Pressemitteilung vom 10. November 2022

Hauptursache für den Verlust der biologischen Vielfalt ist die Umwandlung von Wäldern und Grünland

Forscher erstellen Ranking der Ursachen für weltweiten Verlust der Artenvielfalt und Lebensräume

Die Umwandlung von naturnahen Wäldern und Grünland in landwirtschaftliche Flächen ist hauptverantwortlich für den weltweiten Verlust der biologischen Vielfalt. Die ausbeuterische Nutzung wildlebender Tiere und Pflanzen durch Fischerei, Holzeinschlag, Handel und Jagd ist zweitwichtigste Ursache, gefolgt von Umweltverschmutzung. Der Klimawandel ist bislang nur der viertstärkste Treiber. Dies zeigt eine internationale Studie unter der Leitung der Universidad Nacional de Córdoba (UNC) in Argentinien, des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und des Natural History Museum London. Die in Science Advances veröffentlichte Studie macht deutlich, dass der Kampf gegen den Klimawandel allein nicht ausreicht, um den weiteren Verlust der biologischen Vielfalt zu verhindern.

Abholzung tropischen Regenwaldes, um Platz für Palmölplantagen zu schaffen. Foto: Adobe stock / whitcomberd
Abholzung tropischen Regenwaldes, um Platz für Palmölplantagen zu schaffen.
Foto: Adobe stock / whitcomberd

Obwohl der Klimawandel wegen seiner tiefgreifenden Folgen für die Natur zu Recht hohe Aufmerksamkeit bekommt, ist er - zumindest momentan - nur die viertgrößte Ursache für den Verlust der biologischen Vielfalt an Land, gefolgt von der Invasion gebietsfremder Arten. "Die vorliegende Studie, die während des COP27-Klimagipfels veröffentlicht wird, zeigt deutlich, dass die Bekämpfung des Klimawandels allein nicht ausreicht, um den weiteren Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen", sagt Dr. Nicolas Titeux, einer der beiden Erstautoren. "Die für den Artenschwund verantwortlichen direkten Treiber sollten mit ähnlichem Ehrgeiz wie der Klimawandel ganzheitlich bekämpft werden." Titeux arbeitet derzeit am Luxembourg Institute of Science and Technology, hat aber einen Großteil der Studie am UFZ mit finanzieller Unterstützung des iDiv durchgeführt.

Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass Treibhausgase die Hauptursache für die Klimakrise sind, aber ebenso wichtig ist es, zu verstehen, was hinter dem enormen und schnellen Artenschwund steckt. Eine Million Tier- und Pflanzenarten sind - wenn wir nicht gegensteuern - in den nächsten Jahrzehnten vom Aussterben bedroht; die Ökosysteme weltweit verlieren an Qualität und können die für uns Menschen so wichtigen Ökosystemleistungen immer schlechter erbringen. 

Die Autor:innen der Studie unter der Leitung von Dr. Pedro Jaureguiberry von der Universidad Nacional de Córdoba (UNC) und Dr. Nicolas Titeux stellten zudem fest, dass der Klimawandel als direkter Treiber des Artenschwunds in den Ozeanen bereits an zweiter Stelle rangiert. Hier spielt die Ausbeutung der Fischbestände die größte Rolle. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen gehen die Wissenschaftler:innen  jedoch davon aus, dass die Bedeutung des Klimawandels für den Artenschwund und den Rückgang der Ökosystemleistungen auch an Land in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zunehmen wird.

Damit bestätigen und konkretisieren die Autor:innen der Studie die Kernaussagen des Globalen Assessments, das der Weltbiodiversitätsrat IPBES bereits 2019 veröffentlicht hatte. "Die vorliegende Arbeit verdeutlicht, wie solide und differenziert die Hintergrundinformationen und Analysen des Globalen Berichtes von IPBES sind", sagt Josef Settele von UFZ und iDiv sowie Ko-Vorsitzender des Globalen IPBES-Assessments. "Dies gilt nicht nur für die vorliegende Thematik der Treiber des Artenschwunds, sondern ist ein Indikator für die fundierte Arbeitsweise des Weltbiodiversitätsrates insgesamt."

Bedarf an naturbasierten Lösungen

Auch dürfte die vorliegende Arbeit das Verständnis dafür, wie der Verlust der biologischen Vielfalt bekämpft werden kann, grundlegend verändern. Jaureguiberry: "Unsere Studie liefert umfassende und fundierte Informationen darüber, welche Faktoren die biologische Vielfalt auf verschiedenen Ebenen am meisten schädigen - regional wie global. Wir hoffen, dass diese Ergebnisse zu einem ganzheitlicheren Ansatz beitragen werden, um effizientere Maßnahmen zur Eindämmung des Verlusts der biologischen Vielfalt zu entwickeln." Titeux weist außerdem darauf hin, dass "die derzeitigen globalen Vereinbarungen wie das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) und das UN-Rahmenübereinkommen über Klimaänderungen (UNFCCC) sich zu sehr auf einzelne Faktoren konzentrieren und dabei Lösungen übersehen, die eng mit anderen Faktoren zusammenhängen". 

Professor Andy Purvis vom Naturhistorischen Museum in London, ebenso Mitautor der Studie, erklärt: "Der Klimawandel und der Verlust der biologischen Vielfalt wurden bislang weitgehend getrennt voneinander betrachtet. Politische Maßnahmen berücksichtigen oft nicht das jeweils andere Problem. So werden zum Beispiel Biokraftstoffe als eine Möglichkeit vorgeschlagen, die Klimaneutralität zu erreichen; damit verbundene Auswirkungen auf die Natur jedoch, zum Beispiel durch die Ausweitung von Plantagen auf natürliche Wälder, nicht in die Betrachtungen einbezogen."

Das Papier hebt auch einige naturbasierte Lösungen hervor, wie die großflächige Wiederherstellung naturnaher Wälder und den wirksamen Schutz von Feuchtgebieten an Küsten. Sie wirken sowohl dem Klimawandel als auch dem Verlust der biologischen Vielfalt entgegen. 

Diese Forschungsarbeit wurde u. a. gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG; FZT-118).

Publikation:
Pedro Jaureguiberry, Nicolas Titeux, Martin Wiemers, Diana E. Bowler, Luca Coscieme, Abigail S. Golden, Carlos A. Guerra, Ute Jacob, Yasuo Takahashi, Josef Settele, Sandra Díaz, Zsolt Molnár, Andy Purvis (2022): The direct drivers of recent global anthropogenic biodiversity loss. Science Advances, DOI: 10.1126/sciadv.abm9982 https://doi.org/10.1126/sciadv.abm9982


Weitere Informationen

Dr. Nicolas Titeux
Luxemburgisches Institut für Wissenschaft und Technologie (LIST)
nicolas.titeux@list.lu

Prof. Dr. Josef Settele
Leiter UFZ-Department Naturschutzforschung / iDiv / MLU Halle Wittenberg
josef.settele@ufz.de

UFZ-Pressestelle

Susanne Hufe
Telefon: +49 341 235-1630
presse@ufz.de


Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

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Die Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.

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