Pressemitteilung vom 19. April 2021

Negative Emissionen: Umstrittene Instrumente der Klimapolitik

UFZ-Studie zu rechtlichen und ökonomischen Aspekten

Um die Klimaziele von Paris zu erreichen, muss die Menschheit die Emission von Treibhausgasen massiv reduzieren. Zusätzlich wird über die Notwendigkeit sogenannter "Negativemissionstechnologien" diskutiert. Welche rechtliche und ökonomische Rolle diese Technologien in der internationalen Klimapolitik spielen, hat jetzt ein Autorenteam des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) im Rahmen der Helmholtz-Klima-Initiative untersucht. 

 Foto: Susan Walter-Pantzer / UFZ

Foto: Susan Walter-Pantzer / UFZ

Negativemissionstechnologien (NETs) bezeichnen sehr unterschiedliche Maßnahmen, um Treibhausgase aus der Atmosphäre zu entnehmen. Die Aufforstung von Wäldern zählt ebenso dazu wie die Ozeandüngung oder das technische Herausfiltern von Kohlendioxid aus der Luft. Ein Autorenteam rund um den Umweltökonomen Prof. Erik Gawel und den Rechtswissenschaftler Dr. Till Markus vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) hat im Rahmen der Helmholtz-Klima-Initiative zentrale klimawissenschaftliche, klimapolitische und klimarechtliche Aspekte von NETs untersucht und veröffentlicht.

Ein zentrales Fazit ihrer Publikationen lautet: Ob die höchst unterschiedlichen NETs tatsächlich dazu beitragen, kontinuierlich "Negativ-Emissionen" zu erzeugen, ist unsicher und hängt zum Beispiel davon ab, ob eine dauerhafte Einlagerung gelingt. "Nicht vermiedene Emissionen müssten auf ewig eingefangen und umweltsicher neutralisiert werden. Wer das für die gesamte Weltgemeinschaft dauerhaft garantiert und finanziert, ist vollkommen offen", sagt Erik Gawel. Daher sollten NETs nicht undifferenziert unter dem Begriff der Emissionsminderung (Mitigation) zusammengefasst werden. Dies könne sich im ungünstigsten Fall sogar kontraproduktiv auf Klimaschutzbemühungen auswirken, insbesondere wenn Emissionsvermeidung deswegen nicht ambitioniert genug ausfiele. 

"NETs können auch ein überoptimistisches Vertrauen erwecken, indem sie als gleichwertige Alternative zur Reduzierung von Emissionen angesehen werden", sagt Till Markus. Dieser Eindruck könnte wiederum dazu führen, dass Staaten sich deutlich weniger bemühen, ihre Lebens- und Wirtschaftsweise so zu verändern, dass sie Treibhausgase verringern oder vermeiden. Bestimmte Technologien würden zudem sehr stark in die Natur eingreifen. Diese Folgen seien derzeit ebenso schwer abschätzbar wie die Kosten bestimmter Verfahren und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft.

Die Mehrheit der Wissenschaftler*innen gehe derzeit davon aus, dass NETs keine gleichwertige Alternative zur Vermeidung von Emissionen sind. Die meisten NETs seien auch noch in einem frühen Entwicklungsstadium. Das spiegele sich auch im geltenden Recht wider, etwa der Klimarahmenkonvention oder dem Pariser Übereinkommen. Dort seien NETs nur unzureichend erfasst. Maßnahmen, mit denen bereits die Entstehung von Emissionen vermieden werden könne, würden dort bislang priorisiert.   

Aus Sicht der Autoren spricht nichts gegen den Einsatz von NETs schon heute, sofern ihre Umweltverträglichkeit nachgewiesen ist. NETs als unterstützende Maßnahme müssen dafür jedoch dringend weiter erforscht werden, und zwar nicht nur technisch, sondern auch hinsichtlich der Rolle staatlicher und privater Akteure sowie der rechtlichen Einbindung.

Die Helmholtz-Klima-Initiative erforscht systemische Lösungen für eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit: den Klimawandel. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 15 Helmholtz-Zentren entwickeln gemeinsam Strategien zur Eindämmung von Emissionen und zur Anpassung an unvermeidliche Klimafolgen - mit dem Fokus auf Deutschland: Das Cluster I "Mitigation - Netto-Null-2050" erarbeitet Beiträge zu einer Roadmap, die zeigt, wie Deutschland bis zum Jahr 2050 seine Kohlendioxid-Emissionen auf Netto Null reduzieren könnte. Das Cluster II "Adaptation" untersucht Anpassungsmöglichkeiten in Lebensbereichen, die vom Klimawandel betroffen sind, wie Gesundheit, Landwirtschaft, Energieversorgung oder Verkehr.

Publikationen:
"Negativemissionstechnologien als neues Instrument der Klimapolitik: Charakteristiken und klimapolitische Hintergründe" Markus, T., Schaller, R., Gawel, E. et al. In: Natur und Recht Vol. 43 (2021) https://doi.org/10.1007/s10357-021-3804-8

"Negativemissionstechnologien und ihre Verortung im Regelsystem internationaler Klimapolitik", Markus, T., Schaller, R., Gawel, E. et al., In: Natur und Recht Vol. 43 (2021)
https://doi.org/10.1007/s10357-020-3755-5

Ergänzende Informationen:
Standpunkt Dr. Silke Beck: Negative Emissionen - Hoffnungsträger oder trojanisches Pferd der Klimapolitik? https://www.ufz.de/newsletter/ufz/August2018/index.html#12

 


Weitere Informationen

Prof. Dr. Erik Gawel
Leiter des UFZ-Departments Ökonomie
erik.gawel@ufz.de

Dr. Till Markus
UFZ-Department Umwelt- und Planungsrecht
till.markus@ufz.de

UFZ-Pressestelle

Susanne Hufe
Telefon: +49 341 235-1630
presse@ufz.de


Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

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Die Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.

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