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UFZ-Newsletter Oktober 2014

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ UFZ-Newsletter | Oktober 2014 3 vor allem in Bächen und Flüssen untersucht. Und der Trend, den sie dort festgestellt ha- ben, verheißt nichts Gutes: In mehr als der Hälfte aller Gewässer, die durch pestizidbe- handelte Felder fließen, findet sich nur die Hälfte der eigentlich typischen Artenvielfalt. Im Sinne der Europäischen Wasserrahmen- richtlinie ist das nicht. Schließlich fordert diese, dass alle Gewässer in einem guten ökologischen Zustand sein sollen. Nur dann funktionieren nämlich die Selbstreinigungs- kräfte und verschiedene andere Dienst- leistungen, von denen auch der Mensch profitiert. bessere tests Wie aber kommt der Schwund der Wasser- bewohner überhaupt zustande? Bevor ein Pestizid zugelassen wird, müssen seine Umweltauswirkungen schließlich ausführlich getestet werden. Dazu sind Laborversuche vorgeschrieben, die bestimmte Organis- men wie Algen oder Wasserflöhe mit der jeweiligen Substanz konfrontieren. Dabei wird zum Beispiel dokumentiert, ob und in welchen Konzentrationen die Verbindung das Überleben oder die Fortpflanzungsrate dieser Lebewesen beeinflusst. Die Konzen- tration, bei der eine solche Wirkung eintritt, wird dann noch um einen Sicherheitsfaktor verringert. So lässt sich ein Grenzwert ermitteln, bis zu dem den Bewohnern von Bächen und Flüssen eigentlich keine Gefahr drohen sollte. „Das Problem ist allerdings, dass man die Situation im Labor nicht ohne Weiteres auf die Verhältnisse im Freiland übertragen kann“, sagt Matthias Liess. Denn zum einen werden als Test-Arten nicht unbedingt die empfindlichsten Wasserbewohner ausge- wählt, sondern eher diejenigen, die sich gut züchten und halten lassen. Zum anderen steht jedes Tier im Freiland einer ganzen Palette von Feinden, Konkurrenten und anderen Widrigkeiten gegenüber. Diese Herausforderungen aber kann es umso schlechter meistern, je stärker es durch den Chemikaliencocktail in seiner Umgebung geschädigt ist. Matthias Liess vergleicht das gern mit ei- nem Menschen, der sich eine halbe Flasche Wein genehmigt hat. „Wenn er zuhause im Fernsehsessel sitzt, ist das sicher nicht tödlich“, sagt der Forscher. „Wenn er aber eine vielbefahrene Straße überqueren soll, sinken seine Überlebenschancen deutlich.“ Ähnlich geht es auch den Gewässerbewoh- nern unter Pestizideinfluss: Im Freiland sind viele zwischen zehn und hundert Mal empfindlicher als im Labor. Deshalb führen Konzentrationen, die nach gängigen Tests als unbedenklich gelten, in der Realität doch immer wieder zu Schäden. Matthias Liess und seine Kollegen arbeiten daher an Methoden, mit denen sich die Umweltaus- wirkungen von Pestiziden besser beurteilen lassen. Und sie bringen ihr Wissen an den Stellen ein, wo politische Entscheidungen wissenschaftlich vorbereitet werden, etwa für oder gegen ein Pestizid. Auf europäi- scher Ebene ist das die Behörde für Lebens- mittelsicherheit (EFSA), in der sich Matthias Liess seit 2009 sowohl für eine einfachere als auch realistischere Risikobewertung einsetzt. Ein Experiment, von dem der Wissenschaft- ler in den nächsten Jahren viele neue Er- kenntnisse erwartet, startet zu Beginn 2015 am UFZ. Es handelt sich um eines der welt- weit größten Fließrinnen-Experimente, be- stehend aus 47 künstlichen Fließrinnen mit jeweils 14 Metern Länge. Darin lassen sich die Verhältnisse in einem natürlichen Bach deutlich realitätsnäher simulieren als in einem Laborbecken mit ein paar isolierten Wasserflöhen: In den künstlichen Bächen können die Forscher Lebensgemeinschaften aus 30 bis 50 Arten ansiedeln und sie mit verschiedenen Pestiziden, in verschiedenen Konzentrationen und unterschiedlicher Dauer konfrontieren. So lassen sich zum Beispiel die Auswirkungen auf Tiere erfas- sen, die durch Konkurrenz und Räuberdruck gestresst sind. In einer ähnlichen, kleineren Anlage haben die Forscher auf diese Weise schon Interessantes herausgefunden. Zum Beispiel, dass auch Fließgewässerorganis- men empfindlich auf geringe Konzentratio- nen der bienenverwirrenden Neonicotinoide reagieren. Oder dass die Wasserbewohner unter Pestizideinfluss dreißigmal anfälliger gegen Räuber sind. PESTIZIDE IN ZAHLEN Weltweit sind derzeit rund 5.000 Pestizide als Pflanzenschutz- mittel oder zur Bekämpfung anderer Schädlinge im Einsatz. In Deutschland waren im Jahr 2013 748 mittel mit 269 verschie- denen wirkstoffen zugelassen. Die meisten davon verwenden Landwirte gegen Unkräuter oder Pilzkrankheiten auf Äckern und Grünland. Aber auch Hausbesitzer und Kleingärtner hantieren eifrig mit der Giftspritze: über 500 tonnen Pestizide werden in Deutschland pro Jahr in privaten Gärten verteilt. Der Absatz von Pestiziden ist in Deutschland in den letzten Jahren angestiegen: In den meisten Jahren zwischen 1995 und 2005 wur- den rund 35.000 tonnen wirkstoff im Inland verkauft, 2013 da- gegen 44.000 tonnen.* Der Nettoinlandsumsatz beim Verkauf von Pflanzenschutzmitteln betrug 2013 1,5 milliarden euro. Das be- deutet im Vergleich zum Vorjahr einen Zuwachs von 7,5 %. Auch der Weltpflanzenschutzmarkt erwirtschaftete 2013 ein Plus von 6,1 % und beläuft sich damit auf nunmehr 38,5 milliarden euro.** Foto:DavidKay/Shutterstock.com * nach Angaben des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit ** nach Angaben des Industrieverbands Agrar e.V. Die großflächige Ausbringung von Pestiziden per Flugzeug ist weltweit üblich, in der EU jedoch mittlerweile untersagt.

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