „Es wäre ein großer Verlust für die ganze Welt." In den nächsten Monaten wollen daher die Wissenschaftler zusammen mit der Regierung einen Notfallplan aufstellen, um dieses Szenario zu verhindern.
Tilo Arnhold

Publikation:

Molly C. Bletz, Gonçalo M. Rosa, Franco Andreone , Elodie A. Courtois, Dirk S. Schmeller, Nirhy H. C. Rabibisoa, Falitiana C. E. Rabemananjara, Liliane Raharivololoniaina, Miguel Vences, Ché Weldon, Devin Edmonds, Christopher J. Raxworthy, Reid N. Harris, Matthew C. Fisher, Angelica Crottini (2015):
Widespread presence of the pathogenic fungus Batrachochytrium dendrobatidis in wild amphibian communities in Madagascar. Sci. Rep. 5, 8633; DOI:10.1038/srep08633
nature.com/articles/doi:10.1038/srep08633
http://dx.doi.org/10.1038/srep08633

Die Untersuchungen wurden gefördert durch verschiedene Zoos und Naturschutzstiftungen sowie der National Science Foundation der USA, der Volkswagen-Stiftung, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), das Era-Net Netzwerk "BiodivERsA" und das EU-Projekt RACE (Risk Assessment of Chytridiomycosis to European Amphibian Diversity) gefördert.

Weitere Informationen:

Dr. Dirk S. Schmeller
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Telefon: +49-(0)341-235-3282
Dr. Dirk S. Schmeller

Prof. Dr. Miguel Vences
Zoologisches Institut der Technischen Universität Braunschweig
Telefon: +49-(0)531 391-3237
Prof. Dr. Miguel Vences

Dr. Franco Andreone
Museo Regionale di Scienze Naturali (Torino, Italy) & IUCN SSC
Dr. Franco Andreone

Prof. Reid N. Harris
James Madison University in Harrisonburg, Virginia (USA) & Amphibian Survival Alliance (ASA)
Prof. Reid N. Harris

oder über

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung
Tilo Arnhold, Susanne Hufe (UFZ-Pressestelle)
Telefon: +49-(0)341-235-1635, -1630

Candace Hanse-Hendrikx
Amphibian Survival Alliance
www.amphibians.org/about/team/

Weiterführende Links:

Amphibian Survival Alliance (ASA)
www.amphibians.org

Global Bd-Mapping Project:
www.bd-maps.net

RACE (Risk Assessment of Chytridiomycosis to European Amphibian Biodiversity):
www.bd-maps.eu
download PDF

Tierseuchen bedrohen Europas Artenvielfalt. Empfehlungen des Projektes RACE für die Politik, veröffentlicht auf den Webseiten der Weltnaturschutzunion IUCN:
"http://iucn.org/about/union/secretariat/offices/europe/?13819/Wildlife-diseases-threaten-Europes-biodiversity

Natürliche Feinde könnten Amphibienkrankheit in Schach halten (Pressemitteilung vom 20. Januar 2014):
www.ufz.de/index.php?de=32370

Chytridpilz bedroht Amphibien in höheren Lagen offenbar stärker (Pressemitteilung vom 14. April 2010):
www.ufz.de/index.php?de=19544

Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg über 1.100 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit fast 36.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 18 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 3,8 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).