„Jetzt müssen die Länder Farbe bekennen“

Interview mit UFZ-Klimaökonom Prof. Dr. Reimund Schwarze


Am 22. April soll der Paris-Vertrag in New York feierlich unterschrieben werden. Welche Länder sind mit dabei?

Das UN-Gebäude in New York. Foto: Dendoge / Wikimedia Commons Das UN-Gebäude in New York. Foto: Dendoge / Wikimedia Commons Mehr als 150 Länder haben zumindest schon angekündigt, das Abkommen am 22. April unterschreiben zu wollen. Über 60 Staats- und Regierungschefs haben ihr Kommen zugesagt. Jetzt gilt es, den Schwung von Paris zu halten. Ich hoffe, dass auch die Bundeskanzlerin nach New York kommt. Obama und der chinesische Präsident Xi dürften der Einladung von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon folgen. Interessant wird sein, ob Russlands Präsident Wladimir Putin anreist. Denn wer kommt und wer nicht kommt, wird über die schnelle Umsetzung des Vertrags entscheiden, das gilt es in New York dann genau zu analysieren.

Nach der Unterschrift müssen die einzelnen Länder den Vertrag noch ratifizieren – das heißt, von ihren nationalen Parlamenten beschließen lassen. Wie ist der Stand?

Die wichtigste Nachricht war die Ankündigung von China und den USA. Die beiden wollen auch noch in diesem Jahr ratifizieren. Wann das die EU tut, ist noch unklar.

Experten munkeln, dass die EU das Abkommen frühestens 2017 ratifizieren kann. Ist das überhaupt vorstellbar: Das Klimaabkommen tritt womöglich in Kraft – aber erstmal ohne den Klimaschutz-Vorreiter EU?

Rein rechnerisch ist das vorstellbar. Nötig sind 55 Staaten, die 55 Prozent des weltweiten Treibhausgas-Ausstoßes auf sich vereinen. Allein die USA und China kommen zusammen schon auf über 40 Prozent. Ich erwarte allerdings nicht, dass der Vertrag in Kraft tritt, ohne dass ihn die EU ratifiziert hat. Der Europäische Rat hat in seiner Sitzung Anfang März beschlossen, die Klimaziele der EU trotz des Erfolgs von Paris nicht zu verschärfen. Deshalb gibt es keinen Grund, warum die EU nicht auch in diesem Jahr unterzeichnen und ratifizieren sollte. Das ist leider bei allen großen Spielern der Fall – sie haben bisher nicht erklärt, ihre Klimaziele noch einmal anzupassen.

Das Hauptziel im Klimavertrag ist die Klimaneutralität ab der zweiten Jahrhunderthälfte. Was bedeutet das überhaupt?

Das heißt: Wir dürfen weiterhin Treibhausgas-Emissionen ausstoßen. Allerdings nur noch so viele, wie sie die Natur in gleichem Maße wieder aufnehmen kann. Die Kapazitäten dafür sind allerdings recht begrenzt. Deshalb ist es ausgeschlossen, dass die Welt noch auf große Bestände an fossilen Brennstoffen zurückgreifen kann. Das ist ein sehr enger Gürtel. Deshalb müssen wir die Frage der Entsorgung von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen neu stellen.

Was meinen Sie damit?

Es geht darum, die Aufnahmefähigkeit von CO2 gezielt zu erhöhen. Dazu gehört zum einen CCS, also die Abscheidung und unterirdische Speicherung von CO2, um Kohlenstoff der Atmosphäre zu entziehen. Aber auch Ökosystem-bezogene Maßnahmen, für die es in der Praxis noch keine technologischen Erfahrungen gibt – etwa die umstrittene Ozean-Düngung. Aus meiner Sicht kann darunter allerdings nicht der gesamte Apparat des sogenannten Climate Engineering fallen. Denn es gab nie einen Beschluss, dass die Nationen unter dem Aufbau der Senken auch Solar-Radiation-Management verstehen, also den gezielten Eintrag von Schwebestoffen in Wolken. Oder Solarspiegel im All. Dazu gehören dürfte allerdings der gesamte Werkzeugkasten, der manipulativ die Senken-Kapazität der Natur erhöht. Insofern ist das ein noch nicht ganz ausbuchstabiertes Ziel, die Klimaneutralität.


Wer entscheidet überhaupt, was unter den Begriff fällt und was nicht?

Das ist eine Frage an der Grenze zwischen Wissenschaft und Politik. Zunächst muss die Wissenschaft klären, welche Maßnahmen zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels möglich sind. Der Weltklimarat IPCC wurde ja durch das Paris-Abkommen entsprechend beauftragt. Hier geht es um eine riesige wissenschaftliche und technische Herausforderung. Man muss da sicher über mehr neue Techniken nachdenken als nur über CCS. Alle wissen, dass die Erde nicht genügend Kapazität hergibt, um Kohlendioxid im nötigen Umfang aufzunehmen. Da das im Endeffekt aber Risikoabwägungen sind, muss die Politik bestimmen, was gemacht wird. Denn etwa die Ozeandüngung kann ganze Meeresökosysteme gefährden, aber die Versauerung der Ozeane durch einen ungebremsten Klimawandel würde auch diese Gefahr heraufbeschwören. Hier sind am Ende politische Entscheidungen zu treffen.

Klimaanalysten sagen, dass das 1,5-Grad-Ziel wie es der Paris-Vertrag anstrebt, ohne sogenannte negative Emissionen gar nicht mehr erreicht werden kann. Kommen wir zumindest an CCS gar nicht mehr vorbei?

Das sieht so aus, in einer Übergangszeit auf jeden Fall. Wir müssen allerdings noch über weitere Maßnahmen zur Abscheidung von Treibhausgasen aus der Atmosphäre nachdenken, die aus heutiger Sicht fast noch gefährlicher erscheinen, als einfach Kohlendioxid in den Boden zu pumpen. Ich halte es für unausweichlich, dass die Welt zumindest in die wissenschaftliche Erforschung einsteigt. Und dann sehr zeitnah die Technologie zur Demonstration entwickelt – so wie es der Paris-Vertrag fordert.


Gibt es irgendwelche Alternativen zu den riskanten Technologien, um das 1,5 Grad Ziel trotzdem noch zu erreichen?

Natürlich können wir auch auf bisher ungeahnte technologische Durchbrüche bei der Vermeidung hoffen. Oder wie der Weltklimarat auf die Technologie der Bioenergie in Verbindung mit der Kohlenstoffverbringung setzen, das sogenannte BECCS. Ich bin da aber eher skeptisch, dass das mit den Zielen der weltweiten Ernährungssicherung und dem Erhalt des Ökosystems in der Riokonvention vereinbar ist. Was auf jeden Fall helfen würde, wäre eine bessere, weltweite Überwachung der Treibhausgas-Emissionen der einzelnen Länder mithilfe von Satelliten. Unsere Forschung zeigt, dass das heute schon möglich ist – und überraschende Ergebnisse zutage fördert. Nordkorea hat zum Beispiel systematisch zu wenig CO2-Emissionen unter dem alten Berichtssystem von Kyoto gemeldet.


Zeigt das Paris-Abkommen vom Dezember schon Wirkung oder ist das Momentum schon wieder verpufft?

Im Moment fahren wir noch vor dem Wind. Ganz wichtig war, Kanada wieder ins Boot zu holen. Das wurde zuletzt im März mit dem US-Kanada-Pakt untermauert. Auch die freiwilligen Kohlenstoffmärkte haben einen Impuls bekommen – nimmt man mal den kränkelnden EU-Zertifikatehandel aus. Die Erneuerbaren haben durch Paris einen zusätzlichen Schub erhalten und ziehen in der ganzen Welt massiv Investitionen an. Divestment kommt durch Paris weiter in Schwung, so hat ausgerechnet die Rockefeller-Stiftung angekündigt, aus dem Geschäft mit fossilen Brennstoffen auszusteigen. Und ein Unternehmen wie Vattenfall hat enorme Probleme, seine Kohlesparte in der Lausitz überhaupt noch loszukriegen.

Warum ist New York dann – abgesehen vom Akt der Unterschrift – wichtig?


Das Treffen ist von großer Bedeutung. Denn der Impuls kann nur aufrechterhalten werden, wenn die Umsetzung des Abkommens gesichert ist. Gar nicht auszudenken, wenn wie im Fall von Kyoto erst einmal acht Jahre lang nichts passieren würde. Oder ein einzelnes Land wie damals Russland noch massiv nachverhandelt. Dann wäre der Impuls ganz schnell wieder weg. Eine schnelle Ratifikation in den nächsten zwei Jahren ist absolut wichtig, um dieses zarte Pflänzchen wachsen zu lassen.

Halten Sie es für möglich, dass ein Land noch ausschert und sich gegen die gesamte Weltgemeinschaft stellt?

Ein Land kann das Abkommen kaum mehr aufhalten. Allein die USA, China und die EU zusammen würden ja schon das Quorum erfüllen. Vorstellbar ist allerdings, dass einzelne Länder gar nicht erst beitreten. Deswegen bin ich besonders neugierig, ob etwa Putin in New York erscheint und Russland als wichtiger Spieler zügig ratifiziert.

Ökonomen kritisieren, dass marktwirtschaftliche Instrumente zu wenig Platz im Pariser Abkommen gefunden haben. Ist das so?

Anders als im Kyoto-Protokoll gibt es im Pariser Abkommen keinerlei Ansätze zum Aufbau eines weltweiten Emissionshandels-Systems. Das ist einfach nicht vorgesehen. Es gibt nur ein sehr vages, weiches Instrument mit den sogenannten Internationally Transferred Mitigation Outcomes (ITMOs). Das ist natürlich alles andere als bindend. Der neue Mechanismus für nachhaltige Entwicklung (SDM) ähnelt dem CDM des Kyoto-Protokolls, aber ob auf der CDM-Infrastruktur von Kyoto aufgebaut werden soll, ist bislang völlig offen. Das Problem ist, der Aufbau von marktwirtschaftlichen Instrumenten liegt jetzt ganz allein in der Verantwortung der einzelnen Staaten.

Ist das ein Problem? Länder wie Russland, China und die USA arbeiten derzeit doch am Aufbau eigener Emissionshandels-Systeme?

Man kann nicht ausschließen, dass einzelne Länder diese Handelsmechanismen zu ganz anderen Zwecken nutzen – zu rein wirtschaftlichen Zwecken etwa. Was will denn eigentlich Russland, das die Hälfte seines Staatshaushalts mit dem Geschäft mit fossilen Brennstoffen deckt, mit einem Emissionshandel, wo es doch im Kern nur Nachfrager sein kann? Es sei denn, es rechnet sich gesund an irgendwelchen Kapazitäten im Aufbau von Kohlenstoff-Senken – das kennen wir ja aus der Vergangenheit. Ein anderes Problem ist die Kontrolle: Wenn die einzelnen Staaten die Verantwortung tragen, dann ist die Sicherung von Mindeststandards ziemlich schwierig. Es herrscht ein gewisser Wildwuchs. Das ist eine Schwachstelle im Paris-Vertrag.

Ist das Paris-Abkommen also nur ein Papiertiger oder ein historischer Durchbruch?

Ich bin vorsichtig optimistisch. Es ist ein historischer Durchbruch. Aber damit wir die Ziele im Vertrag erreichen, sind noch viele Schritte nötig.