Ganzheitliche und integrierte Lebenszyklusanalyse und Nachhaltigkeitsbewertung (HILCSA)

Ansprechpartner:    Walther Zeug, Alberto Bezama

Eine Messung und Bewertung der ökologischen, ökonomischen oder sozialen Nachhaltigkeit in allen Phasen des Lebenszyklus eines Produkts, Prozesses oder einer Dienstleistung ist die zentrale Motivation verschiedener Methoden etablierter Ökobilanzen (LCA) und ihrer eher neuen Kombination oder Integration in Life Cycle Sustaiability Assessments (LCSA). In diesem Kontext entwickelt, ist HILCSA (Holistic and Integrated Life Cycle Sustainability Assessment) ein innovatives LCSA-basiertes Modell und Methode, die in der Lage ist, ganzheitliche und integrierte Nachhaltigkeit gemäß ISO 14040 und 14044 zu bewerten und zu analysieren.

Aufbauend auf der Theorie gesellschaftlicher Naturverhältnisse (SRN) umfassen Produktions- und Wirtschaftssysteme sowohl physische als auch soziale Systeme, die die Beziehungen zwischen Ressourcen und gesellschaftlichen Bedürfnissen durch wirtschaftliche Infrastrukturen und Praktiken vermitteln. Dementsprechend definiert HILCSA Nachhaltigkeit als:

  • Langfristige und globale Erfüllung gesellschaftlicher Bedürfnisse als Ziel und Zweck (Soziale Nachhaltigkeit)
  • Langfristige Stabilität unserer Umwelt als Grundlage gesellschaftlicher Reproduktion innerhalb planetarer Grenzen (Ökologische Nachhaltigkeit)
  • Technologien und Produktionssysteme als effiziente, effektive, suffiziente und gerechte Wirtschaftssysteme, die die Erfüllung gesellschaftlicher Bedürfnisse im Rahmen von planetaren Grenzen ermöglichen (Ökonomische Nachhaltigkeit)


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i) Nachhaltigkeitsmodell, ii) Framework von HILCSA = f (S-LCA, E-LCA, LCC) (Integrierte Produkt- und Produktionssysteme in openLCA umfassen ökologische, soziale und ökonomische Daten)


HILCSA ermöglicht eine integrierte (ökologisch, ökonomisch, sozial in einer Methode) und ganzheitliche (transdisziplinär und kritisch) Nachhaltigkeitsbewertung auf Basis von rund 100 sozialen, ökologischen und ökonomischen qualitativen und quantitativen Indikatoren, die 14 von 17 SDGs adressieren, um Synergien, Trade-Offs und Hotspots von Produktionssystemen in der Bioökonomie und darüber hinaus zu analysieren. Prozesse, Produkte, Unternehmen und Regionen werden als integrierte Produktionssysteme inklusive Stoff- und Energieflüsse sowie Arbeitsbeziehungen modelliert. Diese Methode ist vollständig in openLCA softwareimplementiert und verwendet die Ecoinvent/SoCa-Datenbank.


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Produktsystem der LVL-Produktion in Mitteldeutschland mit Vordergrund- und Hintergrundaktivitäten, basierend auf openLCA-Modellgraph („+“ zeigt verborgene vorgelagerte Ströme und Prozesse für Inputs an; Position der Prozesse ist schematisch), aus (Zeug et al. 2022)


HILCSA wurde bisher in Fallstudien im Kontext der Bioökonomie angewendet, ist aber im Allgemeinen auf alle Wirtschaftssysteme anwendbar. In einem ersten Fall zeigte ein Vergleich von Holzbauprodukten mit herkömmlichen Stahlträgern, dass nachwachsende biobasierte Baustoffe für nahezu alle Indikatoren eine bessere ganzheitliche Nachhaltigkeit als fossilbasierte Produkte aufweisen können, indem sie die Umwelt weniger belasten, weniger negative Auswirkungen auf die Gesellschaft haben und wirtschaftlich effizienter sind (siehe Abbildung unten). Im Allgemeinen identifiziert HILCSA durch relative Nachhaltigkeitsbewertung die ökologische, soziale und ökonomische Performance von Produktionssystemen im Vergleich zu bspw. fossilen Produktionssystem die substituiert werden sollen, oder vergleicht Nutzungspfade von Ressourcen. Die qualitativen und quantitativen Ergebnisse sind eingebettet in eine transdisziplinäre Analyse der politischen Ökonomie und Ökologie von Systemen, einschließlich Stakeholder-Beteiligung.


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Relative ganzheitliche Nachhaltigkeit von LVL im Vergleich zur Stahlträgerproduktion, dargestellt in Form des Nachhaltigkeitsmodells von HILCSA (SDGs werden in der Größe entsprechend ihrer Relevanz für deutsche Bioökonomie-Bewertungen betrachtet; Farben und Werte stellen die Substitutionsfaktoren der Auswirkungen dar; weiß = keine Daten), aus (Zeug et al. 2022)


Durch diese quantitativen und qualitativen Nachhaltigkeitsbewertungen ist HILCSA in der Lage, Synergien, Zielkonflikte und Hotspots von bioökonomischen Produktionssystemen auf detaillierter und aggregierter Ebene zu identifizieren. Übliche Probleme wie die planetaren Grenzen der Land- und Wasserverfügbarkeit, die die Produktion auf Basis erneuerbarer Ressourcen limitiert, sowie anhaltende globale sozioökonomische Probleme in Lieferketten können damit dargestellt und potenziell optimiert werden. Die Vision einer Bioökonomie und systemische Nachhaltigkeitsbewertung steht allerdings auch eng mit normativen gesellschaftlichen und politischen Fragestellungen in Verbindung die ebenfalls adressiert werden. HILCSA kann umfassende Informations- und Entscheidungsgrundlagen für Stakeholder wie Politik, Gesellschaft, Forschung und Unternehmen bereitstellen.



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