umweltperspek tiven der ufz - newsletter | dezember 2017 i n t e r v i e w also ersetzen sie beschleunigung durch verlangsamung? nein. das ist keine lösung in einem system der dynami- schen stabilisierung. ich kann jetzt nicht einfach sagen, lass uns langsamer machen. eine langsame achterbahn stürzt ab, ein langsamer notarzt ist tödlich, ein langsames internet ist nervig. es geht um eine andere art des in-beziehung-tre- tens der menschen und kollektive zur welt. es geht um eine adaptive stabilisierung. das heißt, eine gesellschaft muss in der lage sein, zu wachsen, zu beschleunigen und zu innovieren, um den status quo zu ändern. sie soll aber nicht zur steigerung gezwungen werden, um ihren status quo zu erhalten. also heißt das, mehr brot zu produzieren, wenn es in einer region an nahrungsmitteln mangelt. wenn ein neuer virus auftritt, dann brauchen wir beschleunigt eine innovation, um dieses problem zu lösen. so haben kulturen immer funktioniert. das nenne ich adaptive stabilisierung. aber wenn ich am anfang des jahres sage, wir müssen so- und soviel wirtschaftswachstum haben, obwohl wir schon autos und andere güter im überfluss haben, ist das ein durch und durch perverser zustand. ganz praktisch geht es um eine ökonomische transformation in richtung wirt- schaftsdemokratie, die verstaatlichung von finanzmärkten. bedingungsloses grundeinkommen und globale erbschafts- steuer wären eine sozialstaatliche transformation hin zur abkehr von der erzwungenen steigerung. schließlich bedarf es einer kulturellen transformation. wir brauchen einen anderen maßstab von lebensqualität. dafür haben sie den begriff der resonanz geprägt. was ist damit gemeint? es geht um resonanz statt reichweite. wir sollten auf eine andere weise mit der welt in beziehung treten. durch affizierung – also das einwirken – und emotion, durch intrinsisches, von innen kommendes interesse und selbst- wirksamkeitserwartung entsteht eine neue form der welt- beziehung, in der sich mensch und welt gegenseitig zu berühren und damit zu transformieren scheinen. resonanz bedeutet, dass beide seiten mit eigener stimme sprechen und sich jeweils vom anderen erreichen lassen. es ist die beziehung des hörens und antwortens – auf menschen, die natur, ein buch, ein musikstück. wo erfährt man resonanz? die verheißungen der religion, die stimme der kunst, der mantel der geschichte und vor allem die stimme der natur sind sphären der resonanz. wer in den wald, ans meer oder auf die berge geht, erfährt resonanz. der ist von der natur berührt, inspiriert, öffnet sich. er erfährt antworten, lässt sich von etwas ansprechen. auch die wissenschaft, das forschen, kann resonanz erzeugen. aber klar ist auch: sie können nie garantieren, dass sich resonanz ereignet. sie können ihre lieblingsmusik hören und trotzdem an einem bestimmten tag keine resonanz erfahren. deshalb lässt sich resonanz auch nicht steigern, vermehren, akkumulieren. beschleunigung bedeutet auch, schneller zu konsumieren. wäre die umkehr demnach auch gut für unsere natürlichen ressourcen? ganz sicher. der umgang mit ressourcen würde nicht mehr der zwanghaften dynamischen stabilisierung folgen. da s i n t e r v i e w f ü h r t e s t e f f e n r e i c h e r t. die helmholtz environmental lecture (hel) ist eine öffentliche veranstaltungsreihe des ufz, in der seit 2009 herausragende persönlichkeiten aus politik, wirtschaft und wissenschaft zu wichtigen ökologischen, sozio-ökonomischen und sozialen fragen stellung beziehen und sie dann mit dem plenum – durchaus auch kontrovers – diskutieren. bisherige gastredner: klaus töpfer, hans joachim schellnhuber, achim steiner, jochen flasbarth, angelika zahrnt, frank schirrmacher †, ernst ulrich von weizsäcker, ottmar edenhofer, stephan kohler, thilo bode, matthias horx, michael braungart, hartmut rosa. 21