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UFZ-Newsletter Dezember 2015

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ UFZ-Newsletter | Dezember 2015 11 keine Kultur, kein gesellschaftliches Denken, keine ZUKUNFT geben kann. Sie sprechen von Öko-Modernismus, der sich Raum schafft. Welche Trends erwar- ten Sie für die nächsten Jahre? Die klassische „grüne” Ökologie hat ja stark mit den Mitteln der Angststeigerung gear- beitet. In einer alarmistischen Medien-Kultur, die von Angst geradezu überschwemmt ist, lockt aber das katastrophische Warnen nie- manden mehr hinter dem Ofen hervor. Eine „blaue” Ökologie bildet das Ökologische eher als vitalen, dynamischen Prozess ab, in dem die Kräfte der Kreativität ­– das Urprinzip der Natur – die wichtigste Rolle spielen. Diese neue, modernere Ökologie wird Techno- logie und Natur auf einer höheren Ebene versöhnen. Der Cradle-to-Cradle-Protagonist Michael Braungart spricht von „Intelligenter Verschwendung”. Denken wir etwa an die Energiefrage: Wir haben demnächst so viel erneuerbare Energiequellen, dass es für ALLE mehrfach reichen wird. Angst- und Knappheitsmodelle führen zu Fehlreakti- onen. Zum Beispiel kaufen wir aus lauter Furcht Energiesparlampen, die Quecksilber enthalten – eine Steinzeit-Technologie! Ein großer Trend ist die Urbanisierung der Welt. Die Menschen zieht es in die Städte. Fluch oder Segen – oder beides? Städte sind wie Organismen, in denen sich emergente systemische Komplexität entwi- durch den Club of Rome postuliert wurde – danach müsste das Öl längst zu Ende und alle Nahrung verbraucht sein? Ist Staatsver- schuldung immer schlecht? Gibt es heute mehr oder weniger Finanzkrisen als vor 100, 200, 50 Jahren – oder nehmen wir diese nur anders wahr? Unsere Wahrnehmungen der historischen Prozesse sind verzerrt; deshalb müssen wir uns mit den verschiedenen „Biases” auseinandersetzen, mit denen die humane Psyche Zukunft konstruiert. Pessi- mismus wie Optimismus sind ja Gefühlswel- ten, es geht eher um einen „Possibilismus” – um eine Narration des Möglichen. Inwieweit müssen sich Zukunftsforscher selbst korrigieren, wenn die Zukunft eine „andere“ Realität wird als vorhergesagt? Fragen wir also nach dem Vermögen nach selbstkritischer Auseinanderset- zung mit eigenen Prognosen. Es gibt ein gerade erschienenes Buch von Philip E. Tetlock: „SUPERFORECASTING – The Art and Science of Prediction”. Das ist eine Langfrist-Evaluation über die Qualität von Prognosen, mit der Teilnahme von 20.000 Experten. Darin wird herausgear- beitet, wie und warum einige Prognostiker deutlich besser sind als andere. Unter an- derem, weil sie eine „Kultur des vernetzten Zweifelns” entwickelt haben. Seit den 1970er-Jahren sind gesellschaft- liche Debatten zunehmend von der Frage nach dem verantwortungsvollen Umgang mit Natur und Ressourcen geprägt. Inzwischen ist die Ökologie ein Kernbe- reich des Handelns nahezu aller Regie- rungen und zahlreicher Institutionen. Hat sich die Menschheit da weiterentwickelt und dürfen wir für die Zukunft optimis- tisch sein? Ja, das dürfen wir, wobei in diesem „dürfen” schon wieder eine seltsame Verzerrung der Frage mitschwingt. „Dürfen” wir optimistisch sein? Diese Frage könnte nur eine göttliche Macht beantworten, denn sie erfordert eine kategoriale Antwort auf höchster Autori- tätsebene. Hier eine These: Der Ökologis- mus ist zur Religion unserer Zeit geworden, und gerade deshalb funktionieren ökologi- sche Diskurse so gut: Weil sie Kategorien der Schuld, der Strafe und der Sünde in sich aufnehmen, die früher in traditionellen Glau- bensverhältnissen gebunden waren. Das Problem ist, dass die verkürzten Modelle ei- ner Knappheits- und Katastrophen-Welt uns immer in ein Dilemma zwischen „gerade- noch-hoffen-dürfen” und „verzweifeln MÜS- SEN” hineintreiben. Ich würde dagegen das Primat der Zuversicht setzen, ohne das es ckelt. In Städten können Menschen sozialer, effektiver, „reicher” leben. Es ist auch für die Artenvielfalt gut, wenn sich die Mensch- heit von der Fläche zurückzieht. Wenn demnächst 75 Prozent der Menschen in Städten leben, ist das eine gute Nachricht. Vor allem, weil wir langsam lernen, wie wir bessere Städte jenseits der Industriestadt bauen und entwickeln können. Sie sehen sich selbst als leidenschaft- lichen Europäer, pendeln zwischen London, Frankfurt und Wien. Wie sieht Ihre Prognose für das Projekt Europa angesichts schwerer finanzieller Verwer- fungen und der Flüchtlingskrise aus? In Sachen Europa leben wir heute in einem „expectation hangover“. Wir haben nach dem Fall des eisernen Vorhangs irrwitzig viel von Europa erwartet: Europa, diese ganz junge Staatengemeinschaft, sollte uns allen ganz schnell Harmonie, endloses Wachstum und den Weltfrieden bringen ­– am besten ohne Kosten und Probleme! Das war eine kindliche Erwartungshaltung. Ich kenne keine gute Partnerschaft, kein Unterneh- men, keine Gemeinschaft, die nicht durch Krisen und Herausforderungen gereift wäre. Ich finde, Europa hält sich den Umständen entsprechend sehr gut. Es wird dazulernen. Es wird wachsen und klüger werden. Aber nur, wenn wir das als europäische Bürger auch tun, anstatt immer nur auf „Brüssel” zu schimpfen! Das Interview führte Steffen Reichert Matthias horx Matthias Horx, geboren 1955 in Düsseldorf, studierte Soziologie. Danach arbeitete er als Comiczeichner und Science-Fiction-Autor. Bis 1991 war Horx zugleich Autor und Redakteur bei TEMPO, ZEIT und MERIAN in Hamburg. 1993 eröffnete er mit Peter Wippermann das Hambur- ger „Trendbüro“. Fünf Jahre später wurde das Zukunftsinstitut in Frankfurt/M. gegründet, das heute auch in Wien und in München ansässig ist. Es berät zahlreiche Unternehmen, Führungskräfte und Institutionen (www.zukunftsinstitut.de). Seit 2007 ist Matthias Horx Gastdozent u. a. an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen. Der 60-Jährige lebt überwiegend in Wien, wo er seit 2010 mit seiner Frau, der englischen Journalis- tin Oona Strathern, und seinen zwei Söhnen das „Future Evolution House“ (www.zukunftshaus.at) bewohnt. Horx hat zahlreiche erfolgreiche Bücher geschrieben, wie etwa „Das Buch des Wandels: Wie Men- schen Zukunft gestalten.“ (2009)“, „Das Megatrend-Prinzip – Wie die Welt von Morgen entsteht.“ (2011) oder „Zukunft wagen: Über den klugen Umgang mit dem Unvorhersehbaren.“ (2013). Die Helmholtz Environmental Lecture (HEL) ist eine öffentliche Veranstaltungsreihe des UFZ, in der herausragende Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu wichtigen ökologi- schen, sozio-ökonomischen und sozialen Fragen Stellung beziehen und sie dann mit dem Plenum – durchaus auch kontrovers – diskutieren. Dafür stehen auch die bisherigen Gastredner: Klaus Töpfer (2009), Hans Joachim Schellnhuber (2010), Achim Steiner (2010), Jochen Flasbarth (2011), Angelika Zahrnt (2012), Frank Schirrmacher (2012), Ernst Ulrich von Weizsäcker (2013), Ottmar Edenhofer (2013), Stephan Kohler (2014), Thilo Bode (2014), Matthias Horx (2015). Foto:KlausD.Sonntag Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ UFZ-Newsletter | Dezember 201511

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