Pressemitteilung vom 15. März 2020

Entwurf eines europäischen Klimagesetzes: "Programm für eine nachhaltige Transformation des Wirtschaftens"

Umweltjurist Wolfgang Köck vom UFZ kommentiert den Entwurf

 Foto: EU-Kommission

Foto: EU-Kommission

 

Die EU-Kommission hat in ihrer Mitteilung "Der europäische Grüne Deal" vom 11. Dezember 2019 [Com (2019) 640 final] die strategischen Weichen für ein zukunftsfähiges Wirtschaften im EU-Raum gestellt. Bis zum Jahr 2050 soll ein klimaneutrales Wirtschaften erreicht sein. Außerdem sollen dem Schutz bzw. der Wiederherstellung der natürlichen Ökosysteme, dem Schutz der menschlichen Gesundheit vor Umweltauswirkungen sowie der nachhaltigen Nutzung der Ressourcen ein höherer Stellenwert beigemessen werden. Erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Vernetzung der Energiesysteme, Kreislaufwirtschaft, nachhaltiges Bauen und neue Mobilität sind wichtige Bausteine der Umsteuerung. Abgesichert werden soll der "Green Deal" nach außen durch ein "CO2-Grenzausgleichssystem" für den Warenverkehr und nach innen durch die Beachtung sozialer Rechte, insbesondere durch die Schaffung eines Fonds für einen gerechten Übergang [Com (2020) 22 final] sowie durch einen Investitionsplan für ein zukunftsfähiges Europa [Com (2020) 21 final]. 

Die Kommission hat angekündigt, alle verfügbaren Planungsinstrumente kohärent im Sinne des "Green Deal" zu nutzen; namentlich sollen die nationalen Klima- und Energieprogramme, die nationalen Strategieprogramme zur Umsetzung der gemeinsamen Agrarpolitik und auch die Kohäsionsfonds zur Entwicklung des ländlichen Raumes zur Zielerreichung beitragen. Um Wirtschaft und Gesellschaft bei alldem bestmöglich mitzunehmen, soll zudem ein "Klimapakt" geschlossen werden, der die Öffentlichkeit einbezieht in die politische Planung. 

In der Summe ergibt all dieses nicht weniger als ein Programm für eine nachhaltige Transformation des Wirtschaftens. Die Kommission kommt damit ihrer Verantwortung nach, der EU und ihren Mitgliedstaaten einen Weg aufzuzeigen, wie angesichts des Wissens um die ökologischen Belastungsgrenzen und auch angesichts des Wissens um die Endlichkeit vieler Ressourcen, verantwortungsvoll gehandelt werden kann. Sie reagiert damit prompt auf den alarmierenden Zustandsbericht der Europäischen Umweltagentur (EEA) "Die Umwelt in Europa - Zustand und Ausblick 2020", der systemische Lösungen angemahnt hat. Allzu lange hatten nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Europäische Kommission, diese Erkenntnisse zugunsten kurzfristiger nicht-nachhaltiger Wirtschaftsinteressen verdrängt. Die Klimaklagen und auch die neue Klimaschutzbewegung der jungen Generation (Fridays for Future) waren nicht zuletzt eine Reaktion auf das Versagen der (EU-)Politik. Die Mitteilung über den "Green Deal" macht Hoffnung, dass es der institutionalisierten Politik gelingen kann, das Heft des Handelns in überzeugender Weise zurückzugewinnen (siehe dazu auch den Standpunkt von Köck/Markus in ZUR 5/2019, S. 257 f.).

In der "Green Deal"-Mitteilung hatte die Kommission bereits darauf hingewiesen, dass sie im März den Entwurf für ein europäisches "Klimagesetz" vorlegen wird. Dieser Ankündigung folgte am 4. März d.J. der Vorschlag für eine Verordnung zur Schaffung des Rahmens für die Verwirklichung der Klimaneutralität ("Klimagesetz") [Com (2020) 80 final]. Die besondere Bedeutung des Entwurfs liegt darin, dass die EU erstmals rechtsverbindlich für den EU-Raum das Ziel der CO2-Neutralität (netto null-Emission) bis 2050 vorschreibt (Art. 1 und 2 I).

Darüber hinaus sieht der Verordnungsvorschlag vor, dass die rechtsverbindlichen 2030-Ziele (40% THG-Emissionsreduktion) zu überprüfen sind: Bis September 2020 sollen Möglichkeiten einer Reduktion der Treibhausgase von 50% bzw. 55% (bezogen auf das Basisjahr 1990) eruiert werden (Art. 2 III). Bis zum 30. Juni 2021 soll dann ermittelt werden, mit welchen Rechtsinstrumenten ggf. strengere 2030-Ziele erreicht werden können. Zur Erinnerung: Das bisherige 2030-Ziel (40% THG-Reduktion) war Anlass für die Klimaklage Carvalho et. al.  gegen die EU (dazu: Winter, ZUR 2019, 259-271), die in erster Instanz vom EuG als unzulässig zurückgewiesen worden ist und derzeit dem EuGH zur Kontrolle vorliegt. Strengere 2030-Ziele sind immer wieder auch von den Umweltverbänden gefordert worden. Die nun auf den Weg gebrachte Überprüfung des 2030-Ziels darf als Signal gedeutet werden, nicht erst ab 2030, sondern deutlich früher effektivere und rational begründete Maßnahmen in Gang zu setzen.

Schaut man auf die weiteren Inhalte des "Klimagesetz"-Entwurfs, so geht es im Wesentlichen um die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen für Festlegungen des Zielpfades bis 2050 auf die Kommission (Art. 3), um periodische Bewertungen der Ziel(pfad)konformität des Handelns der EU und seiner Mitgliedstaaten (Art. 5-7), um (im Wesentlichen wohl bindende) Empfehlungen an die Mitgliedstaaten bei erkannter Zielverfehlung (Art. 6 Abs. 2 und 3) sowie um die Einbeziehung der Öffentlichkeit (Art. 8) und um die Etablierung eines Klima- und Energiedialogs mit den Kommunen, der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft (Art. 10).

Ein zentrales Instrument zur Gewährleistung zielorientierten Handelns hatte der europäische Gesetzgeber schon 2018 etabliert: den sog. "Governance-Mechanismus", der durch die Verordnung über das Governance-System für die Energieunion und den Klimaschutz im Dezember 2018 eingeführt worden war, und der Kommission effektive Möglichkeiten einräumt, in die nationalen Politikpläne zu intervenieren (VO EU 2018/1999) (dazu Schlacke/Knodt, ZUR 2019, 404 ff.). Dieses Instrument erscheint als so vielversprechend und gleichzeitig alternativlos, dass auch der deutsche Gesetzgeber in seinem Klimaschutzgesetz v. 12.12.2019 darauf zurückgegriffen hat, und die Kommission diesen Gedanken wieder aufgenommen hat in seiner Idee der (bindenden) Empfehlungen (Art. 6 Abs. 2 und 3).

Über den Governance-Mechanismus  kann zwar eingegriffen werden in die Politikprogramme der Mitgliedstaaten (bzw. auf nationaler Ebene: in die nationalen Sektorprogramme). Entscheidend dürfte aber sein, die Maßnahmenprogramme und die Kommissionsempfehlungen instrumentell so zu designen, dass das "Richtige" getan wird, also effektives, effizientes und sozialverträgliches Handeln bestmöglich kombiniert werden. Dies gelingt voraussichtlich nur, wenn nicht nur Wirtschaft und Zivilgesellschaft, sondern insbesondere auch Experten der Natur-, Ingenieurs- und Sozialwissenschaften einbezogen werden. Der Kommissionsvorschlag für ein europäisches "Klimagesetz" sieht zwar vor, dass die Kommission ihre Empfehlungen auf die besten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu stützen hat und nennt den IPCC und auch die EEA in diesem Zusammenhang ausdrücklich, trifft aber - anders als etwas das deutsche Klimaschutzgesetz - keine Organisationsentscheidung zur Etablierung eines sachverständigen beratenden Gremiums.

Der Kommissions-Entwurf ist zunächst nur ein Vorschlag und bedarf noch der qualifizierten Zustimmung sowohl des Ministerrats als auch des Europäischen Parlaments. Ob die notwendige Zustimmung insbesondere im Ministerrat zustande kommen wird, ist zwar nicht gewiss, aber doch sehr wahrscheinlich. Selbst wenn in den Mitgliedstaaten noch Skepsis bestehen sollte, ob man angesichts der Schärfe des globalen Wettbewerbs und der unterschiedlichen Ausgangsbedingungen die Transformation zur Nachhaltigkeit wagen kann, wird die Zustimmung leicht gemacht, weil zum "Green Deal" auch ein Investitionsplan und ein Fonds gehören. Letzterer wird insbesondere den ärmeren bzw. den in besonderer Weise kohlenstofflastigen Mitgliedstaaten zu Gute kommen. Die Zustimmung wird den Mitgliedstaaten auch dadurch erleichtert, dass die Verschärfung der 2030-Ziele noch nicht feststeht, sondern lediglich geprüft wird und weil auch die delegierten Rechtsetzungsbefugnisse der Kommission letztlich von einer erfolgreichen Kooperation mit Rat und Parlament abhängen. Es gibt also auch jenseits des Transformationsziels gute Gründe für die Mitgliedstaaten, diesem Entwurf zuzustimmen. Dazu zählen nicht zuletzt auch die Klimaklage und "Fridays for Future", denen man den Wind nur aus den Segeln nehmen kann, wenn glaubhaft mehr (und vor allen Dingen das "Richtige") gegen den Klimawandel getan wird. Für die von der EEA angemahnte "systemische Lösung" geht es sowohl um die Abstandswahrung zu den planetaren Belastungsgrenzen (dazu Calliess, ZUR 2019, 385), als auch um den Zusammenhalt der Gesellschaft, insbesondere die soziale Gerechtigkeit, im Prozess der großen Transformation.

Franklin Delano Roosevelt, der Initiator des "New Deals" in den USA der 30er Jahre, formulierte angesichts der erdrückend wirkenden Herausforderungen der Weltwirtschaftskrise den berühmte Satz: "[…] the only thing we have to fear is fear itself!"  In diesem Sinne brauchen wir ein entschiedenes, beherztes und kluges Umsetzen des europäischen "Green Deal". Denn anders als das gegenwärtige Krisenmanagement zur Bewältigung der Corona-Krise, geben uns der "Green Deal" und das Klimagesetz noch Zeit für planvolles und sozialverträgliches Umwelthandeln. "Corona" lässt erahnen, was auf uns zukommen wird, wenn wir diese Vorlaufzeiten nicht konsequent nutzen.

Der Text entstand unter Mitarbeit von Dr. Till Markus, Wissenschaftlicher Referent im UFZ-Department Umwelt- und Planungsrecht, und erscheint auch als 'Standpunkt' in der Zeitschrift für Umweltrecht (ZUR) 31 (2020), S. 257-258).


Weitere Informationen

Prof. Dr. Wolfgang Köck
Leiter UFZ-Department Umwelt- und Planungsrecht
wolfgang.koeck@ufz.de

UFZ-Pressestelle

Susanne Hufe
Telefon: +49 341 235-1630
presse@ufz.de


Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

www.ufz.de

Die Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.

www.helmholtz.de
« zurück