Pressemitteilung vom 15. September 2008

Bestäubung durch Insekten schafft 150 Milliarden Euro

Erstmals globaler ökonomischer Wert der Bestäuber geschätzt

Avignon/Halle(Saale). Französische und deutsche Wissenschaftler haben erstmals berechnet, welche Werte Insekten wie Bienen durch die Bestäubung von Agrarpflanzen schaffen. Der Studie zufolge hat der ökonomische Nutzen durch diese Bestäuber im Jahre 2005 etwa 150 Milliarden Euro betragen. Das entspricht knapp einem Zehntel des Gesamtwertes der Weltnahrungsmittelproduktion. Die Wissenschaftler des Nationalen Institutes für Agrarforschung (INRA) und des Zentrums für Wissenschaftliche Forschung (CNRS) aus Frankreich sowie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) schätzten außerdem die Schäden, die durch das Fehlen von bestäubenden Insekten entstehen würden auf 190 bis 310 Milliarden Euro pro Jahr. Die Studie über die ökonomische Verwundbarkeit der Weltagrarproduktion durch den Rückgang von Bestäubern ist soeben im Fachblatt Ecological Economics erschienen.

Obst auf Marktstand

Durch einen Rückgang von Bestäubern sind drei Kategorien agrarischer Produkte besonders betroffen: Früchte und Gemüse durch einen Verlust von jeweils 50 Milliarden Euro, gefolgt von essbaren Ölfrüchten mit 39 Milliarden Euro.
Foto: André Künzelmann/UFZ

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Unter Experten herrscht Einigkeit, dass der Rückgang der Bestäuber eine der Hauptbedrohungen für die Erhaltung der biologischen Vielfalt ist. Doch die Auswirkungen sind noch immer unklar. So wurde bislang noch nicht versucht, den ökonomischen Wert der Bestäubung als "Dienstleistung für den Menschen" exakter zu bestimmen. Auf der Basis einer 2007 erfolgten Zusammenstellung verschiedenster Literaturquellen, hat die kürzlich in Ecological Economics erschienene Studie unter anderen Daten der Welternährungsorganisation FAO ausgewertet, um den Bestäubungs-Anteil an der Weltnahrungsproduktion zu bestimmen. Der gesamte ökonomische Wert der Bestäubung für 2005 wird demnach weltweit auf 153 Milliarden geschätzt. Das entspricht 9,5 Prozent des Wertes der jährlichen Weltagrarproduktion an Lebensmitteln.

Drei Kategorien agrarischer Produkte sind besonders betroffen: Früchte und Gemüse durch einen Verlust von jeweils 50 Milliarden Euro, gefolgt von essbaren Ölfrüchten mit 39 Milliarden Euro. Die Auswirkungen auf Genussmittel (Kaffee, Kakao usw.), Nüsse und Gewürze waren von geringerer ökonomischer Relevanz.

Die Wissenschaftler fanden auch heraus, dass der durchschnittliche Wert von Feldfrüchten die von Bestäubern abhängig sind, höher war als von Feldfrüchten, die nicht bestäubt werden wie Getreide oder Zuckerrohr (760 bzw. 150 Euro pro Tonne). Der Verwundbarkeitsindex wurde definiert als das Verhältnis des ökonomischen Wertes der Insektenbestäubung geteilt durch den Wert der gesamten Lebensmittelproduktion. Dieses Verhältnis variiert je nach Kategorie: 39 Prozent für Genussmittel (wie Kaffee und Kakao), 31 Prozent für Nüsse und 23 Prozent für Früchte. Umso höher die Abhängigkeit von Bestäubern ist, desto höher ist der Preis pro Tonne.

Sollte es zum kompletten Rückgang der Insektenbestäuber kommen, dann würde sich die Weltagrarproduktion stark verändern. Besonders Importeure wie die Europäische Union wären betroffen. Global betrachtet sind die Länder auf der Nordhemisphäre verwundbarer als die Länder im Süden. Ein Rückgang der bestäubenden Insekten könnte also starke Konsequenzen für den Lebensmittelhandel zwischen Nord und Süd haben. Die Studie ist jedoch keine Vorhersage, da sie mögliche Anpassungsstrategien nicht berücksichtigen kann. Zudem gingen die Berechnungen der Wissenschaftler von einem Worst-Case-Szenario aus: einem kompletten Verschwinden der Bestäuber. Ein geringerer Rückgang hätte entsprechend geringere Folgen.

Die Ergebnisse betonen, dass der Komplettverlust an Insektenbestäubern wie vor allem der Honigbiene und vielen weiteren Bienenarten nicht zu einem Zusammenbrechen der Weltagrarproduktion führen würde. Aber es würde zu einschneidenden Verlusten kommen - selbst wenn die Studie nur Pflanzen berücksichtigt, die direkt für die menschliche Ernährung genutzt werden. In den Berechnungen sind jedoch die Auswirkungen, die ein Rückgang der Bestäuber auf die generelle Pflanzen- und damit auf die Tierproduktion hätte, nicht enthalten. Ebenso fehlen die Auswirkungen auf Wildblumen und sämtliche weitere Ökosystem-Dienstleistungen, die die natürliche Flora für Landwirtschaft und Gesellschaft erbringt.

Vom 15. bis 19. September 2008 findet in Leipzig die bisher größte Konferenz von Ökologen aus ganz Europa statt. Über 1000 Teilnehmer aus mehr als 30 Ländern haben sich zur „EURECO-GFOE 2008“ angemeldet. Die Tagung wird von der European Ecological Federation (EEF) und der Gesellschaft für Ökologie (GfÖ) im Congress Center Leipzig ausgerichtet und vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) sowie den Universitäten Halle-Wittenberg und Leipzig organisiert. Die EEF ist die Dachorganisation aller nationalen ökologischen Gesellschaften in Europa. In ihr sind über 8000 Ökologen organisiert. Die GfÖ dagegen ist die nationale Gesellschaft der Ökologen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz.
Tilo Arnhold

Weitere fachliche Informationen:

PD Dr. Josef Settele
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Telefon: 0345-558-5320
PD Dr. Josef Settele

Dr. Bernard Vaissiere (EN+FR)
INRA Center of Avignon
Phone +33-4-32722637
Dr. Bernard Vaissiere (EN+FR)

oder über

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ
Pressestelle
Tilo Arnhold (UFZ-Pressestelle)
Telefon: +49 (0)341 235 1269
presse@ufz.de

Publikation

Nicola Gallai, Jean-Michel Salles, Josef Settele, Bernard E. Vaissière:
Economic valuation of the vulnerability of world agriculture confronted with pollinator decline. Ecological Economics (2008), doi:10.1016/j.ecolecon.2008.06.014.

Links:

Forschungsprojekt ALARM:
www.alarmproject.net/alarm

Mehr zum Thema Biodiversität finden Sie in einer Spezialausgabe des UFZ-Newsletters zur 9. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention zur Biologischen Vielfalt (COP9), die im Mai 2008 in Bonn stattgefunden hat:
www.ufz.de/index.php?de=16853

Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ wurde 1991 gegründet und beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle/S. und Magdeburg rund 900 Mitarbeiter. Es erforscht die komplexen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt in genutzten und gestörten Landschaften, insbesondere dicht besiedelten städtischen und industriellen Ballungsräumen sowie naturnahen Landschaften. Die Wissenschaftler des UFZ entwickeln Konzepte und Verfahren, die helfen sollen, die natürlichen Lebensgrundlagen für nachfolgende Generationen zu sichern.
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