Kurzinformation vom 18. November 2021

Atom- und Gaskraftwerke künftig nachhaltig?

Standpunkt zur Rolle von Atom- und Gaskraft in der Taxonomie der EU

In der EU soll künftig eine Taxonomie vorgeben, welche Investitionen als nachhaltig gelten und welche nicht. Die Taxonomie ist daher auch Teil der EU-Klimaschutzpolitik und definiert sechs Ziele: den Klimawandel mindern, an den Klimawandel anpassen, Wasser und Meere schonen oder schützen, Kreislaufwirtschaft voranbringen, Umweltverschmutzung verhindern und Biodiversität bzw. Ökosysteme schützen oder wiederherstellen. Um als nachhaltig zu gelten, müssen die Investitionen einer Bank oder eines Fonds mindestens zu einem dieser Ziele beitragen und dürfen die anderen Ziele nicht "signifikant" verletzen. Die technischen Details hat die EU als Delegated Acts bereits im Frühjahr veröffentlicht. In diesen Listen fehlt allerdings noch die Einstufung von Atom- und Gaskraftwerken, die bis spätestens Ende des Jahres erwartet wird. In diesem Kontext gibt es Diskussionen, Atomenergie und Gaskraft als grüne Investitionen einzustufen. Prof. Erik Gawel, Umweltökonom am UFZ, erörtert Hintergründe und was das für Deutschland und die EU bedeuten würde.

Erik Gawel Foto: Sebastian Wiedling / UFZ
Erik Gawel
Foto: Sebastian Wiedling / UFZ

Definiert die EU-Taxonomie, was nachhaltig ist? 
Die EU-Taxonomie liefert kein universell gültiges Bewertungsraster für Nachhaltigkeit, sondern einen pragmatischen ad-hoc-Ansatz für einen begrenzten Zweck. So sollen Wirtschaftsaktivitäten klassifiziert werden, um privaten Finanzströmen Anhaltspunkte zu geben, wo grüne Investments möglich sind. Weltweit setzen Investoren zunehmend auf "grün" - wenn klar ist, was genau dazu zählt. Diese Lücke soll die EU-Taxonomie füllen. 

Dass aber so gleichzeitig erstmals auf offizieller Ebene EU-weit Aussagen gleichsam über Nachhaltigkeit schlechthin getroffen werden, lässt der Taxonomie eine weit über den eigentlichen Zweck hinausreichenden Symbolwert zukommen. Diese symbolische Bedeutung geht einher mit nicht zu unterschätzender öffentlicher und wirtschaftlicher Bedeutung. Es ist absehbar, dass die hier vorgenommene ad-hoc-Klassifizierung als offizielle Klärung der Nachhaltigkeitsfrage schlechthin überinterpretiert werden wird - und insbesondere in die Klima- und Energiepolitik auf europäischer und nationaler Ebene hineinstrahlen wird, aber auch in die Anlageentscheidungen internationaler Investoren. Dass sich dies mit den Notwendigkeiten, den Ausbau der Erneuerbaren stark zu forcieren, bricht, ist offensichtlich. Was sollte noch für den Vorrang der Erneuerbaren sprechen, wären Gas-, Atom- und Regenerativkraft gleichermaßen kategorisch als "grün" etikettiert? 

Ultimativ festzulegen, was nachhaltig sei oder was nicht, lässt sich wegen der Komplexität der zu berücksichtigen Faktoren, der dabei auftretenden Unsicherheiten und der Notwendigkeit, Bewertungen einfließen zu lassen, nicht wissenschaftlich zweifelsfrei lösen. Viele anders aufgebaute Bewertungsraster als jenes der EU-Taxonomie wären denkbar, vielleicht sogar überzeugender. Außerdem fokussiert die Taxonomie-Bewertung alleine auf ausgewählte ökologische Effekte. Für politische Entscheidungen sind aber z. B. auch Technologiekosten zu berücksichtigen. Insofern taugt die Taxonomie keinesfalls als abschließendes Technologieassessment, erst recht nicht für die Orientierung von Investitionen oder Investitionsförderung. 

Die EU-Taxonomie bietet daher auf wissenschaftlich durchaus begrenzter methodischer Grundlage ein recht starkes Statement ("ist nachhaltig"). So mussten für die Klassifizierung der Klimaeffekte von Gaskraftwerken nicht unumstrittene Grenzwerte gesetzt werden; bei der Bewertung der Atomenergie fehlen von vornherein relevante Nachhaltigkeitseffekte (z. B. Risiken durch Störfälle, Kosten der Endlagerung), andere wurden per Einschätzung "geklärt". Die EU-Taxonomie bleibt letztlich - bei allen wertzuschätzenden Versuchen einer transparenten Regelgebundenheit für das Etikett der Nachhaltigkeit - ein politischer Bewertungsakt. Das Gezerre um die Einordnung von Gas- und Atomkraft legt davon beredtes Zeugnis ab.

Welche Folgen hätte es für Deutschland oder Europa, wenn künftig in der EU Atom- und Gaskraftwerke offiziell als "grün" gelten?

Eine pauschale Etikettierung fossiler und nuklearer Energieerzeugung als "grün" muss angesichts der klimapolitischen Notwendigkeiten und der offensichtlichen Nachhaltigkeitsdefizite der Atomkraft irritieren. Das Nachhaltigkeits-Attest wird zur unerwünschten Umlenkung privater Finanzströme weg vom notwendigen Ausbau der Erneuerbaren und der Wasserstoffinfrastruktur hin zu Technologien von gestern führen. Zugleich wird der langfristig unvermeidliche Übergang in eine "solare Wasserstoffwirtschaft" verzögert und es werden der Gesellschaft dabei unnötige zusätzliche (Ewigkeits-) Lasten aufgebürdet. Auch die als Brückentechnologie notwendige Gaskraft ist als bloßes Mittel des Übergangs schon gerade deswegen nicht dauerhaft "nachhaltig". Gaskraftwerke sind klimapolitisch eher ein "notwendiges transitorisches Übel", aber sicher keine gleichwertige dauerhafte "Nachhaltigkeitsalternative". Auch ist offen, inwieweit ein Brückenbedarf tatsächlich neue Investments erfordert.

Stromerzeugung aus Atomenergie dürfte sogar der Inbegriff nicht-nachhaltiger Energiebereitstellung sein. Atomkraft stellt zu vielfach heruntersubventionierten und deshalb nur scheinbar konkurrenzfähigen Kosten einer einzigen Generation Strom zur Verfügung. Sie hinterlässt dafür einer kaum vorstellbaren Zahl künftiger Generationen Ewigkeitslasten für eine bis heute nicht überzeugend gelösten Endlagerung. Sie ist im Betrieb und in den Folgen mit erheblichen Risiken belastet, die im Marktpreis nicht abgebildet werden und für die Allgemeinheit und künftige Generationen aufkommen müssen. Inflexibler Atomstrom passt zudem nicht in ein zukunftsfähiges Energiesystem mit volatilen Erneuerbaren und wird selbst zu heruntersubventionierten Preisen wirtschaftlich nicht mit Erneuerbaren mithalten können. Schon derzeit kostet selbst eine von Folgelasten freigestellte kWh Atomstrom weltweit zwischen 13 und 30 Cent, während Windstrom für 3-8 Cent zu haben ist. Atomenergie ist schließlich auch deshalb keine nachhaltige Lösung, weil sie auf den Einsatz endlicher Ressourcen angewiesen ist. Eine vermeintlich schnelle Lösung des Klimaproblems würde daher mit massiven Problemen erkauft, für die heutige Entscheidungsträger aber die Verantwortung nicht mehr übernehmen müssen. Nachhaltigkeit bedeutet gerade das Gegenteil: heute so wirtschaften, dass auch die Zukunft angemessen gesichert bleibt.

Nach den EU-Verträgen ist der Energieträger-Mix Sache der Mitgliedstaaten. Dass es EU-weit keinen Konsens über den angemessenen Träger-Mix in einem dekarbonisierten Energiesystem gibt, bremst die europäische Klimapolitik aus. Die Taxonomie-Verordnung nimmt nunmehr - gleichsam durch die Hintertüre - eine EU-weite Wertung von Energieträgern vor, die bislang wohlweislich vermieden wurde. Für die deutsche, aber auch die EU-Energiewende ist die pauschale Deklaration bestimmter fossil-nuklearer Stromerzeugung als gleichrangig mit regenerativen Quellen problematisch und auch nicht sachgerecht. Sie steht zudem im Widerspruch zu dem von den G7 bereits 2015 formulierten Ziel, bis zum Ende des Jahrhunderts aus fossilen Energien auszusteigen. Tatsächlich muss der Ausstieg weitaus früher gelingen, um die Klimaziele des Paris-Abkommens einzuhalten. 

Formal widerspräche ein grünes Label für Gaskraftwerke wohl nicht dem aktuellen Entschluss von 20 Staaten auf der COP 26, künftig nicht mehr in fossile Energien "im Ausland" zu investieren. Allerdings ist die vielfach bekräftigte Notwendigkeit, fossile Energienutzung nach einer möglichst kurzen Übergangsphase zu beenden, mit einem kategorischen EU-Etikett "grün" schwerlich vereinbar. 

Was wäre eine gute Alternative?

Anstatt ein umstrittenes ad-hoc-Prädikat zu vergeben, wäre es zielführender, einen umweltpolitischen Instrumentenmix aufzusetzen, der die diversen Umweltwirkungen der verschiedenen Technologien angemessen einpreist oder ordnungsrechtlich adressiert und so  marktendogen zu einem "grünen Technologiemix" führen könnte - und dabei der Komplexität des Problems besser gerecht würde. Dann nämlich könnten Kapitalgeber und Investoren schlicht den "profitablen" Investitionschancen folgen. Profitabel wären dann nur noch solche Technik-Alternativen, die auch unter Ausweis ihrer vollen volkswirtschaftlichen Kosten heute und in der Zukunft wirklich wettbewerbs- und zukunftsfähig sind.

Prof. Dr. Erik Gawel leitet das Department Ökonomie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Er ist Professor für institutionenökonomische Umweltforschung an der Universität Leipzig.

Quellen:
EU taxonomy for sustainable activities. What the EU is doing to create an EU-wide classification system for sustainable activities. Informationsseite der EU über die Taxonomie.

REGULATION (EU) 2020/852 OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL of 18 June 2020 on the establishment of a framework to facilitate sustainable investment, and amending Regulation (EU) 2019/2088


Weitere Informationen

Prof. Dr. Erik Gawel
Leiter des UFZ-Departments Ökonomie
erik.gawel@ufz.de

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Susanne Hufe
Telefon: +49 341 235-1630
presse@ufz.de


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