Pressemitteilung vom 10. Juni 1998

Weltweit zunehmende Wüstenausbreitung

Wissenschaftler auf der Spur einer weiteren möglichen Ursache

Die zunehmende Wüstenausbreitung macht den Menschen in vielen Gebieten der Erde große Probleme. Es verändert sich nicht nur das vielschichtige und komplexe Ökosystem Boden mit seinen vielfältigen Funktionen, es geht vielmehr auch die Grundlage der menschlichen Ernährung verloren. Denn ob dieser Prozess umkehrbar ist, wird unter den Wissenschaftlern sehr kontrovers diskutiert. Gründe der Wüstenbildung können - neben klimatischen Ursachen - unter anderem in einer übernutzung der Böden und Vegetation oder ihrer Versalzung, beispielsweise durch falsche Bewässerungsführung, liegen.

Nicht alle Prozesse der Wüstenbildung sind jedoch damit erklärbar. Es ist davon auszugehen, dass weitere, bislang noch unbekannte Faktoren darauf Einfluss nehmen. Deutsche, russische und österreichische Wissenschaftler sind in einem gemeinsamen, von der EU geförderten Projekt seit 1997 diesen möglichen Ursachen auf der Spur.

Hauptuntersuchungsgebiet ist der Süden Russlands. Für die Wissenschaftler um den Projektleiter Dr. Ludwig Weißflog, UFZ, ist das Gebiet zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer deshalb so interessant, weil dort große Gebiete von einer zunehmenden Wüstenbildung bedroht sind. Am schlimmsten betroffen ist die Republik Kalmückien, in der 83% des Staatsgebietes, das sind 7,6 Mio ha, unter den verschiedenen Stadien der Wüstenausbreitung zu leiden haben (Ende der 50er Jahre waren es noch 9%).

Die Wissenschaftler untersuchen die Hypothese, dass die Emission leichtflüchtiger Chlorkohlenwasserstoffe (Tetrachlorethen und Trichlorethan) Einfluss auf die zunehmende Wüstenbildung hat. Diese Substanzen werden in großem Umfang für die textil- und metallverarbeitende Industrie als Reinigungs- und Entfettungsmittel hergestellt und gelangen wegen ihrer hohen Flüchtigkeit, des Betriebes technisch veralteter Industrieanlagen und nicht ausreichend gesicherter Schadstoffdeponien in die Atmosphäre. Dort werden sie unter bestimmten Bedingungen zu dem Pflanzengift Trichloressigsäure umgewandelt. über den normalen Gasaustausch oder den Niederschlag nimmt die Vegetation diese Substanz, deren Natriumsalz in den 50er Jahren als Herbizid eingesetzt wurde, auf, was mit einer teilweise erheblichen Schädigung verbunden ist.

Den Nachweis für diese Theorie sollen chemische Analysen von Kiefernnadeln erbringen, die als Schadstoffsammler bekannt sind und zudem ohne Probleme über weite Strecken aus den Untersuchungsgebieten in die Labore transportiert werden können.

Zwei Expeditionen in das etwa 700 000 Quadratkilometern umfassende Gebiet ergaben Konzentrationen von Trichloressigsäure in Kiefernnadeln, die zum Teil über denen aus industriell höher belasteten Referenzgebieten Mitteldeutschlands liegen. So kommen sie zur Annahme, dass diese flächenhafte Deposition ein bedeutendes ökotoxikologisches Risiko für die dortige empfindliche Steppen- und Halbwüstenvegetation darstellt und entscheidenden Anteil an der zunehmenden Verwüstung im Südosten Europas haben könnte.

Derzeit bereitet die internationale Wissenschaftlergruppe eine dreiwöchige Expedition auf die nordrussische Kola-Halbinsel vor (Start am 15. Juni). Ziel sind Messungen von meteorologischen und luftchemischen Parametern sowie Untersuchungen, die eine vergleichende Betrachtung maritimer und kontinentaler klimatischer Einflüsse auf die Bildung von Trichloressigsäure in der Atmosphäre bzw. ihren Eintrag in die Vegetation ermöglichen sollen.

Ansprechpartner:

Dr. Ludwig Weißflog
UFZ-Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle GmbH
Sektion Chemische Ökotoxikologie
Permoserstraße 15
04318 Leipzig
Telefon: 0391/8507-453
Fax: 0391/8507-500