Pressemitteilung vom 18. Juni 2021

Herausforderungen einer nationalen Wasserstrategie in Forschung und Umsetzung

Ein Positionspapier aus der deutschen Wasserforschung

Wassersicherheit für Mensch und Natur ist ein Grundpfeiler nachhaltiger Politik. Die Water Science Alliance, in der sich die Gemeinschaft der deutschen Wasserforschung disziplinen­übergreifend zusammengeschlossen hat, begrüßt deshalb die jüngst vorgestellte Nationale Wasserstrategie des Bundesumweltministeriums, insbesondere ihre Prinzipien der Inte­gration, Vorsorge und Orientierung am natürlichen Wasserhaushalt. Die Umsetzung der Strategie erfordert innovative Konzepte basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Schlüssel zum Erfolg ist dabei ein offener, systematischer Dialog unter Beteiligung aller relevanten Nutzergruppen, der öffentlichen Verwaltung, der Politik und der Wissenschaft.

Strategie-Rahmenpapier Foto: WSA
Strategie-Rahmenpapier
Foto: WSA
Der Druck auf Wasserressourcen und Gewässer steigt kontinuierlich. Foto: André Künzelmann / UFZ
Der Druck auf Wasserressourcen und Gewässer steigt kontinuierlich.
Foto: André Künzelmann / UFZ

Der Druck auf Wasserressourcen und Gewässer steigt kontinuierlich - in Deutschland ebenso wie weltweit. Wasser wird für Menschen und Ökosysteme knapp und gerät bei hohen Niederschlägen außer Kontrolle. Belastungen von Grund- und Oberflächenwasser durch Schad- und Fremdstoffe werden zunehmend komplex. Die Folgen sind eine immer aufwän­diger werdende Wasseraufbereitung und -versorgung, vermehrte Schäden an lnfrastruk­turen und degradierte Gewässer mit eingeschränkter ökologischer Funktionalität. 

Die in einem langen Prozess mit Bürger- und Expertenbeteiligung erarbeitete und am 8. Juni 2021 vorgestellte Nationale Wasserstrategie greift diese Herausforderungen auf. Sie spiegelt die nicht nur in der Bundespolitik gereifte Erkenntnis, dass neben einer klugen Klima- und Biodiversitätspolitik eine gesamtheitliche Wasserstrategie als tragende Säule der nachhal­tigen Entwicklung im 21. Jahrhundert unverzichtbar ist. 

Die Deutsche Wasserforschungsallianz (WSA) begrüßt die Eckpunkte der Nationalen Wasserstrategie und die damit verbundene Initiative der Bundespolitik, das Wasser- und Gewässermanagement strategisch anzugehen. Die Empfehlung der WSA für Politik und Verwaltung lautet deshalb, die Nationale Wasserstrategie in der kommenden Legislatur­periode mit Mut und Weitsicht auszugestalten und umzusetzen. Integration, Orientierung am natürlichen Wasserhaushalt und Vorsorge als Kernpunkte der Strategie sind elementar für eine erfolgreiche Wasserpolitik der Zukunft. Das Management von Wasserressourcen und Gewässern muss deshalb als Querschnittsaufgabe organisiert und dabei eine konse­quent integrative Perspektive eingenommen werden. Dies erfordert neue konzeptionelle Ansätze und Kooperationen - eingebettet in eine solide Wissens- und Datenbasis über natür­liche und technische Wassersysteme und deren Interdependenzen. 

Die von der Politik formulierten Ziele sind in ihrer Gesamtheit begrüßenswert ambitioniert. Übergeordnetes Ziel ist, Wassersicherheit gleichermaßen für die menschliche Nutzung und die Gewässerökosysteme zu gewährleisten. Die Vision muss dabei ein Null-Defizit-Ziel sein: D.h. Eingriffe in Wassersysteme sind nur dann vertretbar, wenn Ökosystemfunktionen erhal­ten oder verbessert werden. Dieses Prinzip macht radikal neue Ansätze und Prioritäten für das Wasser- und Gewässermanagement erforderlich, nicht nur aus technischer Sicht, son­dern auch um Zielkonflikte zu minimieren und zu lösen. Politik und öffentliche Verwaltung müssen sich auf diese Herausforderungen einstellen. 

Leitidee ist eine Systemperspektive, die der multisektoriellen Funktion von Wasser gerecht wird:

  • Das Management von Wasserressourcen und Gewässern muss Kriterien folgen, die sich gleichzeitig am Wohl des Menschen, am Erhalt der Biodiversität und an der Gewähr­leistung funktionierender Ökosysteme orientieren.
  • Wassermengenwirtschaft, Wasser- und Gewässerqualität bedürfen einer konsequent integrativen Betrachtung.
  • Werkzeuge für die Wasserplanung bedürfen einer kohärenten und integrativen Sicht auf Wassersysteme jenseits der heutigen Betrachtung einzelner Teile des Wasserkreislaufs, Infrastrukturen und Gewässer. 
  • Kurz- und langfristige Prognosen müssen angesichts des rasch fortschreitenden Klima­wandels deutlich verbessert werden bei gleichzeitig hoher regionaler und jahreszeitlicher Differenzierung. 

Aus diesen Anforderungen leitet sich die Notwendigkeit ab, neue Konzepte und quantitative Werkzeuge des Wassermanagements zu entwickeln. Sie sind verbunden mit hohen Ansprü­chen an die Qualität und Quantität der zu erhebenden Daten sowie an die verwendeten Modelle und ihre konzeptionelle und datentechnische Kompatibilität. Dabei müssen sowohl moderne Methoden der Datenwissenschaften als auch - wie in der Klimafoschung - leistungsfähige Modell-Ensembles für die Entwicklung von Vorhersagen und Szenarien mit quantitativen Angaben zur Modellunsicherheit entwickelt werden. Die Einsetzbarkeit dieser Werkzeuge muss ferner über weite Bereiche der räumlichen und zeitlichen Skalen gewährleistet sein.

Als ein zentrales Instrumentarium für die Erarbeitung unmittelbar praxistauglichen Wissens sieht die WSA darüber hinaus die Einrichtung von Reallaboren. Sie erlauben es, die Gesamtheit der Einflussfaktoren und Wechselwirkungen in Gewässern und ihren Einzugsgebieten zu beurteilen. Das schließt menschliche Aktivitäten ein. Reallabore verknüpfen darüber hinaus Wissen über Wassersysteme aus allen relevanten Bereichen mit konkreten Planungsansätzen. Reallabore sind datengestützt und lassen sich als 'Digitale Zwillinge' realer Einzugsgebiete mit allen wichtigen Teilkomponenten virtuell in Modell­systemen abbilden. Darauf aufbauend können komplexe Szenarien, Entscheidungsräume und Dialogprozesse entwickelt und dargestellt werden.

Trotz großer Fortschritte weist modernes integriertes Wassermanagement noch viele konzeptionelle Wissens- und Datenlücken auf, die die erfolgreiche Umsetzung der Nationalen Wasserstrategie behindern. Diese Lücken können durch ein langfristig angelegtes Wasserforschungs- und Entwicklungsprogramm geschlossen werden, das die schrittweise Umsetzung der Strategie unterstützt. Ein solches Aktionsprogramm müsste aus der Systemperspektive heraus formuliert, disziplinenübergreifend organisiert und zwischen der durch die wissenschaftlichen Fachverbände vertretenen Wasserforschungsgemeinschaft, der öffentlichen Verwaltung und der Politik abgestimmt sein. 

Für dringend erforderlich erachtet die Deutsche Wasserforschungsallianz aus diesem Grund ein 'Forschungsbegleitprogramm Nationale Wasserstrategie'. Aktuelle nationale und regio­nale Forschungsprogramme liefern dazu wichtige Elemente. Sie greifen aber allein zu kurz. Grund ist, dass sie die in der Nationalen Wasserstrategie erkannte Bedeutung der quanti­tativen Abbildung der zentralen Prozesse aus einer Gesamtsystemperspektive heraus nicht angemessen widerspiegeln. Erfolgversprechende Ansätze ähnlich ambitionierter nationaler Initiativen zur Stärkung der Forschung jenseits von Fachgrenzen, Ressortzuständigkeiten und Bund-Ländergrenzen existieren bereits in anderen Bereichen hoher Dringlichkeit. 

Die Wasserforschung in Deutschland ist mit ihrem Innovationspotenzial und gebündelten Wissen bestens gerüstet, Partner in Behörden und Politik zu unterstützen, um den großen Herausforderungen im Wassermanagement zu begegnen. Dies gilt für die universitäre, die außeruniversitäre und die Ressortforschung gleichermaßen. Gemeinsam müssen sie die besten Köpfe mobilisieren, um den aktuellen Wissensstand und neueste konzeptionelle und methodische Entwicklungen in ein gesamtheitliches Systemverständnis einzubringen. Dafür stehen in Deutschland profunde Prozesskenntnisse und ein umfangreiches Methoden­spektrum zur Verfügung, das von der molekularen Analytik der Wasserinhaltsstoffe bis zur Echtzeitüberwachung hydrologischer, chemischer und ökologischer Systemgrößen im Einzugsgebietsmaßstab reicht.

Die Water Science Alliance (WSA) - die Deutsche Wasserforschungsallianz - wurde 2013 als gemeinnütziger Verein gegründet. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die in mehr als zehn Fachdisziplinen agierende und kleinteilig strukturierte Wasserforschung Deutschlands zusammenzuführen, disziplinenübergreifende Forschungsthemen zu identifizieren und zu fördern, sowie Potenziale der Integration zu erschließen. Anlässlich der diesjährigen Konferenz der Wasserforschungsallianz am 15. und 16. Juni 2021 wurden das Strategierahmenpapier der WSA 'Wassersysteme im Wandel - Herausforderungen und Forschungsbedarfe für die Deutsche Wasserforschung' vorgestellt und verabschiedet. 

Diese Pressemitteilung wird vom UFZ stellvertretend für alle anderen beteiligten Institutionen verschickt.

Weiterführende Links:
Strategie-Rahmenpapier der Water Science Alliance, veröffentlicht am 14. Juni 2021
Entwurf der Nationalen Wasserstrategie des Bundesumweltministeriums, vorgestellt am 8. Juni 2021

Fachliche Ansprechpartner:
Prof. Mark Gessner
Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
gessner@igb-berlin.de

Prof. Peter Krebs
Technische Universität Dresden
peter.krebs@tu-dresden.de

Prof. Florian Leese
Universität Duisburg-Essen
florian.leese@uni-due.de

Prof. Stefan Peiffer
Universität Bayreuth
s.peiffer@uni-bayreuth.de

Jörg Seegert
Sekretariat WSA
joerg.seegert@tu-dresden.de

Prof. Georg Teutsch
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
gf@ufz.de


Weitere Informationen

UFZ-Pressestelle

Susanne Hufe
Telefon: +49 341 235-1630
presse@ufz.de


Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

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Die Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.

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