Pressemitteilung vom 28. Oktober 2010

Ein komplexes Netz für pflanzliche Vielfalt

Fachmagazin Nature veröffentlicht umfassende Analyse der Nahrungsbeziehungen

Jena/Halle(Saale). Die Vielfalt an Pflanzenarten hat starken Einfluss auf Interaktionen zwischen den Lebewesen. Das geht aus Ergebnissen eines nunmehrachtjährigen Experimentes zu den Auswirkungen der Artenvielfalt von Pflanzen auf das Funktionieren des gesamten Nahrungsnetzes hervor, die am Donnerstag im Fachmagazin Nature veröffentlicht wurde. Die unteren Ebenen des Nahrungsnetzes reagieren dabei empfindlicher auf den Rückgang von Pflanzenarten als höhere Ebenen. Das schließt ein internationales Forscherteam aus der Analyse der Fauna und Flora auf und im Boden von Untersuchungsflächen in Jena. Die Effekte, die die Forscher auf den höheren Ebenen des Nahrungsnetzes beobachteten, entstanden indirekt durch Dominoeffekte aus unteren Ebenen des Nahrungsnetzes.

Mikroskopische Darstellung der zerbrochenen Spore eines arbuskulären Mykorrhizapilzes aus der Gattung Gigaspora

Mikroskopische Darstellung der zerbrochenen Spore eines arbuskulären Mykorrhizapilzes aus der Gattung Gigaspora (200-fache Vergrößerung). Gut zu erkennen sind hierbei die einzelnen Sporenwände und die knollenförmige Erweiterung am Ende der Traghyphe, die für eine Bestimmung des Pilzes relevant sind.
Foto: Stephan König/UFZ

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Überblick über die Versuchsflächen des Jena-Experimentes.

Überblick über die Versuchsflächen des Jena-Experimentes. Diese Aufnahme aus dem Jahr 2007 zeigt die experimentelle Anordung der insgeamt 90 großen (Größe 20x20m) und 345 kleinen (3.5x3.5m) Untersuchungs-flächen des 10 ha umfassenden Biodiversitätsexperimentes.
Foto: Alexandra Weigelt, Christoph Scherber
http://the-jena-experiment.de

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Die biologische Vielfalt unseres Planeten geht in beispielloser Geschwindigkeit zurück, doch unsere Wirtschaft ist stark abhängig von biologischen Ökosystem-Dienstleistungen wie Bestäubung und Schädlingskontrolle. Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse deuten an, dass das Verschwinden von primären Produzenten aus terrestrischen Ökosystemen zu Verschiebungen im Nahrungsnetz zur Folge haben - mit besonders starken Auswirkungen auf den unteren Nahrungsebenen. An der von der Universität Jena koordinierten Langzeitstudie waren mehrere Dutzende Wissenschaftler aus 22 Instituten beteiligt - darunter auch drei Wissenschaftler vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle.

In ihrem Feldexperiment von 2002 bis 2009 konnte das Forscherteam zeigen, dass sich der Rückgang von Pflanzenarten auch auf den anderen Ebenen des Nahrungsnetzes auswirkt: "Zum Beispiel kann ein Rückgang der Pflanzenvielfalt dazu führen, dass auch die Vielfalt von Pflanzenfressern, räuberischen Arten, Parasiten und Allesfressern zurückgehen, was sich auf Wechselwirkungen wie die Bestäubung von Blütenpflanzen oder die Symbiose zwischen Pilzen und Pflanzen auswirkt", erläutert Dr. Christoph Scherber von der Universität Göttingen, Erstautor der Publikation, die Daten aus 15 Teilprojekten zusammenfasst. Dagegen verhindert eine höhere Vielfalt an Pflanzenarten das Eindringen fremder Pflanzenarten in die Artengemeinschaften und reduziert die Befallsintensität der Pflanzen mit pathogenen Pilzen.

Zu dem Experiment gehörten auch Untersuchungen zu den Auswirkungen im Boden. Dazu wurde unter anderem die Vielfalt an Mykorrhiza-Pilzen untersucht, die in Symbiose mit den Pflanzenwurzeln leben. Bei dieser Lebensgemeinschaft, die wie ein riesiges Röhrensystem den Boden durchzieht, versorgen die Pilze die Pflanzen mit Bodennährstoffen und erhalten dafür Kohlenhydrate von den Pflanzen. In den Untersuchungen zeigte sich, dass mit einer steigenden Anzahl an Pflanzenarten auch die Zahl der Pilztypen zunahm. Dies wirkte sich außerdem positiv auf den Bodenwassergehalt und damit auf die Produktivität aus. Dr. Stephan König vom UFZ, dessen Doktorarbeit im Rahmen dieses Grundlagenexperiments entstand, blickt voraus: "Obwohl diese Pilze seit über 400 Millionen Jahren auf der Erde existieren, wissen wir immer noch vergleichsweise wenig über sie. Das Wissen könnte uns aber helfen, vielleicht in Zukunft die Erträge in der Landwirtschaft mit solchen Pilzen zu steigern und damit Dünger und dessen negative Auswirkungen auf die Umwelt zu vermindern."

Das Jena-Experiment ist mit einer Fläche von 10 Hektar eines der größten ökologischen Feldexperimente mit Graslandschaften weltweit, aus dem bisher über 70 wissenschaftliche Publikationen hervorgegangen sind. Am Nordrand der thüringischen Stadt Jena begannen Wissenschaftler im Jahr 2002 einen Langzeitversuch. Dazu wurden insgesamt 90 Felder mit einer Größe von 20 x 20 Metern eingerichtet, auf denen jeweils eine unterschiedliche Anzahl an Gräsern, stickstoff-fixierenden Leguminosen und anderen Kräutern angesät wurde. Der Standort im Mittleren Saaletal wurde unter anderem ausgewählt, weil die typische Grünlandvergetation von Flussaueen wie dieser sehr artenreich ist und mehr als 30 Pflanzenarten pro Quadratmeter beherbergen können. Allerdings sind diese ursprünglichen sehr artenreichen Lebensräume durch die Intensivierung der Landwirtschaft in Mitteleuropa inzwischen stark geschrumpft. "Das Besondere an diesem Großexperiment ist, dass hier erstmals weit mehr Faktoren gleichzeitig untersucht worden sind als in vorangegangen Experimenten", erklärt der Bodenökologe Prof. François Buscot vom UFZ. "Bodenorganismen wurden früher nicht so stark berücksichtigt. Dabei zeigt die Untersuchung, dass auch deren Artenzusammensetzung eine große Rolle spielt."

Ohne Langzeitbeobachtungen sind viele Effekte in der Natur nicht erkennbar. Deshalb wurde in den letzten Jahren ein Netzwerk für ökologische Langzeitforschung (LTER-D) aufgebaut, das in Deutschland verschiedene Flächen vom Wattenmeer bis zum Bayerischen Wald untersucht. Seit kurzem sind auch die Exploratorien für funktionelle Biodiversitätsforschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in der Schorfheide, im Hainich und der Schwäbischen Alp dabei. Die Erfahrungen vom Jena-Experiment fließen in diese mit ein.
Tilo Arnhold

Publikation

Christoph Scherber, Nico Eisenhauer, Wolfgang W. Weisser, Bernhard Schmid, Winfried Voigt, Markus Fischer, Ernst-Detlef Schulze, Christiane Roscher, Alexandra Weigelt, Eric Allan, Holger Beßler, Michael Bonkowski, Nina Buchmann, François Buscot, Lars W. Clement, Anne Ebeling, Christof Engels, Stefan Halle, Ilona Kertscher, Alexandra-Maria Klein, Robert Koller, Stephan König, Esther Kowalski, Volker Kummer, Annely Kuu, Markus Lange, Dirk Lauterbach, Cornelius Middelhoff, Varvara D. Migunova, Alexandru Milcu, Ramona Müller, Stephan Partsch, Jana S. Petermann, Carsten Renker, Tanja Rottstock, Alexander Sabais, Stefan Scheu, Jens Schumacher, Vicky M. Temperton & Teja Tscharntke (2010):
Bottom-up effects of plant diversity on multitrophic interactions in a biodiversity experiment. Nature. 28.10.2010
http://dx.doi.org/10.1038/nature09492
Die Studie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert (FOR 456).

Weitere Informationen

Professor Dr. rer. nat. habil. Dr. François Buscot, Dr. Stephan König
Department Bodenökologie, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Tel.: 0345-558-5221, -5101
Professor Dr. rer. nat. habil. Dr. François Buscot
Dr. Stephan König

PD Dr. rer. nat habil. Christiane Roscher
Department Biozönoseforschung, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Tel. 0345-558-5317
PD Dr. Christiane Roscher

Dr. rer. nat. Christoph Scherber
Universität Göttingen
Tel. 0551-398-807
Dr. rer. Nat. Christoph Scherber

Prof. Dr. rer. nat. habil. Wolfgang W. Weisser, Dr. Anne Ebeling
Universität Jena
Tel. 03641-949-410, -437
Prof. Dr. Wolfgang W. Weisser
Anne Ebeling

oder über

Pressestelle
Tilo Arnhold
Telefon: (0341) 235 1269
presse@ufz.de

Weiterführende Links

Das Jena Experiment
www.ufz.de/index.php?de=7000
http://the-jena-experiment.de

Netzwerk für ökologische Langzeitforschung (LTER-D)
wwww.lter-d.ufz.de

Gras oder Kräuter? (Pressemitteilung vom 11.08.2010)
www.ufz.de/index.php?de=19799

2010 - Das Internationale Jahr der Biologische Vielfalt

Die Vereinten Nationen haben 2010 zum Internationalen Jahr der Biologischen Vielfalt erklärt. Ziel ist es, dass Thema biologische Vielfalt mit seinen vielen Facetten stärker in das öffentliche Bewusstsein zu rücken. Mit seiner Expertise trägt das UFZ dazu bei, die Folgen und Ursachen des Biodiversitätsverlustes zu erforschen sowie Handlungsoptionen zu entwickeln. Mehr dazu erfahren Sie unter:
www.ufz.de/index.php?de=16034 und (§fgetfiler_78672

Biodiversitätsforschung in Deutschland

Die Biodiversitätsforschung in Deutschland ist auf zahlreiche Institutionen wie Hochschulen, außeruniversitäre Einrichtungen und Ressortforschung bis hin zu Naturschutzverbänden und Firmen verteilt. Das Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung, ein Projekt im Rahmen von DIVERSITAS-Deutschland, möchte der Forschungscommunity deshalb eine gemeinsame institutionsunabhängige Kommunikationsstruktur und -kultur anbieten. Mehr dazu erfahren Sie unter:
www.biodiversity.de

Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg über 900 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

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