Pressemitteilung vom 11. Dezember 2015

Studie: Wissen über globale Artenvielfalt ist deutlich geringer als angenommen

Viele der bisherigen Studien zur globalen Artenvielfalt sind ungenau. Zu diesem Schluss kommt eine internationale Forschergruppe, die unter Leitung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und Beteiligung des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) eine Langzeitstudie zur Artenvielfalt in subtropischen chinesischen Wäldern durchgeführt hat. Die Studie zeigt, dass die globale Biodiversität möglicherweise um bis zu 50 Prozent unter- oder überschätzt wird, wenn ihre Erfassung wie bisher oft auf wenigen Gruppen von Arten basiert. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht.

Naturschutzgebiet Gutianshan in der Provinz Zhejiang westlich von Shanghai (VR China), Foto: Helge Bruelheide

Naturschutzgebiet Gutianshan in der Provinz Zhejiang westlich von Shanghai (VR China)
Foto: Helge Bruelheide

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Gefördert wurde die internationale Forschergruppe „BEF-China“ von der Deutschen Forschungsgemeinschaft über einen Zeitraum von acht Jahren. Ziel war es, die Vielfalt der Arten zu bestimmen, die in einem Ökosystem vorkommen. „Das ist eine immense Herausforderung, besonders für die artenreichen Wald-Ökosysteme der Tropen und Subtropen“, sagt Prof. Dr. Helge Bruelheide vom Institut für Biologie der MLU, der die Forschergruppe leitet. Zwar sei die globale Artenvielfalt von Pflanzen bereits gut erschlossen. Es gebe aber nur wenige Studien, die versucht hätten, die Vielzahl der Tierarten – angefangen von Käfern unter der Borke bis hin zu netzbauenden Spinnen – sowie alle Pflanzenarten in diesen Wäldern zu erfassen. Gerade winzig kleine Lebewesen – wie die für Pflanzen nützlichen und schädlichen Pilze und Bakterien im Boden – wurden bisher häufig außer Acht gelassen. „All diese Arten machen aber die globale Biodiversität aus“, so Bruelheide weiter. Deshalb seien viele Arbeiten über die Größenordnung dieser Biodiversität bislang nur Spekulation.

In China hat das internationale Forscherteam nun fundierte Schätzungen der Artenzahlen für insgesamt 43 Artengruppen vorgenommen, die sich sowohl auf einzelne Versuchsflächen als auch auf ein ganzes Naturschutzgebiet beziehen. „Die Besonderheit unseres Projektgebietes ist, dass es die aktuelle Situation der Wälder auf der Erde besser widerspiegelt als die bislang vorwiegend untersuchten tropischen Tieflandregenwälder“, so Dr. Andreas Schuldt von der Leuphana Universität Lüneburg, Erstautor der Studie. „47 Prozent der Wälder in den feuchten Tropen und Subtropen befinden sich in Gebirgen und damit in einer sehr vergleichbaren Situation wie unser Projektgebiet. Wir können nun davon ausgehen, dass in Gebieten mit unterschiedlicher Höhe, Hangneigung und Sonnenausrichtung die Artenzahlen anders mit der Fläche zunehmen als in Flachland-Regenwäldern.“ Bislang konzentrierte sich ein Großteil der Regenwaldforschung auf die leichter zugänglichen Regenwälder im Flachland. Die neue Studie unterstreiche aber die Notwendigkeit, intensivere Untersuchungen auch in den Berg-Regenwäldern durchzuführen.

Neu an der Studie ist auch die Kombination aus klassischer Artbestimmung mit modernen Methoden der DNA-Analyse, mit denen sich auch die Anzahl der Bakterien- und Pilzartengruppen im Boden bestimmen ließ. Dieser wichtige Beitrag kam von Dr. Tesfaye Wubet und Prof. Dr. François Buscot vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle. Insgesamt hat das Team eine komplette Inventur auf 27 Probeflächen im Naturschutzgebiet Gutianshan in der Provinz Zhejiang westlich von Shanghai durchgeführt. Dabei wurden über 77.000 Individuen von mehr als 1.000 Pflanzen- und Tierarten sowie über 6.000 verschiedene Mikroorganismen registriert.

Geobotaniker Helge Bruelheide sagt dazu: „Diese Arbeit ist ein Beispiel für die Notwendigkeit von Langzeitforschung. Studien wie diese können nicht in dem üblichen Förderrahmen von drei Jahren durchgeführt werden, sondern erfordern jahrelange wiederholte Untersuchungen in zahlreichen Probeflächen.“ Die Zahlen zeigen, dass man auf einem Hektar dieses subtropischen Waldes nach den Hochrechnungen der Forscher etwa 38 Prozent aller Arten, auf 10 Hektar circa 76 Prozent aller Arten finden kann. „Das zeigt die begrenzte Aussagefähigkeit bislang global nur sehr punktuell verteilter Probeflächen“, so Bruelheide. Je größer die Fläche und die Anzahl an holzige Pflanzen, also Bäume und Sträucher, desto ungenauer werde die Vorhersage über die gesamte Vielfalt aller Artengruppen. Mit den Methoden räumlicher Statistik, die in der Studie kombiniert wurden, wurde das Fundament gelegt, um künftig die Artenzahlen auf großen Flächen, etwa ganzer Kontinente, aus den Umweltbedingungen genauer vorherzusagen.

Neben der MLU, der Universität Lüneburg, dem UFZ und dem Forschungszentrum iDiv haben auch die Universitäten Freiburg, Kiel und Leipzig sowie Institute der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Beijing an der Studie mitgearbeitet.

Publikation

Schuldt, A., Wubet, T., Buscot, F., Staab, M., Assmann, T., Böhnke-Kammerlander, M., Both, S., Erfmeier, A., Klein, A.M., Ma, K.P., Pietsch, K., Schulze, S., Wirth, C., Zhang, J.Y., Zumstein, P. & Bruelheide, H. (2015):
Multitrophic diversity in a biodiverse forest is highly nonlinear across spatial scales. - Nature Communications 6: 10169. DOI: 10.1038/ncomms10169.
dx.doi.org/10.1038/ncomms10169

Die Studie wurde gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG FOR 582 891/1, 891/2), dem Chinesisch-Deutschen Zentrum für Wissenschaftsförderung (GZ 524, 592, 698, 699, 785, 583 und 1020) und der National Science Foundation of China (NSFC 30710103907 und 584 30930005).

Weitere Informationen zum Forschungsprojekt:

www.bef-china.de

Ansprechpartner:

Prof. Helge Bruelheide
Professor für Geobotanik, Institut für Biologie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg & Stellvertretender Direktor iDiv
Telefon: +49 345 55-26222
www.botanik.uni-halle.de/geobotanik/helge_bruelheide

Prof. François Buscot
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Stellvertretender Direktor iDiv
Telefon: +49 345 558-5221
www.ufz.de/index.php?de=7005

PD Dr. Andreas Schuldt
Institut für Ökologie, Leuphana Universität Lüneburg
Telefon: +49 4131 677-2965
www.leuphana.de/andreas-schuldt.html

sowie

Manuela Bank-Zillmann, MLU-Pressestelle
Telefon: +49 345 55-21004
www.pr.uni-halle.de/mitarbeiter/

Susanne Hufe, UFZ-Pressestelle
Telefon: +49 341 235-1630
www.ufz.de/index.php?de=640

Tilo Arnhold, iDiv-Pressestelle
Telefon: +49 341 9733-197
www.idiv.de/de/presse/mitarbeiterinnen.html

Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg über 1.100 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit fast 36.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 18 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 3,8 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).