Standpunkt vom 18. Juni 2013

Ein 100%iger Hochwasserschutz ist nicht möglich – Wir brauchen vier Säulen einer nachhaltigen Hochwasservorsorge


Zusammenfassung – Vier Säulen einer nachhaltigen Hochwasservorsorge

  1. Technischer Hochwasserschutz allein hat in der Vergangenheit nicht ausgereicht, Siedlungen vollständig vor Fluten zu schützen, er wird es auch nicht in Zukunft. Nicht alle Siedlungen können mit Deichen geschützt werden, Deiche können überlaufen oder brechen.
  2. Die Forderung, den Flüssen mehr Raum zu geben, ist wichtig und richtig. Allerdings wird es eine Herausforderung bleiben, in einer dicht besiedelten sowie landwirtschaftlich intensiv genutzten Umwelt, Überschwemmungsflächen im großen Stil zurückzugewinnen.
  3. Auch zukünftig drohen Hochwasser in besiedelten Räumen. Hier kann private Vorsorge, wie im Wasserhaushaltsgesetz (WHG, § 5) gefordert, Schäden mindern. Allerdings wird sich private Vorsorge aufgrund von Appellen und gesetzlichen Forderungen kaum durchsetzen lassen. Hier gilt zukünftig: nicht nur fordern, sondern auch fördern.
  4. Wenn alle Dämme brechen und der Schaden teuer wird, gilt es eine vorsorgende Versicherungspflicht verbindlich zu vereinbaren: eine Versicherung, die für den Einzelnen bezahlbar ist und jedem im Elementarschadensfall hilft, unabhängig von medialer und politischer Aufmerksamkeit.

Gründe für das Hochwasser 2013? – Eine verhängnisvolle Vereinfachung der Diskussion

Die politische Diskussion zu den Ursachen des Hochwassers 2013 hob an, kurz nach dem die ersten Häuser unter Wasser standen. Sie verläuft entlang wohl eingespielter Konfliktlinien: Wahlweise werden Naturschutzverbände, Bürgerinitiativen, die Landwirtschaft oder Länderzuständigkeiten für Verzögerungen beim Bau technischer Hochwasserschutzanlagen verantwortlich gemacht. Einzelinteressen würden, so das Argument, die Interessen der Allgemeinheit dominieren und einem schnellen Bau von Deichen oder zusätzlichen Überschwemmungsflächen im Wege stehen. Auch wenn es im Einzelnen zu prüfen gilt, ob die Planfeststellungsverfahren beim Bau von Deichen bzw. bei der Gewinnung von Retentionsflächen einem effektiven Hochwasserschutz verzögert haben, so ist die Prämisse dieser Argumentation fragwürdig: Sie unterstellt, dass durch einen besseren Schutz, Hochwasser verhindert und die volkswirtschaftlichen Schäden verringert hätten werden können. Wie die Ereignisse der letzten Jahre (Hochwasser 1997 an der Oder, 2002 an der Elbe sowie Donau und ihren Zuflüssen, 2006 an der Donau und Elbe, 2010 an der Neiße, und das jüngste Ereignis von 2013 an der Elbe und an der Donau) jedoch schmerzhaft in Erinnerung rufen, können wir uns vor Hochwasser nicht vollständig schützen. Der Gedanke vom „umfassenden Hochwasserschutz“ ist an sich irreführend, genauso wie der Gedanke, dass zukünftig Schäden reduziert werden könnten, wenn Planungsverfahren beschleunigt werden. Unserer Meinung gilt es, dem Vorsorgegedanken Rechnung zu tragen. Nachfolgend sollen vier Säulen einer nachhaltigen Hochwasservorsorge umrissen werden: (1) Technischer Hochwasserschutz, (2) natürlicher Rückhalt, (3) private Vorsorge und (4) vorsorgende Versicherungspflicht. Bereits in den „lessons learned“ nach der Hochwasserkatastrophe 2002 vom Deutschen Komitee Katastrophenvorsorge (DKKV) wurden diese Säulen genannt (DKKV 2003). Die Fortschritte seit dem sind jedoch für die unterschiedlichen Bereiche sehr unterschiedlich. Gerade an der Verbindung mangelt es.

Technischer Hochwasserschutz – Was wurde seit 2002 gemacht und wo sind seine Grenzen?

Technischer Hochwasserschutz beinhaltet vor allem den Bau und die Unterhaltung von Deichen, Mauern und Rückhaltebecken in den Oberläufen der Flüsse mit dem Ziel, Wasser zurückzuhalten bzw. das Überschwemmen von Siedlungs‐ bzw. landwirtschaftlich genutzten Flächen zu hindern.

Allein in Sachsen wurden von 2002 bis 2012 rund 530 Millionen Euro für den technischen Hochwasserschutz ausgegeben; bis 2020 soll es insgesamt eine Milliarde Euro sein. Viele Städte in Sachsen und in anderen Bundesländern sind durch neue Betonmauern, Spundwände und Deiche geschützt:

Vor allem mit den Bauvorhaben großer technischer Anlagen ist seitens der Bevölkerung und Gemeinden die Hoffnung verbunden, ihre Siedlungen würden zukünftig besser oder gar vollständig geschützt sein. In einer 2005 durchgeführten repräsentativen Befragung haben von 404 durch das Hochwasser 2002 betroffenen Haushalten mehr als 60% der Bewohner dreier Gemeinden im Muldeeinzugsgebiet der Aussage zugestimmt, dass Deiche ein Gefühl der Sicherheit vermitteln (Steinführer und Kuhlicke 2007, S. 101). Auch darum meinten vor dem Hochwasser 2013 viele lokale Entscheidungsträger, dass gerade Deiche und ihr Schutzversprechen wichtig seien für die Bevölkerung. Wenn man als Kommune zugäbe, dass ein ähnliches zerstörerisches Ereignis wie 2002 trotz des bestehenden Schutzes möglich sei, wäre das nicht positiv für das zukünftige Entwicklungspotenzial von Kommunen.

2013 haben viele dieser neu gebauten Deiche bzw. technischen Hochwasserschutzanlagen, wie die Beispiele Eilenburg bzw. Erlln zeigen, ihre Funktion erfüllt und die Siedlungen vor Hochwasser geschützt. Daraus zu folgern, dass der technische Hochwasserschutz allein die „richtige“ Strategie sei, greift allerdings zu kurz. Denn Deiche und Mauern bieten nur Schutz bis zu einem gewissen Grad, dem sogenannten Bemessungshochwasser. Sobald diese Deiche brechen oder überspült werden, bieten auch sie keinen Schutz mehr. Die Schäden können dann aufgrund des sogenannten Deicheffekts sogar höher ausfallen als wenn kein Schutz existiert hätte: Die vermeintliche Risikoreduzierung durch Hochwasserschutz geht häufig mit einer Zunahme von Gebäuden und damit einem Anstieg des Schadenpotenzials in den „geschützten“ Bereichen einher (vgl. Seifert 2012). Auch darum greift es zu kurz, allein auf den technischen Schutz zu setzen.

Natürlicher Hochwasserschutz – Mehr Raum für Flüsse?

Auen haben eine wichtige Hochwasserschutzfunktion, die sie allerdings nur erfüllen können, wenn die Wassermengen möglichst lange in der Fläche zurückgehalten werden können. Nur dann werden Hochwasserspitzen gekappt. Vor allem naturnahe Auen mit einer angepassten Landnutzung haben eine enorme Bedeutung in ihrer Retentionsfunktion. Allerdings können in Deutschland entlang der großen Flüsse aufgrund von landwirtschaftlicher Nutzung, Siedlungs‐ und und Verkehrsinfrastrukturentwicklung nur noch ein Drittel der ursprünglichen Überflutungsflächen diese wichtige Retentionsfunktion wahrnehmen (BMU & BfN 2009,). An großen Strömen wie Rhein, Elbe, Donau und Oder sind an vielen Abschnitten nur noch 10 bis 20 % der ehemaligen Auen vorhanden.

Erlln an der Mulde in Sachsen, Luftbild Die an der Mulde gelegene Siedlung Erlln während des Hochwassers 2013 am 4. Juni 2013.
Foto: André Künzelmann/UFZ
Die Reaktivierung der natürlichen Überschwemmungsbereiche wie Feuchtniederungen und Auen ist daher wichtig, um Hochwasserscheitel zu senken, dies wird belegt durch viele Untersuchungen (z.B. Busch & Hammer 2006, Alexy & Faulhaber 2011). Messungen bei der im Jahre 2009 umgesetzten Rückdeichung Lenzen (420 ha) zeigten beispielsweise, dass der Hochwasserscheitel am Pegel Schnackenburg beim Hochwasser 2011 nach der Deichrückverlegung um mehr als 20 cm unter dem Pegelstand des vergleichbaren Hochwassers von 2006 vor der Deichrückverlegung lagen (Alexy & Faulhaber 2011). Eilenburg an der Mulde, Luftbild, Foto: André Künzelmann/UFZ Luftbild von Eilenburg am 4. Juni 2013, eine an der Mulde gelegene Stadt während des Hochwassers 2013.
2013 haben viele der neu gebauten Deiche bzw. technischen Hochwasserschutzanlagen, wie die Beispiele Eilenburg bzw. Erlln zeigen, ihre Funktion erfüllt und die Siedlungen vor Hochwasser geschützt.
Foto: André Künzelmann/UFZ
Diese hochwassersenkende Funktion der Auen, wird auch in den letzten Jahrzehnten im allgemeinen Bewusstsein stärker wahrgenommen und als eine allgemein anerkannte Ökosystemleistung verstanden. So wurden in den Anliegerländern der Elbe seit Beginn der 1990er Jahre zahlreiche Deichrückverlegungen geplant. Es wurden allein hier insgesamt über 50 Rückdeichungsvorhaben gezählt (Neuschulz & Purps, 2000) wobei der überwiegende Teil der Vorschlagsgebiete in Sachsen‐Anhalt liegt. Aber auch in Sachsen, Brandenburg und Niedersachsen sind verschiedene Vorhaben in Umsetzung, Planung oder Diskussion. Bei einer Realisierung aller Vorhaben könnten rund 23.250 ha reaktiviert werden. Dies würde eine Zunahme der aktuellen Überschwemmungsflächen von knapp 30 % bedeuten.

In Sachsen‐Anhalt sind an Elbe, Unterer Mulde, Schwarzer Elster und Havel derzeit durch den Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft (LHW) Sachsen‐Anhalt 17 Deichrückverlegungen mit einer Gesamtfläche von ca. 2.600 ha in Planung (MLU 2010). Zusätzlich sind Polderlösungen an der Mulde, im Raum Torgau Wittenberg und der Havelniederung geplant, um Scheitelwasserstände bei Extremereignissen gezielt zu reduzieren. Bereits realisierte Deichrückverlegungen an der Elbe sind auf ca. 700 ha zu finden. Im Amt Neuhaus/Niedersachsen sind seit 1990 Rückdeichungen in einer Größenordnung von ca. 120 ha für die Elbe geschaffen worden (BRV 2009). Das erste umgesetzte großflächige Projekt dieser Art ist die Deichrückverlegung des Roßlauer Oberluchs (Stadt Dessau‐Roßlau) im Biosphärenreservat Mittelelbe. Im Rahmen einer Deichrekonstruktion wurde hier nach mehr als 10 Jahren Vorbereitung im Jahr 2006 eine Überschwemmungsfläche von ca. 140 ha reaktiviert (Scholz et al. 2009). Das Rückdeichungsprojekt in der Lenzener Elbtalaue in Brandenburg mit ca. 420 ha wurde im Sommer 2009 mit der Öffnung des Altdeiches realisiert (Damm 2012).

Das größte Vorhaben dieser Art ist im Rahmen eines Naturschutzgroßprojektes des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) in Trägerschaft des WWF Deutschland oberhalb der Saalemündung in Umsetzung, wo im Lödderitzer Forst, dem größten Auenwaldkomplex an der Elbe, größere Waldbereiche in der Altaue (ca. 600 ha) durch Rückdeichung wieder an das Überflutungsgeschehen bis 2018 angeschlossen werden (Eichhorn et al. 2004).

Eine erfolgreiche Wiedergewinnung von Retentionsflächen ist allerdings eine große Herausforderung, da die Interessen verschiedener Akteure und Flächennutzungen während des Planungs‐ und Umsetzungsprozess berücksichtigt werden müssen. Deshalb ist sie sehr zeitund resourcenaufwenig. Insbesondere der hohe Anteil von intensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen in potenziellen Rückeichungsbereichen der Altauen erschwert zum Teil schnelle Lösungen.

Bereits umgesetzte Projekte haben aber gezeigt, dass die Gewinnung von Retentionsflächen möglich ist. Neben der aktiven Unterstützung der Landnutzer und Flächeneigentümer sowie der Einbindung von Anwohnern und lokalen Behörden, ist der politische Wille und die finanzielle Unterstützung durch regionale, nationale und selbst internationale Institutionen in jedem Fall entscheidend für den Erfolg solcher Vorhaben. Konzepte und Werkszeuge zur Umsetzung bestehen, müssen aber gezielt weiterentwickelt, gebündelt und finanziert werden, damit sie in Kombination mit den anderen Säulen der Hochwasservorsorge ihre Wirkung erzielen.

Insgesamt stellt die Vorgehensweise, dem Fluss mehr Raum durch Anbindung ehemaliger Auenbereiche zu geben, eine Chance dar, um nachhaltige Hochwasservorsorge zu betreiben, die Naturschutzziele und Ökosystemleistungen verbindet (Scholz et al. 2012).

Private Bauvorsorge – Nicht nur fordern, sondern auch fördern

Eine weitere Säule des Hochwasserrisikomanagements ist die private Vorsorge. Generell sind Vier Strategien der Bauvorsorge möglich (DKKV 2003, 46):

  • Ausweichen (also Häuser auf Stelzen oder erhöht bauen);
  • Widerstehen (Wasser am Eindringen ins Haus hindern z.B. durch mobile Schutzwände oder Rückstauklappen);
  • Nachgeben (angepasste Nutzung und Ausstattung bzw. Konstruktion von Gebäuden, z.B. durch die Verwendung wasserresistenter Baumaterialien oder die Verlagerung von wertvollem Hausrat in höher gelegene Stockwerke) bzw.
  • Sichern (Schutz vor Kontaminationen der Gebäude und der Umwelt durch Schadstoffe, z.B. durch Verlagerung von Heizungssystemen und Öltanks in höhere Stockwerke).

Studien zeigen, dass private Vorsorgemaßnahmen das Ausmaß des Schadens erheblich reduzieren können. So waren die Schäden des Hochwassers am Rhein 1995 erheblich geringer als die des vergleichbaren Rheinhochwassers 1993. Insbesondere Haushalte, die nach 1993 private Vorsorgemaßnahmen getroffen hatten, verzeichneten deutlich geringere Schäden (Bubeck
et al. 2012).

Die Bedeutung privater Bauvorsorge wird auch vom Gesetzesgeber unterstrichen. So ist im Wasserhaushaltsgesetz unter § 5 (Allgemeine Sorgfaltspflicht) zu lesen: „Jede Person, die durch Hochwasser betroffen sein kann, ist im Rahmen des ihr Möglichen und Zumutbaren verpflichtet, geeignete Vorsorgemaßnahmen zum Schutz vor Hochwassergefahren und zur Schadensminderung zu treffen, insbesondere die Nutzung von Grundstücken den möglichen nachteiligen Folgen für Mensch, Umwelt oder Sachwerte durch Hochwasser anzupassen“.

Um private Hochwasservorsorge jedoch in der Breite als wichtige Säule einer nachhaltigen Hochwasservorsorge zu etablieren, werden öffentlich kaum bekannte Gesetzestexte, appellative Broschüren und Flyer nicht ausreichen: Es ist aus der umweltpsychologischen Forschung bekannt, dass das Setzen von Normen ohne weiterreichende Interventionen oder ökonomische Anreize kaum zum Umwelthandeln führt (Mosler und Gutscher 1998). Gerade in Gebieten, die bereits durch technischen Hochwasserschutz mit einem hohem Schutzstandard geschützt sind, ist der Anreiz, solche Maßnahmen umzusetzen, dahingegen eher gering (Bubeck et al. 2012). Massive Investitionen in den technischen Hochwasserschutz können langfristig paradoxe Folgen haben, da sie ein Gefühl der Sicherheit schaffen, das meist mit einem Rückgang des Risikobewusstseins, einem Verlust an praktischem Wissen, aber auch an Handlungsbereitschaft und ‐fähigkeit verbunden ist und so die Bereitschaft zur privaten Vorsorge untergräbt. Gleichzeitig reduzieren technische Schutzbauten den zu erwartenden Schaden und damit die Effizienz zusätzlicher privater Vorsorge (Meyer et al. 2012, Kuhlicke et al. 2013). Kreibich (et al. 2011) zeigen zudem, dass solche private Vorsorgemaßnahmen nur dort effizient sind und sich somit für den Eigentümer lohnen, wo ein Hochwasser relativ häufig zu erwarten ist. Dies ist in bereits geschützten Gebieten eben nicht der Fall. Zusätzlich ist gut belegt, dass insbesondere die direkte Erfahrung eines Hochwasserereignisses dazu führt, dass derartige private Vorsorgemaßnahmen auch verstärkt umgesetzt werden (Bubeck et al. 2012). Eine „Sowohl‐als‐Auch“‐Strategie, die also sowohl auf starken technischen Hochwasserschutz als auch private Vorsorge im gleichen Gebiet setzt, kann also nur begrenzt funktionieren. Private Vorsorge ist eher dort effektiv und effizient, wo kein oder nur ein geringer Schutz durch technischen Hochwasserschutz besteht.

Gleichzeitig stellen sich in der Folge der Verantwortungsübertragung seitens der öffentlichen Hand an Bürger und Unternehmen neue Fragen, denn es obliegt dem Einzelnen, Entscheidungen darüber zu treffen, mit welchem Aufwand privater Hochwasserschutz betrieben wird: Reicht die Anschaffung einiger Sandsäcke oder sollte das gesamte Haus als „private Trutzburg“ hochwassersicher gemacht werden? Der Bürger wird so zum Manager seines eigenen Risikos, wobei das „Risikoprofil“ und damit die Investitionsbereitschaft nicht allein von der Wahrnehmung des Risikos und einer entsprechenden Bedeutungszuweisung abhängig ist, sondern auch von den vorhandenen (monetären) Ressourcen eines privaten Haushalts. Wer wird sich zukünftig welchen (individuellen) Schutzgrad leisten können? Was passiert eigentlich mit denen, die sich keinen Schutz leisten können?

Daher sollten privaze Vorsorgemaßnahmen auch finanziell gefördert werden. Neben gezielter staatlicher Förderung im Rahmen von zinsgünstigen Krediten, die an eine hochwasserangepasste Bauweise bzw. Sanierung gebunden sind, besteht zudem die Möglichkeit, durch reduzierte Versicherungsprämien, Anreize für private Vorsorge zu setzen (Bubeck et al. 2012).

Wir brauchen eine vorsorgeorientierte Versicherungspflicht

Selbst durch eine Kombination von technischer, natürlicher und privater Hochwasservorsorge können aber nicht alle Schäden vermieden werden – es verbleiben ein „Restrisiko“ bzw. auch weiterhin ungeschützte Gebiete. Während einige Siedlungen bereits einen staatlich finanzierten technischen Hochwasserschutz haben, bleiben andere Siedlungen vorerst ungeschützt und haben zumindest per Gesetz nur in Ausnahmefällen einen Kompensationsanspruch. Die Betroffenen müssen sich somit selbst versichern (falls das möglich ist) oder sind auf staatliche Ad‐hoc‐Hilfen angewiesen, die keinen Rechtsanspruch auf Entschädigung begründen und je nach medialer Wirksamkeit des Ereignisses unterschiedlich ausfallen (Je katastrophaler das Ereignis, desto höher die Wahrscheinlichkeit staatlicher Unterstützung). Es bedarf einer systematischen, flächendeckenden und planvollen Regelung der Schadenskompensation – unabhängig von Wahlkämpfen oder medial getriebenen Ad‐hoc‐Hilfen. Damit wird auch die Forderung nach einer Versicherungspflicht gegen Elementarschäden erneut aktuell! Eine Pflichtversicherung würde die Kosten für entstandene Schäden solidarisch umlegen und über Prämiennachlässe einen ökonomischen Anreiz für die private Vorsorge gegen Elementarschäden wie Hochwasser und Starkregen mit sich bringen.

Die Diskussion um eine Pflichtversicherung für Hochwasserschäden kam nach der „Jahrhundertflut 2002“ auf, ist aber in den Hinterkammern der Politik versandet, wenn auch nicht vollständig. Die deutsche Bundesregierung erwägt z.B. die Einführung einer Pflichtversicherung für Klimaschäden. In der Deutschen Anpassungsstrategie heißt es: „Denkbar sei die Einführung einer Pflichtversicherung oder eine staatliche Fonds‐Lösung als letztes Mittel, wenn die private Wirtschaft bestimmte Risiken nicht alleine tragen könne“ (Deutsche Anpassungsstrategie, Beschluss des Bundeskabinetts vom 17.12.2008, S. 36). Das Thema Pflichtversicherung bringt auf diese Weise Bewegung in die private Versicherungswirtschaft. So gibt es Studien des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) mit führenden Wissenschaftseinrichtungen zur Entwicklung von neuen Versicherungsmodellen für Extremwetterlagen und Aufklärungskampagnen sowie immer neue Bestandsaufnahmen zur Versicherungsdichte und des „unversicherbaren“ Gebäudebestands. Tendenz: Die Versicherungsdichte nimmt zu – 2012 auf über 30% – und der Bestand „unversicherbarer“ Gebäude nimmt ab – zuletzt auf 1,4% in Gebieten, die statistisch alle zehn Jahre überflutet werden. Aber auch 1,4 % des Gebäudebestandes bedeutet über eine Millionen unversicherter Menschen im Extremfall. Und für die Versicherten wird die Versicherung häufig zu teuer: Die fast 70% Haushalte ohne Versicherung sind häufig gar nicht in der Lage, den privaten  Versicherungsschutz zu bezahlen. Das Problem wird durch den Klimawandel verschärft, weil die Prämien mit den Elementarrisiken zunehmen. Auf der Klimakonferenz des GDV in 2012 erklärte dessen Präsident, Rolf Dieter Hoehen, zwar: „Deutschland bleibt trotz Klimawandel versicherbar“; allerdings machte er eine wichtige Einschränkung: „nur zum Preis höherer Prämien“. Ein solidarisches Modell der Versicherungspflicht scheint daher angebracht. Eine sorgfältig ausgestaltete Versicherungspflicht kann die Kosten für entstandene Schäden dabei so umlegen, dass ökonomische Anreize für die Vorsorge gegen Hochwasser und Starkregen nicht verloren gehen. Im solidarischen Verbund wären auch seltene oder lokale Extremereignisse wie Erdrutsche oder Erdbeben flächendeckend versicherbar. Nach dem letzten größeren Hochwasser in Ostsachsen im August 2010 hat der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich beim sog. „Versicherungsgipfel“ (am 27.10.2010 in Dresden) bereits die Einführung einer Elementarschaden‐Pflichtversicherung „als letztes Mittel“ zur Stärkung der Eigenvorsorge gefordert.


Vier Schlussfolgerungen:

  • Technischer Hochwasserschutz ist weiterhin erforderlich, um insbesondere größere Siedlungen zu schützen. Ein vollkommener Schutz kann jedoch durch ihn nicht gewährleistet werden.
  • Eine Rückdeichung ist, wo möglich, voranzutreiben. Hier gilt es insbesondere die Landwirtschaft mit ins Boot zu holen und sie für Flächenumnutzung entsprechend zu entschädigen.
  • Private Vorsorge ist insbesondere dort sinnvoll wo bislang kein oder geringer technischer Hochwasserschutz vorhanden ist. Staatliche Förderprogramme könnten hier den Bürger unterstützen, geeignete Maßnahmen zu treffen.
  • Um verbleibende Schäden solidarisch zu tragen, erscheint uns eine präventionsoriente Versicherungspflicht angebracht.

Alle diese Maßnahmen sind nicht zum Nulltarif zu haben. Unserer Auffassung nach ist angesichts der jüngsten Ereignisse eine gesellschaftliche Debatte erforderlich: Wie viel Verantwortung und somit auch Kosten sollte der Staat für Hochwasservorsorge und ‐kompensation übernehmen und wie viel Verantwortung bleibt bei den Bewohnern der Hochwassergebiete. Wir brauchen also nicht weniger Bürgerdialoge, sondern mehr und umfassendere gesellschaftliche „Risikodialoge“ in der Hochwasservorsorge.


Autoren:

Christian Kuhlicke, Volker Meyer, Reimund Schwarze, Mathias Scholz

Literatur

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