Kurzinformation vom 19. November 2021

Hoffen und Bangen nach dem Glasgower Gipfel

Fazit des UFZ-Klimaökonomen Reimund Schwarze


Glasgow war ein besonderer Klimagipfel. Nicht nur wegen der vor Ort besonders spürbaren Gefahren und Beschränkungen durch die Pandemie. Der 26. Gipfel hatte auch die notwendige Neuausrichtung des Verhandlungsformats zu leisten, um angesichts der galoppierenden Erderwärmung den UN-Prozess zu beschleunigen.

Dem diente der vorgeschaltete Gipfel der Staats- und Regierungschefs genauso wie die intensive diplomatische Vorbereitung durch die COP-Präsidentschaft und die britische Regierung sowie die überraschende Wiederbelebung der USA-China-Achse. Diese hatte schon ab 2014 dazu beigetragen, dass es 2015 zum Abschluss des Pariser Klimavertrages kommen konnte. 

Der Glasgower Gipfel, der zeitlich nahtlos an die Beschlüsse des G20-Treffens in Rom anknüpfte, begann mit einem Trommelfeuerwerk freiwilliger Selbstverpflichtungen der so genannten "Willigen" - zum Ausstieg aus der Kohle, dem Ende der Finanzierung fossiler Projekte in Entwicklungsländern, zum Ende des Verbrennungsmotors und zur Methanreduktion. "Coal, Cash, Cars and Cows" lautete das Motto, das die britische Regierung für den Gipfel ausgegeben hatte.

Darüber geriet der eigentliche Verhandlungskern - das Finden von Regeln für den internationalen Emissionshandel unter dem Pariser Übereinkommen - fast in Vergessenheit. Auch prägten drinnen im wie draußen vor dem Glasgow Centre die berechtigten Erwartungen der Klimaschutzbewegung, das 1,5-Grad-Ziel noch in Reichweite zu halten, den Gipfel mehr als die langjährig vorbereiteten Beschlüsse der UN. Diese hohen Erwartungen gaben dem Glasgower Klimagipfel eine Popularität wie nie zuvor. Sie prägen bzw. polarisieren die Bewertung der Gipfelergebnisse aber auch. 

Was nun die Ergebnisse des Gipfels betrifft: Im Verhandlungskern gab es unerwartet positive Einigungen zum internationalen Emissionshandel. Der Pariser Vertrag ist durch den Glasgow-Pakt nunmehr wasserdicht gegen Doppelzählungen eingesparter CO2-Emissionen geschützt. 

Allerdings war der Preis dafür, dass die Emissionsgutschriften aus der Doha-Phase des Kyoto-Protokolls - diese umfasst den Zeitraum von 2013 bis 2020 - anerkannt werden und bis 2025 in das Pariser Abkommen übertragen werden können. Experten schätzen, dass so mindestens 300 Millionen Tonnen CO2-äquivalente Gutschriften übertragen werden können. Das ist aber - gemessen an der erreichten ökologisch integren Struktur des zukünftigen Emissionshandels - ein kleiner Preis für die zu bewältigenden Altlasten.

An dieser Lösung haben alle Staaten, darunter auch Brasilien und die auf dem Gipfel vertretene "business community", konstruktiv mitgewirkt. So wie der Emissionshandel jetzt aufgestellt ist, kann er nicht nur dringend benötigtes privates Kapital mobilisieren. Mehr noch: In geringem Umfang führt der Emissionshandel auch quasi automatisch zu einer Erhöhung der Ambitionen. Denn bei jedem Privathandel von Emissionsrechten werden nunmehr zwei Prozent der gehandelten Mengen zugunsten der Natur stillgelegt. Dies geschieht so: Nachdem die Emissionsminderungen aus einem Projekt oder Programm durch die UN berichtet und überprüft wurden, werden sie in einem Register verzeichnet, das allein berechtigt ist, Emissionsgutschriften ausgegeben. Zum Zeitpunkt des ersten Transfers von Gutschriften aus dem Register werden zwei Prozent der von den beteiligten Parteien gemeldeten Emissionsreduktionen automatisch auf ein Löschungskonto überwiesen und nur die restlichen 98 Prozent der Emissionsgutschriften ausgegeben. Auf diese Weise gelangt der Anteil "zugunsten der Natur" niemals in den Umlauf. 

Weitere fünf Prozent der Umsätze aus dem Emissionshandel fließen in den UN-Fonds für Klimaanpassung der Entwicklungsländer. Vieles liegt jetzt in deren Händen, wenn es um eine weitere Verhinderung des Missbrauchs handelbarer Emissionsrechte geht. Im Kern ist das ein ambitioniertes und international faires Ergebnis. 

Dass dieses zustande kam, war umso wichtiger, weil der entsprechende Artikel 6 des Pariser Vertrages, der den Emissionshandel regelt, zur Umsetzungsklemme für das Übereinkommen zu werden drohte - und das zu einem Zeitpunkt, wo klimapolitisches Handeln dringender denn je ist als das Versprechen hehrer Ziele. 

Dass es ab Glasgow aufs klimapolitische Handeln ankommt, macht die Wertung der Gipfelinitiativen zum Thema "Coal, Cash, Cars and Cows" schwierig. Nur wenn die Versprechen jetzt konsequent in nationalstaatliches Handeln umgesetzt werden, sind diese zielführend. 

Und daran bestehen begründete Zweifel. Alles entscheidet sich im Grund im nächsten Jahr auf der COP 27 in ägyptischen Scharm El-Scheich. Bis dahin sollen die Staaten ihre Zusagen nicht nur steigern, sondern auch als völkerrechtlich verbindliche nationale Klimaziele (NDC) erklären und damit die Brücke zum UN-Prozess herstellen. 

Berechtigt sind die Zweifel, weil schon früher gegebene freiwillige Zusagen der Staaten nicht eingehalten wurden, so die 2014 versprochene Beendigung der Abholzung von Tropenwäldern bis 2030. 

Zweifel hinterlässt auch der Sieg nationaler Interessen einer Koalition der Kohle-, Öl- und Gasförderländer Indien, China, Russland, Südafrika und Iran. Ihnen gelang es entgegen aller diplomatischer Regeln zum Ende des Klimagipfels, den erstmals in den UN-Prozessen geforderten Kohleausstieg auf einen schrittweisen Abbau hin zu verwässern und damit die Erwartungen zu dämpfen. 

Das aber wiegt weniger als die Unklarheiten in der Formulierung der freiwilligen Initiativen, deren verhaltener Unterstützung durch die Staaten und deren fehlender Bewehrung mit Sanktionen. 

Deutschland hat fast alle dieser Initiativen mitunterzeichnet, nicht aber - als führendes Herstellerland - den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor sowie den spontan von Dänemark und Costa Rica ins Spiel gebrachten Ausstieg aus der Öl- und Erdgaswirtschaft. 

Auch die USA und China sind diesen Initiativen überraschenderweise nicht beigetreten. Das hinterließ viel Enttäuschung. 

Unklar blieb, ob die begrüßenswerte Reduktion der Methanemission um 30 Prozent sich in den nächsten zehn Jahren für alle Unterzeichnerstaaten auf das Basisjahr 2020 bezieht, also neue Anstrengungen erfordert. Für Deutschland bedeutet das massive Reformen in der Land- und Ernährungswirtschaft. Offen bleibt aber vor allem, welche Sanktionen bei der Nichterfüllung dieser freiwilligen Versprechen greifen. 

Fazit: Der internationale "Klimaclub" hat sich ambitionierte Ziele gesetzt, die sind aber freiwillig und ohne Regeln zur Umsetzung. Das Pariser Übereinkommen hat dagegen nach Glasgow klare und strenge Regeln zur Umsetzung. Das ist ein unbestreitbarer Erfolg des Gipfels, aber es erfüllt die Hoffnungen der Klimaschutzbewegung nicht.

Deshalb hinterlässt der Klimagipfel vom Glasgow ein ambivalentes Gefühl. Nie waren die Innensicht und die Außensicht eines Klimagipfels so weit voneinander entfernt wie bei diesem Gipfel. Nur "Bla-Bla-Bla" oder "historischer Fortschritt"; "Exklusiver Club" oder "inklusivste COP"? 

Die gezeigten diplomatischen Bemühungen - etwa die Schaffung eines Zivilgesellschaftsrates unter Beteiligung der Jugend und der Vertretung der indigenen Völker - ändern an der gefühlten großen Kluft von Drinnen und Draußen nichts, ebenso wenig wie die Schweigeminute der Mächtigen für die Klimatoten in den Subsahara-Regionen von Afrika, obwohl solche Rituale in internationalen Verhandlungen durchaus wichtig sind. 

COP26 war ein Klimagipfel, an den wir uns alle rückblickend erinnern werden, negativ wie positiv. Ich hoffe auf Letzteres. 


Weitere Informationen

Prof. Dr. Reimund Schwarze
UFZ-Department Ökonomie
reimund.schwarze@ufz.de

UFZ-Pressestelle

Susanne Hufe
Telefon: +49 341 235-1630
presse@ufz.de


Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

www.ufz.de

Die Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.

www.helmholtz.de
« zurück