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UFZ-Newsletter Oktober 2015

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ UFZ-Newsletter | Oktober 2015 7 der Energieinfrastruktur ein Zeitfenster von 35 Jahren bis 2050. Wenn wir jedoch so weitermachen wie bislang, dann wird das ein Jahrhundertprojekt. Was heißt das für die konkrete Stadtpla- nung? Bleiben wir der Einfachheit halber beim Energiebereich. Die Stadtplanung hat es mit den unterschiedlichsten Transformations- prozessen zu tun: Von einer Stadt, die viel Energie braucht, zu einer Stadt, die wenig Energie braucht; von einer Stadt, die von fossilen Energieträgern abhängig ist, zu einer Stadt, die davon komplett unabhängig ist; von einer Stadt, die viel CO2 emittiert, zu einer Stadt, die kaum CO2 emittiert usw. Dafür müssen nahezu alle Infrastrukturen umgebaut werden. Pläne gibt es dafür schon sehr gute, auch Technologien. Das Problem ist, dass die Städte gar nicht die finanziellen Ressourcen haben, das alles in der notwendigen Geschwindigkeit anzupa- cken. Und nicht weniger problematisch ist es, alle Akteure mit jeweils unterschied- lichen Interessen einzubinden – Gremien, Behörden, Vereine, Unternehmen, Bürger etc. Mit anderen Worten: Man weiß, was man technologisch machen müsste, aber wie man das Ganze wirtschaftlich und ins­ titutionell über lange Zeiträume gestaltet, das weiß man nicht. Wie weit sind wir eigentlich von der CO2 - neutralen Stadt entfernt? Davon sind die meisten deutschen Städ- te noch ziemlich weit entfernt. Denn wir beobachten, dass sich kaum Reduktionen erreichen lassen, weil die Effekte, die man durch Einsparung oder Umstellung auf Er- neuerbare erzielt, überkompensiert werden. Durch höhere Verbräuche von größeren Autos, mehr gefahrene Kilometer oder größere Wohnflächen. Wir bezeichnen das als „Rebound-Effekt“. Einige Kleinstädte in Deutschland gehen positiv voran. Delitzsch zum Beispiel, eine 25.000-Einwohner-Stadt nördlich von Leipzig, hat die Produktion von Energie und Wärme praktisch auf Erneuerbare umgestellt und ist rechnerisch „stromenergieautark“. Betrachtet man die Großstädte, sind es vor allem die Skandina- vier, die schon sehr weit sind. Kopenhagen etwa, die „grüne Hauptstadt Europas“, will als erste Metropole der Welt bis 2025 CO2 -neutral sein. Davon können deutsche Großstädte eine Menge lernen, auch Leipzig. Welche Rolle spielt Forschung? Forschung sollte natürlich das entsprechen- de Know-how zur Verfügung stellen. Das sind technische Lösungen, aber vor allem auch Wirtschaftskonzepte, institutionelle Lösungen, Vorschläge für Governance- Strukturen. Dafür, wie man die Bevölkerung am besten mitnimmt oder wie man kleine Lösungen auf eine größere Ebene über- trägt – oder in eine andere Stadt. Da gibt es auch Bewegung in der Wissenschaft, die viel stärker anwendungsorientiert arbeitet, als noch vor Jahren. Im Rahmen von Urban Labs beispielsweise entwickeln die Akteure eines konkreten Standortes gemeinsam mit Wissenschaftlern Modelle, wie so eine Transformation gelingen kann. Wo liegt die spezielle Expertise des UFZ? Eine Spezialität ist, dass wir auch im Helmholtz-Vergleich schon sehr lange Stadtforschung machen – nämlich seit Gründung des UFZ vor fast 24 Jahren. In dieser Zeit haben wir beachtliche Expertise aufgebaut zu ganz unterschiedlichen Fragen rund um Transformation, Stadtökologie, Suburbanisierung, Reurbanisierung, Stadt- umbau, Governance usw. Der zweite Punkt ist, dass wir von Beginn an die interdiszip- linäre Zusammenarbeit mit den Natur- und Technikwissenschaftlern des UFZ gepflegt haben, die sich zum Beispiel mit Biodiversi- tät, dezentraler Abwassertechnologie oder Geothermie befassen. Drittens haben wir uns in der gesamten Zeit immer mit den großen Herausforderungen wie Nachhaltig- keit, Resilienz, Vulnerabilität, Schrumpfung oder Flächeninanspruchnahme beschäftigt. Da haben wir unter den deutschen und auch europäischen Stadtsoziologen lange Zeit eine Nische besetzt, die jetzt Mainstream geworden ist. Viertens schließlich haben wir von Beginn an mit ganz unterschiedlichen Akteuren der Stadtentwicklung zusammen- gearbeitet – aus Politik und Verwaltung, Un- ternehmen und der Zivilgesellschaft. Daraus sind zahlreiche langjährige Kooperationen entstanden. Schöne Beispiele dafür sind die Lokale Agenda 21, die das UFZ etwa Mitte der 1990er Jahre in Leipzig mitgegründet hat und in der wir noch immer aktiv sind. Oder die Langzeitstudie Leipzig Grünau, die vom Stadtteilladen bis zur Wohnungswirt- schaft mitgetragen wird und Aussagen zur soziodemographischen und städtebaulichen Entwicklung dieser Großwohnsiedlung über mehr als 35 Jahre ermöglicht. Oder das Projekt „Leipzig Weiter denken“, wo wir mit vielen verschiedenen Akteuren der Stadtent- wicklung – auch Bürgerinnen und Bürgern – Themen wie „Energetische Sanierung“ oder „Nachhaltige Finanzen“ analysiert und disku- tiert haben. Leipzig spielt also nach wie vor eine große Rolle … Aber ja, für uns ist es sozusagen das „Labor vor der Haustür“ und „der“ exemplarische Fall postsozialistischer Transformation. Deshalb haben wir die Stadt in vielen großen internationalen Projekten – etwa zu Themen wie Suburbanisierung, Schrumpfung oder Reurbanisierung – immer wieder als ein Fall- beispiel genutzt und dadurch natürlich eine beachtliche Expertise für Leipzig entwickelt. Leipzig ist freilich auch ein Extrem- und damit Sonderfall. Im Zuge der Urbanisierung des 19./20. Jahrhunderts ist die Stadt stark gewachsen, dann ist sie wie kaum eine ande- re europäische Stadt über sehr lange Zeit – etwa 70 Jahre – geschrumpft. Um das Jahr 2000 begann sie wieder zu wachsen und ist derzeit die am schnellsten wachsende Großstadt Deutschlands. Hinzu kommt der Wechsel der politischen Verhältnisse, der mit vielen Brüchen verbunden war. Na, wenn das nicht alles spannend ist für Soziologen! Wo sind die UFZ-Stadtforscher internati- onal aktiv? Nachdem sich die UFZ-Stadtforschung in den Anfangsjahren hauptsächlich mit den regionalen Umweltproblemen befasste, ka- men Mitte der 1990er Jahre nach und nach internationale Kooperationen hinzu: Zum ei- nen wurden systematisch Kontakte in einige Länder Osteuropas aufgebaut, weil hier die Städte natürlich ähnliche Probleme wie wir mit der postsozialistischen Transformation hatten, und die Idee darin bestand, unser Wissen gut übertragen zu können. Zum anderen wurden Kontakte nach Südamerika aufgebaut, wo uns die Anpassung großer Metropolen an den Klimawandel beschäftigt; und seit einigen Jahren sind wir auch in Afri- ka aktiv, wo es um den Klimawandel und die Vulnerabilität geht. Das heißt, wir befassen uns mit ausgewählten Themen in ausgewähl- ten Regionen. Und Ihre persönliche Vision von einer Stadt wie Leipzig im Jahr 2050? Ich bin weniger Visionär als analytisch empirisch arbeitender Stadtsoziologe. Wenn ich mir jedoch etwas wünschen könnte, wäre das eine CO2 -neutrale Stadt, und zwar eine, die sich alle Menschen noch leisten können. Wo es gemischte Wohnquartiere gibt, viele öffentliche Frei- und Grünflächen, in denen man sich begegnen und austauschen kann. Und ich hoffe, dass es auch in 30 Jahren noch wache, mündige und mitunter auch auf- müpfige Bürger gibt, die sich für ihre Stadt interessieren und sie friedlich mitgestalten. Das Interview führte Susanne Hufe Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ UFZ-Newsletter | Oktober 20157

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