Pressemitteilung vom 07. November 2022

Natürliche Reduktion von Kohlendioxid schneller umsetzbar und weniger risikoreich als Hightech-Ansätze

Forscher:innen haben Potenzial verschiedener Verfahren der Abscheidung von Kohlendioxid untersucht

Kohlendioxid lässt sich auf natürlichem oder technischem Wege aus der Atmosphäre entziehen. Natürliche Senken wie Moore können wiederhergestellt werden, und es existieren bereits innovative Technologien, um Kohlenstoff aus der Luft zu holen. Forscher:innen des Clusters "Netto-Null-2050" der Helmholtz-Klima-Initiative haben unter Leitung von UFZ-Wissenschaftlerinnen die vielversprechendsten Ansätze in Deutschland identifiziert. Sie zeigen, dass natürliche Senken kurzfristig erweitert werden können, während Hightech-Ansätze Treibhausgase erst mittelfristig reduzieren könnten und potenzielle Risiken bergen.

 Foto: Adobe.stock.com - Ilham

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Um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen und die globale Erwärmung auf 1,5 bis 2 Grad Celsius zu begrenzen, wird es voraussichtlich nicht reichen, die CO2-Emissionen zu reduzieren. Darüber hinaus wird es wahrscheinlich notwendig, der Atmosphäre bereits emittiertes Kohlendioxid wieder zu entnehmen. Eine solche CO2-Abscheidung ließe sich auf natürlichem Wege durch die Erweiterung natürlicher Senken (ENS) wie beispielsweise die Wiederaufforstung von Wäldern erreichen. Auch neue Technologien, die chemische Prozesse zur Kohlenstoffabscheidung nutzen, ließen sich nutzen. Das Potenzial und die Durchführbarkeit dieser so genannten Kohlendioxid-Entnahmemaßnahmen (CDR) sind jedoch von vielen Variablen abhängig. Dazu gehören unter anderem die Verfügbarkeit von Infrastrukturen und Ressourcen wie Land und Energie.

Erweiterung natürlicher Kohlenstoffspeicher schneller umsetzbar als Hightech-Ansätze 
Forscher:innen der Helmholtz-Klima-Initiative haben nun erstmals untersucht, wie viel CO2 mittels der verschiedenen Verfahren in Deutschland bis zum Jahr 2050 aus der Atmosphäre entnommen werden könnte. Auf der Grundlage einer Literaturrecherche, von Expert:innenwissen und einer Analyse der Bedingungen im Land wie zum Beispiel der Verfügbarkeit von Infrastrukturen, Ressourcen und technologischer Reife haben die Forscher:innen 13 CDR-Optionen mit Einsatzpotenzial ermittelt und beschrieben. "Es ist wichtig, die unterschiedlichen Reifegrade und Einsatzmöglichkeiten der verschiedenen Optionen zu kennen", erklärt Dr. Malgorzata Borchers vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), die die Studie zusammen mit der UFZ-Bioenergie-Expertin Prof. Daniela Thrän geleitet hat. "Während einige ENS-Optionen bereits heute eingesetzt werden und gegebenenfalls ausgeweitet werden könnten, würde es bei der Mehrheit der High-Tech-Optionen Jahre oder sogar mehr als ein Jahrzehnt dauern, bis sie in großem Maßstab eingesetzt werden könnten. Sie sind außerdem oft abhängig von der Möglichkeit der Kohlenstoffspeicherung, die in Deutschland derzeit durch Gesetze eingeschränkt ist und durch eine Änderung der geltenden Vorschriften erschlossen werden müsste. Gleichwohl ist es wichtig, diese Technologien weiterzuentwickeln, damit sie bei Bedarf im späteren Teil des Jahrhunderts eingesetzt werden können."

Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung hat das höchste Entnahmepotenzial   
Die vorgeschlagenen Konzepte weisen ein sehr unterschiedliches jährliches CO2-Entnahmepotenzial auf, das von 62.000 Tonnen bei der Wiederherstellung von Seegraswiesen in der Ostsee bis zu 29,9 Millionen Tonnen über die Verbrennung von Biomasse zur Kraft-Wärme-Kopplung mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) reicht. Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung (Bioenergy with Carbon Capture and Storage, kurz BECCS) besitzt das höchste spezifische Entnahmepotenzial. Für BECCS wird Biomasse aus Pflanzen - die der Luft durch Photosynthese CO2 entziehen - zur Energieerzeugung, das heißt zum Beispiel für Wärme, Strom oder Kraftstoffe genutzt. Bei der Umwandlung von Biomasse in Energie wird CO2 freigesetzt, welches aber nicht in die Atmosphäre gelangt, sondern direkt eingefangen und anschließend gespeichert wird. Besonders interessant im Hinblick auf die Menge des entzogenen CO2 ist das Konzept der sogenannten Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). Dabei werden ehemalige Kohlekraftwerke zur Verbrennung von Holzpellets für die gleichzeitige Erzeugung von Strom und Wärme genutzt. Jedes Kraftwerk mit einer elektrischen Leistung von 500 MW könnte durch Anwendung von BECCS knapp 3 Megatonnen CO2 pro Jahr neutralisieren. Borchers gibt jedoch zu bedenken: "Die Verwendung von holzartiger Biomasse in Kraftwerken in größerem Maßstab wird die Gesamtnachfrage nach Biomasse voraussichtlich erheblich steigern. Wir werden Biomasse aus dem Ausland importieren müssen, was sich negativ auf die Waldökosysteme im Ausland auswirken und zusätzliche CO2-Emissionen verursachen könnte".

Auch Direktabscheidung von Kohlenstoff aus der Luft hat hohes Potenzial 
Die Direktabscheidung von Kohlenstoff aus der Luft (Direct Air Carbon Capture, kurz DACC), bei der große DACC-Absorber-Anlagen installiert werden, ist der Studie zufolge ein weiteres CDR-Konzept mit hohem Entnahmepotenzial. Jede Anlage könnte bis zu einer Million Tonnen CO2 pro Jahr abscheiden, sofern eine wirksame CO2-Speicherung erreicht werden kann. Daniela Thrän wendet jedoch ein: "In Anbetracht der Größenordnung einer solchen Anlage und des damit verbundenen Energiebedarfs ist zweifelhaft, ob diese Technologie in Deutschland überhaupt umsetzbar wäre. Der Energiebedarf einer solchen Anlage entspräche dem jährlichen Energiebedarf von 720.000 deutschen Haushalten". 

Verwitterung von Gesteinen bei natürlichen Verfahren vorne 
Andere BECC- und DACC-Optionen weisen geringere CO2-Abscheidungspotenziale auf. Bei den Optionen zur Erweiterung natürlicher Senken wie der Wiedervernässung von Mooren, der Aufforstung von Ackerflächen oder der verstärkten Gesteinsverwitterung schwankt das Potenzial zwischen 1,5 und 9,5 Tonnen CO2, die jährlich pro Hektar Land, auf dem sie angewendet würden, abgeschieden werden könnten. Von diesen natürlichen Verfahren bietet die Förderung der natürlichen Verwitterung von Gesteinen das höchste Entnahmepotenzial pro Fläche. Karbonat- und Silikatminerale könnten um CO2 zu binden in pulverisierter Form auf Böden ausgebracht werden, etwa auf landwirtschaftlichen Nutzflächen. Durch die Ausbringung von Basalt auf Ackerland könnten in Deutschland bis zu 5,82 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr gebunden werden. Daniela Thrän gibt hier zu bedenken, "dass diese CDR-Option von der Gewinnung bis zum Zerkleinern und Mahlen des Silikatgesteins mit einem erheblichen Energieaufwand verbunden ist. Zudem sollten auch die Umweltauswirkungen weiter untersucht werden, da es noch an aussagekräftigen Ergebnissen mangelt."

Wie viel CO2 aus der Atmosphäre entnommen werden muss, ist unklar
"Die Schätzwerte für den notwendigen Kohlendioxidabbau in Deutschland reichen von 3 bis 18 Gigatonnen CO2 von heute bis zum Jahr 2100, je nachdem, was wir als unsere historische Verantwortung, Leistungsfähigkeit und Beitrag zur globalen Gerechtigkeit zugrunde legen", erklärt Borchers. "Und natürlich ist die Menge an CO2, die wir entfernen müssen, stark von den Maßnahmen abhängig, die wir in den kommenden Jahren zur Reduzierung und Vermeidung von Emissionen ergreifen."

Die Helmholtz-Klima-Initiative erforscht systemische Lösungen für eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit: den Klimawandel. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 15 Helmholtz-Zentren entwickeln gemeinsam Strategien zur Eindämmung von Emissionen und zur Anpassung an unvermeidliche Klimafolgen - mit dem Fokus auf Deutschland. Die Helmholtz-Klima-Initiative stellt vielen gesellschaftlichen Bereichen wissenschaftlich basiertes Wissen zur Verfügung und tritt mit Verantwortlichen aus Politik, Wirtschaft und Medien sowie der interessierten Öffentlichkeit in den Dialog.

Publikation:
Borchers M, Thrän D, Chi Y, Dahmen N, Dittmeyer R, Dolch T, Dold C, Förster J, Herbst M, Heß D, Kalhori A, Koop-Jakobsen K, Li Z, Mengis N, Reusch TBH, Rhoden I, Sachs T, Schmidt-Hattenberger C, Stevenson A, Thoni T, Wu J and Yeates C (2022) Scoping carbon dioxide removal options for Germany-What is their potential contribution to Net-Zero CO2 ? Front. Clim. 4:810343. doi: 10.3389/fclim.2022.810343 https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fclim.2022.810343/full

Weitere Informationen:
Hier erfahren Sie mehr über die verschiedenen Ansätze zur Kohlendioxid-Entnahme.


Weitere Informationen

Prof. Dr. Daniela Thrän
Leiterin des UFZ-Departments Bioenergie / Bereichsleiterin Bioenergiesysteme am DBFZ
daniela.thraen@ufz.de

UFZ-Pressestelle

Susanne Hufe
Telefon: +49 341 235-1630
presse@ufz.de


Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

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Die Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.

www.helmholtz.de
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