Pressemitteilung vom 18. Juni 2013

Hochwasservorsorge auf vier Säulen stellen

UFZ-Forscher ziehen Resümee aus der Flut 2013 und skizzieren, was getan werden muss, um ähnliche Folgen künftig zu verringern

Leipzig. Die Hochwasservorsorge sollte sich in Deutschland künftig an vier Eckpunkten orientieren: Technischer Hochwasserschutz für größere Siedlungen wird genauso benötigt wie mehr Raum für die Flüsse durch Rückdeichungen und Einbeziehung der Landwirtschaft. Gleichzeitig sollte die private Vorsorge dort unterstützt werden, wo der technische Hochwasserschutz bisher nicht ausreichend vor Schäden schützt. Um die verbleibenden Schäden solidarisch zu tragen, wäre eine vorsorgeorientierte Versicherungspflicht sinnvoll. Dies schreiben Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in einer Stellungnahme zum Hochwasser 2013, die am Dienstag veröffentlicht worden ist.

Luftbild: Erlln an der Mulde, Sachsen, Hochwasser 2013

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Luftbild: Eilenburg an der Mulde, Sachsen, Hochwasser 2013

Eilenburg (unten) und Erlln (oben) am 04. Juni 2013 – zwei Kommunen an der Mulde während des Hochwassers 2013.
2013 haben viele der neu gebauten Deiche bzw. technischen Hochwasserschutzanlagen, wie die Beispiele Eilenburg bzw. Erlln zeigen, ihre Funktion erfüllt und die Siedlungen vor Hochwasser geschützt.
Beide Fotos: André Künzelmann/UFZ

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Mit ihrem Standpunkt warnen die Hochwasserforscher vor der Illusion, es sei möglich, die Schäden der Fluten praktisch auf Null zu reduzieren, wenn nur genug investiert werden würde. „Wir können uns vor Hochwasser nicht vollständig schützen. Es wird immer ein Restrisiko von Schäden z.B. durch Deichbrüche geben. Der Gedanke von einem hundertprozentigen Hochwasserschutz ist genauso irreführend wie der Gedanke, dass zukünftig Schäden vermieden werden könnten, wenn Planfeststellungsverfahren beschleunigt und die Bürgerbeteiligung beschränkt werden. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Dialoge über die Frage, wie wir am besten für Hochwasserextreme in der Zukunft vorbereitet sind“, schreiben Ökonomen, Geographen und Landschaftsplaner des UFZ, die vorschlagen, die zukünftige Hochwasservorsorge auf vier Säulen zu stellen, um Schäden so gering wie möglich zu halten und Lasten gerecht zu verteilen:

1. Technischer Hochwasserschutz

Allein in Sachsen wurde seit der Flutkatastrophe 2002 über eine halbe Milliarde Euro in den technischen Hochwasserschutz investiert. Bis 2020 sind insgesamt rund eine Milliarde Euro für Betonmauern, Spundwände, Deiche etc. geplant. Kommunen und Bewohner erhoffen sich davon, dass ihre Siedlungen künftig besser oder gar vollständig geschützt wären. In einer 2005 durchgeführten repräsentativen Befragung des UFZ haben von 404 durch das Hochwasser 2002 betroffenen Haushalten mehr als 60 Prozent der Bewohner von Gemeinden im Einzugsgebiet der Mulde der Aussage zugestimmt, dass Deiche ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. „Dieses gestiegene Sicherheitsgefühl birgt jedoch auch Risiken. Es wird mehr gebaut als zuvor. Wenn die Mauer bricht oder überflutet wird, dann sind die Schäden anschließend umso größer“, berichtet der Sozialgeograph Dr. Christian Kuhlicke, der am UFZ Naturgefahren untersucht und die Folgen des Mulde-Hochwassers in Eilenburg und Grimma analysiert hat. „Auch darum greift es zu kurz, allein auf den technischen Schutz zu setzen.“

2. Natürlicher Hochwasserschutz durch mehr Raum für die Flüsse

Deutschlandweit sind inzwischen zwei Drittel der ehemaligen Überschwemmungsgebiete durch Deichbau und andere Hochwasserschutzmaßnahmen verloren gegangen. An den großen Strömen wie Rhein, Elbe, Donau und Oder ist die Situation zum Teil noch drastischer. Mitunter stehen an vielen Abschnitten nur noch zehn bis zwanzig Prozent der ehemaligen Auen als Überschwemmungsflächen zur Verfügung. Diese Auen erfüllen aber neben der Reinigung des Wassers auch eine wichtige Funktion im Ernstfall: Sie halten die Wassermengen möglichst lange in der Fläche und puffern somit die Spitzen der Hochwasserwellen ab. Einige Zentimeter weniger können an vielen Stellen entscheiden, ob eine Schutzmauer und die Siedlung dahinter überflutet werden oder nicht. Würden alle Rückdeichungsmaßnahmen realisiert, die an der Elbe im Gespräch sind, dann würden sich die Wassermassen auf über 23.000 Hektar zusätzlich verteilen können, was rund ein Drittel mehr Fläche wäre. „Obwohl die Elbe mit solchen Planungen bundesweit bereits sehr weit ist (umgesetzt sind ca. 700 Hektar, weitere 2600 Hektar sind in der konkreten Planung), gestaltet sich auch hier die Umsetzung dieser Vorhaben häufig sehr zeit- und ressourcenaufwendig, da neben neuen Deichlinien im hohen Maße die Flächenverfügbarkeit geklärt werden muss und Nutzungsänderungen insbesondere in der Landwirtschaft abzustimmen sind“, erklärt Mathias Scholz, Auenexperte des UFZ. Das erste umgesetzte, großflächige Projekt dieser Art ist die Deichrückverlegung des Roßlauer Oberluchs (Stadt Dessau-Roßlau) im Biosphärenreservat Mittelelbe. Im Rahmen einer Deichrekonstruktion wurde hier nach mehr als zehn Jahren Vorbereitung im Jahr 2006 eine Überschwemmungsfläche von ca. 140 Hektar durch das Land Sachsen-Anhalt reaktiviert. Dieses Projekt wird vom UFZ wissenschaftlich begleitet. Denn insgesamt bieten solche Rückdeichungen die Chance, einen nachhaltigen und modernen Hochwasserschutz mit Naturschutzzielen zu verbinden und damit Ressourcen für künftige Generationen zu sichern.

3. Private Bauvorsorge – Nicht nur fordern, sondern auch fördern

Laut Wasserhaushaltsgesetz sind bereits jetzt potenzielle Betroffene verpflichtet, „geeignete Vorsorgemaßnahmen zum Schutz vor Hochwassergefahren und zur Schadensminderung zu treffen, insbesondere die Nutzung von Grundstücken den möglichen nachteiligen Folgen für Mensch, Umwelt oder Sachwerte durch Hochwasser anzupassen“. Ohne konkrete Verpflichtungen oder ökonomische Anreize wird diese Forderung aber reine Theorie bleiben. Gleichzeitig reduzieren technische Schutzbauten den zu erwartenden Schaden und damit die Effizienz zusätzlicher privater Vorsorge. „Private Vorsorge ist eher dort effektiv und effizient, wo kein oder nur ein geringer Schutz durch technischen Hochwasserschutz besteht“, erläutert UFZ-Ökonom Dr. Volker Meyer. Wenn die Verantwortung für den Hochwasserschutz zunehmend von der öffentlichen Hand auf die potenziell Betroffenen übertragen wird, dann werden die Bürger zum Manager ihres eigenen Risikos. „Wie viel diese dann in Hochwasserschutz investieren, hängt nicht nur davon ab, wie hoch sie das Risiko einschätzen, sondern auch welche Mittel sie dafür zur Verfügung haben. Wer wird sich zukünftig welchen (individuellen) Schutzgrad leisten können? Was passiert eigentlich mit denen, die sich keinen Schutz leisten können?“ Die UFZ-Forscher empfehlen daher in ihrem Standpunkt auch private Vorsorgemaßnahmen finanziell zu fördern – z.B. durch zinsgünstige Kredite, die an eine dem Hochwasser angepasste Bauweise bzw. Sanierung gebunden sind, oder durch reduzierte Versicherungsprämien.

4. Vorsorgeorientierte Versicherungspflicht

Selbst durch eine Kombination von technischer, natürlicher und privater Hochwasservorsorge können aber nicht alle Schäden vermieden werden – es verbleibt ein „Restrisiko“. Soforthilfen wie das jetzige 8-Milliarden-Programm von Bund und Ländern lindern das Leid, helfen aber nicht, das Problem an den Wurzeln zu packen. „Eine Versicherungspflicht für alle Gebäudeeigentümer würde die Kosten für entstandene Schäden solidarisch umlegen und über Prämiennachlässe einen ökonomischen Anreiz für die private Vorsorge gegen Elementarschäden wie Hochwasser, Starkregen und Schneedruck mit sich bringen“, gibt Prof. Reimund Schwarze vom UFZ zu bedenken. Forderungen nach einer Versicherungspflicht sind nicht neu. Die deutsche Bundesregierung hat bereits nach dem Hochwasser 2002 die Einführung einer Pflichtversicherung für Elementarschäden erwogen. Dieser Vorstoß ist leider an den Mühlen der Bürokratie und am kollektiven Vergessen gescheitert. Die Lage für die am schlimmsten Betroffenen hat sich damit nicht nachhaltig verändert. Zur Zeit ist zwar etwa jedes dritte Gebäude gegen Elementarschäden versichert, allerdings gelten 1,4 Prozent immer noch als „unversicherbar“, weil sie in Gebieten liegen, die statistisch alle 10 Jahre überflutet werden. Damit hat etwa eine Million Menschen keine Chance auf einen regulären Versicherungsschutz. Nach jedem Großereignis werden – wie in Dresden 2002 - die Policen „individuell überprüft“ und häufiger teurer als zuvor. Das Problem der Verfügbarkeit von Versicherung wird durch den Klimawandel verschärft, weil neue Gebiete in „unversicherbare“ Zonen hinein wachsen. „Ein solidarisches Modell der Versicherungspflicht scheint daher angebracht. Eine sorgfältig ausgestaltete Versicherungspflicht kann die Kosten für entstandene Schäden dabei so umlegen, dass ökonomische Anreize für die Vorsorge gegen Hochwasser und Starkregen nicht verloren gehen. Im solidarischen Verbund wären auch seltene oder lokale Extremereignisse wie Sturmflut, Erdbeben oder Erdsenkungen flächendeckend versicherbar“, fasst Klimaökonom Reimund Schwarze seine Untersuchungen zur Katastrophenvorsorge zusammen.

Aus Sicht der Wissenschaftler ist jetzt eine gesellschaftliche Debatte nötig: Wie viel Verantwortung der Staat übernehmen sollte und wie viel Verantwortung bei den Bewohnern der Hochwassergebiete bleibt. Gebraucht werden nicht nur Bürgerdialoge zu einzelnen Schutzmaßnahmen vor Ort, sondern ein breiter gesellschaftlicher Dialog über die Risiken, die die Gesellschaft und ihre Bürger bereit sind, im Zusammenhang mit Hochwasser zu tragen und darüber, wie die Kosten für die Hochwasservorsorge verteilt werden.
Tilo Arnhold

Standpunktpapier:

Christian Kuhlicke, Volker Meyer, Reimund Schwarze, Mathias Scholz (2013):
“Ein 100%iger Hochwasserschutz ist nicht möglich – Wir brauchen vier Säulen einer nachhaltigen Hochwasservorsorge”
Standpunkt lesen

Weitere Informationen zu den Autoren:

Dr. Christian Kuhlicke
Sozialgeograph und Sprecher des Arbeitskreises Naturgefahren/Naturrisiken der Deutschen Gesellschaft für Geographie

Dr. Volker Meyer
Wirtschaftsgeograph mit Schwerpunkt Kosten von Naturgefahren

Prof. Reimund Schwarze
Ökonom und Experte für Klimaanpassung und -politik

Mathias Scholz
Landschaftsplaner und Experte für Auenökologie

Infos & Kontakt via
www.ufz.de/index.php?de=31670

oder über

Tilo Arnhold / Susanne Hufe (UFZ-Pressestelle)
Telefon: 0341-235-1635, -1630

Aktuelle Publikationen

Christian Kuhlicke, Volker Meyer, Annett Steinführer:
„Jenseits der Leitdifferenz "Beton contra Natur": Neue Paradoxien und Ungleichheiten im Hochwasserrisikomanagement“. Erschienen in: Hydrologie und Wasserbewirtschaftung, 57/2 (2013): 70-74.

(Anmerkung der Autoren: In der Zeitschrift Hydrologie und Wasserbewirtschaftung (HyWa) haben wir kurz vor dem Hochwasser 2013 einen Beitrag veröffentlicht, der sich mit aktuellen Entwicklungen im Management von Hochwassergefahren befasst. Für die Erlaubnis der Redaktion der HyWa ,diesen Text frei zugänglich machen zu können, möchten wir uns bedanken.)

Reimund Schwarze, Gert G. Wagner, Manijeh Schwindt, Hannelore Weck-Hannemann
Ökonomische Strategien des Naturgefahrenmanagements – Konzepte, Erfahrungen und Herausforderungen. Innsbruck University Press, 2012.
Ökonomische Strategien des Naturgefahrenmanagements ...

Mathias Scholz, Dietmar Mehl, D., Christiane Schulz-Zunkel, C., Hans Dieter Kasperidus, Wanda Born, Klaus Henle (2012):
Ökosystemfunktionen von Flussauen - Analyse und Bewertung von Hochwasserretention, Nährstoffrückhalt, Kohlenstoffvorrat, Treibhausgasemissionen und Habitatfunktion. Naturschutz und Biologische Vielfalt 124: 257 S.
Ökosystemfunktionen von Flussauen ...

Ausgewählte Forschungsprojekte

emBRACE - Building Resilience Amongst Communities in Europe
www.embrace-eu.org

CapHaz-Net- Social Capacity Building for Natural Hazards
www.caphaz-net.org

CONHAZ - Costs of Natural Hazards
http://conhaz.org

RISK MAP (Flood Risk Maps)
http://risk-map.org

Synergien und Konflikte von Anpassungsstrategien und -maßnahmen (SynKon)
www.ufz.de/index.php?de=19460

BioFresh - Biodiversity of Freshwater Ecosystems: Status, Trends, Pressures, and Conservation Priorities
www.ufz.de/index.php?de=19326

Ökosystemfunktionen in Flussauen - Analyse und Bewertung - (FuE-Vorhaben des BfN)
www.ufz.de/index.php?de=17551

Interdisziplinäre Forschungsplattform für Auenökologie Mittelelbe - TERENO
www.ufz.de/index.php?de=10816

Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg über 1.100 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit fast 34.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 18 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 3,8 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).