Pressemitteilung vom 17. November 2015

Stadtnatur hilft bei der Anpassung an den Klimawandel

Bonn/Leipzig. Stadtgrün kann dem Hitzeinseleffekt von Städten effektiv entgegenwirken und so die Auswirkungen des Klimawandels abmildern. Auf einer internationalen Konferenz in Bonn werden in dieser Woche Möglichkeiten erörtert, die naturbasierte Lösungsansätze zu Schutz und Anpassung an den Klimawandel bieten. Die dreitägige Fachveranstaltung wird vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) gemeinsam mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) organisiert. Über 230 Expertinnen und Experten aus Forschung, Politik und Praxis nehmen teil – darunter hochrangige Vertreter der EU-Kommission und der Leiter der Europäischen Umweltagentur.

Parks und Grünflächen speichern weniger Wärme als bebaute Flächen. Dagmar Haase, UFZ

Unbebaute Grünflächen, Parks und Wasserflächen speichern weniger Wärme als bebaute Flächen oder geben selbst Verdunstungswasser ab und wirken dadurch kühlend.
Foto: Dagmar Haase, UFZ

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Stadtbäume, Fassaden- und Dachbegrünungen tragen durch Beschattung, Isolierung und Verdunstungseffekte zur Abkühlung der Luft bei. Urbanes Grün macht unsere Städte widerstandsfähiger gegen den Klimawandel und gleichzeitig attraktiv und lebenswert. „Stadtnatur muss daher als grüne Infrastruktur verstärkt gefördert und ‚ausgebaut‘ werden“, sagte BfN-Präsidentin Prof. Beate Jessel zur Eröffnung einer internationalen Fachkonferenz in Bonn.

Solche positiven Beiträge von städtischem Grün zur Energieeinsparung – und somit zum Klimaschutz – konnten beispielsweise an einer Grünfassade in Wien nachgewiesen werden: Die sommerliche Verdunstung der Pflanzen an der 850 m2 großen Fassade entspricht einer Kühlleistung von zirka 45 Klimaanlagen. Auch minderte sich der winterliche Wärmeverlust des Gebäudes um 50 Prozent. „Parks fungieren außerdem als ‚grüne Lunge‘. Offene Grünflächen und -schneisen sorgen als Frischluftentstehungsgebiete für eine verbesserte Luftqualität in der Stadt. Sie filtern Luftschadstoffe und (Fein-)Staub aus und leiten Kaltluft aus dem Umland in die Stadtzentren“, so Beate Jessel. Neben Wien werden auf der Konferenz u.a. auch Vorzeigebeispiele aus den deutschen Städten Hamburg und Neuss sowie aus Ljubljana in Slowenien und drei tschechischen Städten vorgestellt.

Nach Ansicht von Experten erfüllt die städtische Natur über die Beiträge zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel hinaus noch vielfältige weitere Funktionen: Luftreinhaltung und Lärmminderung, Nutzung zur Naherholung, Sport und Naturerfahrung/Umweltbildung sowie die Unterstützung der psychischen und körperlichen Gesundheit. Insbesondere bei Starkregenereignissen sind Grünflächen und Gründächer wichtige Wasserspeicher, die die Kanalisation entlasten und Überschwemmungen verhindern helfen. „Diese naturbasierten Ansätze sind häufig kostengünstiger als rein technische Lösungen. Ein prominentes Beispiel ist der ‚Green Infrastructure Plan‘ von New York City, dessen Umsetzung Berechnungen zufolge 1,5 Mrd. US-Dollar weniger kostet als eine rein ‚graue‘ Strategie, die nur auf Technik setzen würde“, berichtet Prof. Dr. Aletta Bonn vom UFZ, die auch am iDiv und der FSU Jena zu Ökosystemdienstleistungen forscht und lehrt. Ihre Arbeitsgruppe untersucht solche Ansätze zum Beispiel in Lissabon und Leipzig.

Konferenz

„Nature-based solutions to climate change in urban areas and their rural surroundings“,
17.-19.Nov. 2015 in Bonn
www.ecbcc2015.com

Weitere Informationen

Prof. Dr. Aletta Bonn
Leiterin UFZ-Department Ökosystemleistungen
Department Ökosystemleistungen

Dr. Nadja Kabisch
UFZ-Department Ökosystemleistungen
Dr. Nadja Kabisch

oder über

Susanne Hufe (UFZ-Pressestelle)
Telefon: +49 341 235-1630

Tilo Arnhold
iDiv-Pressestelle
Tel.: +49 341 9733-197
Presseteam

Franz August Emde/ Ruth Schedlbauer
Bundesamt für Naturschutz - Pressestelle
Tel.: +49 228 8491-4444
www.bfn.de

Weiterführende Links

Forschungsprojekt „Naturkapital Deutschland“
www.naturkapitalteeb.de/aktuelles.html

Stadtklima Leipzig: Vulnerabilität gegenüber Hitzestress
www.ufz.de/index.php?de=34361

Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg über 1.100 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit fast 36.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 18 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 3,8 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).

Pressemitteilung vom 16. November 2015

Wohnungsleerstand in Deutschland. Welche Quote ist angemessen?

Leipzig. Der Wohnungsleerstand ist in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus wohnungspolitischer und städtebaulicher Debatten sowie Entscheidungen gerückt. Eine entscheidende Messgröße dafür ist die Leerstandsquote, die sowohl die angemessene Versorgung der Bevölkerung mit Wohnungen als auch die Marktgängigkeit von Wohnungen abbilden soll. Bisher wurde diese Quote kaum klar definiert und oft je nach Perspektive bewertet. Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) schlagen deshalb eine systematische Kategorisierung des Wohnungsleerstandes vor und plädieren angesichts seiner Schlüsselrolle in Wohnungspolitik und Städtebau dringend für dessen weitere Qualifizierung und Diskussion.

Karte: Leerstandsquoten in deutschen Gemeinden 2011; Datengrundlage: Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2014c

Leerstandsquoten in deutschen Gemeinden 2011
(Datengrundlage: Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2014c).

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In Deutschland standen am 9. Mai 2011 insgesamt 1.720.083 Wohneinheiten leer, was einer Leerstandsquote von 4,4 Prozent entsprach. Das zeigen die Daten der bislang einzigen Gebäude- und Wohnungszählung (GWZ), die in ganz Deutschland nach der Wiedervereinigung stattfand. Doch was sagt diese Zahl aus – wie ist sie zu bewerten?

„Obwohl die Quote leerstehender Wohnungen für beide Seiten – angespannte und entspannte Wohnungsmärkte – ein höchst relevantes Thema ist, wird die ‚angemessene‘ oder ‚normale‘ Leerstandsquote ganz unterschiedlich bemessen“, so Professor Dieter Rink, Stadtsoziologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Als Anzeiger für einen funktionierenden Wohnungsmarkt werde zwar häufig auf eine „normale“ Leerstandsquote verwiesen. In der Regel bleibe jedoch unklar, was das ist: Ist etwa ein Leerstand von 6 Prozent als moderat, problematisch oder gar schon krisenhaft zu bewerten? „Das hängt von der Perspektive ab“, sagt Dieter Rink. Für Wohnungssuchende sei er nicht problematisch – im Gegenteil, sie können sich über eine breite Auswahl und fallende Miet- und Hauspreise freuen. Für Eigentümer bzw. Immobilien- und Wohnungsunternehmen sehe das ganz anders aus, denn sie haben Probleme bei der Vermarktung.

Auch die Definitionen und damit Bezugsgrößen von „Leerstand“ sind verschieden. So betrachtet die Immobilienwirtschaft beispielsweise meist nur die sogenannten „marktaktiven“ Leerstände, sprich, leere Wohnungen, die auch vermietet werden können. Daher kommt sie meist zu niedrigen Quoten. Für die Stadtplanung ist dagegen die Gesamtheit der leerstehenden Wohnungen entscheidend, inklusive der nicht-marktaktiven Bestände, die saniert oder modernisiert werden müssen oder gar ruinös sind.

Ursache dieses unterschiedlichen Verständnisses und der unterschiedlichen Bewertung der Leerstandsquote ist, dass sie „trotz ihrer Bedeutung ein bislang nicht systematisch untersuchter Indikator für die Stadtplanung ist“, so Rink.

Er hat deshalb gemeinsam mit seinem Kollegen Manuel Wolff eine Systematik entwickelt, die Leerstand quantitativ und qualitativ bewertet – auch unter Berücksichtigung der verschiedenen Perspektiven. Sie schlagen eine Kategorisierung in sieben Klassen vor, in der die einzelnen Leerstandsquoten in ihren Konsequenzen für alle Interessenslagen genau beschrieben werden. Sie reichen von „sehr niedrig“ (unter 2 Prozent) bis „extrem“ (über 15 Prozent). Als „angemessen“ wird Leerstand in der Spanne von 3 bis 5 Prozent betrachtet.

Diese Leerstandsquoten müssen dann im konkreten Fall weiter spezifiziert werden: „Beispielsweise muss berücksichtigt werden, ob es sich um Mietwohnungs- oder Eigentumsmärkte, ländliche, (groß)städtische oder metropolitane Märkte bzw. schrumpfende oder wachsende Märkte handelt“, betont Rink. Außerdem legen die Wissenschaftler der Schematik eine umfassende Definition leerstehender Wohnungen zugrunde, die marktaktive und nicht-marktaktive Wohnungen einbezieht.

Angewendet haben die Wissenschaftler ihre Methode auf die Daten der bislang einzigen flächendeckenden Gebäude- und Wohnungszählung von 2011, deren Daten seit Sommer 2014 zugänglich sind und in dieser Studie nun erstmals hinsichtlich des Leerstands systematisch ausgewertet wurden.

Ihr Fazit: „In etwa 35 Prozent der deutschen Kommunen steht mit 4,4 Prozent zwar eine „angemessene“ Zahl an Wohnungen leer, jedoch mit erheblichen regionalen Unterschieden. Erwartungsgemäß zeigt sich ein klarer Ost-West-Unterschied, allerdings mit Differenzierungen. So bewegt sich der westdeutsche Durchschnittswert mit 3,3 Prozent knapp über einer „niedrigen“ Leerstandsquote, der Durchschnitt für Ostdeutschland zeigt dagegen mit 7,6 Prozent eine „hohe“ Leerstandsquote an; knapp zwei Prozent Leerstand in Hamburg stehen mehr als 12 Prozent in Leipzig gegenüber.

Die Leerstandsquoten in Sachsen und Sachsen-Anhalt sind eher ein städtisches Problem; in Thüringen und Brandenburg sind sie weniger flächendeckend und eher ländlich konnotiert. Ähnliches trifft für Hessen und Baden-Württemberg zu. Die Varianz der kommunalen Leerstandsquoten, die die Studie offenbart, ist ein Beleg für die divergierende Entwicklung des deutschen Wohnungsmarktes: Leerstand und Knappheit existieren räumlich und zeitlich nebeneinander. Aus den Leerstandquoten können laut Aussage der Wissenschaftler insofern keine flächenhaften Generalisierungen beziehungsweise vereinfachenden Aussagen für die Wohnungs- und Stadterneuerungspolitik abgeleitet werden. Die sieben vorgeschlagenen Kategorien des Leerstands gestatten eine sinnvolle Differenzierung der Leerstände auf kommunaler Ebene, denn sie bieten der Praxis Kriterien, um Leerstandsquoten bewerten zu können. Angesichts der Schlüsselrolle, die der Leerstandsquote in der Praxis des Städtebaus und der Wohnungspolitik zukommt, plädieren die Wissenschaftler jedoch dringend für eine weitere Diskussion und Qualifizierung.

Publikation

Dieter Rink, Manuel Wolff:
Wohnungsleerstand in Deutschland. Zur Konzeptualisierung der Leerstandsquote als Schlüsselindikator der Wohnungsmarktbeobachtung anhand der GWZ 2011. RAUMFORSCHUNG, RAUMORDNUNG 73:311–325. DOI 10.1007/s13147-015-0361-8

Weitere Informationen

Prof. Dr. Dieter Rink Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Department Stadt- und Umweltsoziologie
dieter.rink@ufz.de

oder über

Susanne Hufe (UFZ-Pressestelle)
Telefon: +49-(0)341-235-1630

Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg über 1.100 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit fast 36.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 18 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 3,8 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).