Pressemitteilung vom 12. März 2020

Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik in der Kritik

Wissenschaftler sehen Schutz von Umwelt und Klima bedroht

Schnelles und effektives Handeln erwarten Wissenschaftler*innen aus ganz Europa von der EU im Rahmen ihrer Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). In einem Positionspapier bewerten sie die aktuellen Reformvorschläge der EU-Kommission als unzureichend. Mehr als 3.600 Forscher*innen haben dieses Papier unterzeichnet. Weder die angestrebten Klima- und Naturschutzziele noch wesentliche soziale Ziele der EU Agrarpolitik würden so erreicht. Milliarden Euro von Steuergeldern würden ineffektiv eingesetzt - wider besseres Wissen. Die Forscher schlagen zehn Maßnahmen für eine nachhaltige und gerechte Landwirtschaft vor. 

Strukturreiche Agrarlandschaft Foto: Sebastian Lakner
Strukturreiche Agrarlandschaft
Foto: Sebastian Lakner

21 Ökologen, Ökonomen und Agrarwissenschaftler hatten - koordiniert von Wissenschaftlern des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und der Universität Rostock das Positionspapier verfasst und im Herbst 2019 als Petition ins Internet gestellt. Über 3.600 Wissenschaftler*innen aus allen 27 EU- und 36 weiteren Staaten haben das Papier seitdem unterschrieben. Eine weiterentwickelte Version des Textes erschien nun in der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift People and Nature. 

Die Autor*innen mahnen eine Wende in der europäischen Agrarpolitik an: "Die GAP nach 2020, wie sie derzeit von der Europäischen Kommission vorgeschlagen wird, geht die Herausforderungen in den Bereichen Umwelt und Nachhaltigkeit nur unzureichend an. Das macht ein Weiter-wie-Bisher-Szenario sehr wahrscheinlich". Die Wissenschaftler*innen befürchten, dass die aus ihrer Sicht ohnehin schon ungenügenden Anforderungen an Umwelt und Naturschutz der aktuellen Reformvorschläge noch weiter eingeschränkt werden könnten. Dies zeige sich an den Änderungsanträgen des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung des Europäischen Parlaments bzw. des EU-Rates, nach denen eine Reihe von Umweltauflagen reduziert oder aufgehoben werden sollen. "Die EU macht sich wenig glaubwürdig, wenn sie erklärt, dass die nächste GAP besser für die Umwelt und für die ländlichen Gebiete sein wird und gleichzeitig das Budget dafür kürzen will", sagt der Erstautor des Positionspapieres Dr. Guy Pe’er, Ökologe an UFZ und iDiv.

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Positionspapiers fällt zusammen mit den Verhandlungen der Europäische Union über Förderrichtlinien ihrer Gemeinsamen Agrarpolitik für die kommenden sieben Jahre. Ein gutes Drittel ihres Budgets, 58 Milliarden Euro jährlich, steckte die EU 2019 in die Förderung der Landwirtschaft und des ländlichen Raumes. Die Forscher*innen und Unterzeichner*innen drängen darauf, bei dieser Neugestaltung die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu berücksichtigen. "Das nötige Wissen für einen Übergang zu einer evidenzbasierten, nachhaltigen europäischen Landwirtschaft steht zur Verfügung", schreiben sie im Positionspapier. 

Dazu zählt auch das Globale Assessment des Weltbiodiversitätsrates, das im Mai 2019 veröffentlicht wurde. "Die Ökosysteme der Erde werden massiv durch den Menschen beeinflusst", sagt UFZ-Agrarökologe Prof. Josef Settele, einer der drei Vorsitzenden des Global Assessments. "Die Folge sind ein Verlust der Artenvielfalt, eine geringere Widerstandsfähigkeit, so dass die Leistungen der Ökosysteme wie etwa eine sichere Versorgung mit Nahrungsmitteln weltweit gefährdet sind." Die Autoren des IPBES-Berichts benennen erstmals auch die fünf maßgeblichen Treiber für den Verlust der Biodiversität auf. An erster Stelle steht die immer stärkere Nutzung von Festland und Meeren durch den Menschen.

Die Autor*innen des Positionspapiers schlagen zehn politische Maßnahmen für eine neue GAP vor. Dazu gehören unter anderem ausreichende Mittel für einen effektiven Schutz von Klima und biologischer Vielfalt, eine effektive Erfolgsmessung dieser Maßnahmen sowie eine transparentere EU-Agrarpolitik, die alle Interessengruppen gleichermaßen beteiligt. 

An erster Stelle jedoch fordern die Autor*innen, die Direktzahlungen an Landwirte in Zahlungen zugunsten öffentlicher Güter und gesellschaftlicher Erwartungen umzuwandeln. "Die Direktzahlung dienen zurzeit hauptsächlich dazu, die Einkommen der Landwirte zu fördern", meint Agrarökonom Prof. Sebastian Lakner von der Universität Rostock. "Das blockiert eine sinnvollere Verausgabung der öffentlichen Mittel und trägt kaum zur Erreichung von Umweltzielen bei." Sinnvoller wäre beispielsweise die Erhaltung und Wiederherstellung kleinteiliger Landschaftsstrukturen mit Elementen wie Blühstreifen, Hecken und Grünland. Davon profitieren viele Vögel, Insekten und Säugetiere, die auch der Landwirtschaft zugutekommen.

Positionspapier: Guy Pe’er, Aletta Bonn, Helge Bruelheide, Petra Dieker, Nico Eisenhauer, Peter H. Feindt, Gregor Hagedorn, Bernd Hansjürgens, Irina Herzon, Angela Lomba, Elisabeth Marquard, Francisco Moreira, Heike Nitsch, Rainer Oppermann, Andrea Perino,  Norbert Röder, Christian Schleyer, Stefan Schindler, Christine Wolf, Yves Zinngrebe, Sebastian Lakner (2019): Action needed for the EU Common Agricultural Policy to address sustainability challenges. Unterschriftenlisten unter DOI: 10.5281/zenodo.3685632.

Wissenschaftliche Veröffentlichungen:
Guy Pe’er, Aletta Bonn, Helge Bruelheide, Petra Dieker, Nico Eisenhauer, Peter H. Feindt, Gregor Hagedorn, Bernd Hansjürgens, Irina Herzon, Angela Lomba, Elisabeth Marquard, Francisco Moreira, Heike Nitsch, Rainer Oppermann, Andrea Perino, Norbert Röder, Christian Schleyer, Stefan Schindler, Christine Wolf, Yves Zinngrebe, Sebastian Lakner (2020): Action needed for the EU Common Agricultural Policy to address sustainability challenges. People and Nature. DOI: 10.1002/pan3.10080.

Diaz, S., Settele, J., Brondízio, E., Ngo, H., Guèze, M., Agard, J., Arneth, A., Balvanera, P., Brauman, K., Butchart, S., 2019. Summary for policymakers of the global assessment report on biodiversity and ecosystem services of the Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services.Available at https://www.ufz.de/export/data/2/239135_ipbes_global_assessment_report_summary_for_policymakers.pdf

Zusammenfassung in deutscher Sprache: https://www.ufz.de/export/data/2/228053_IPBES-Factsheet_2-Auflage.pdf

Guy Pe’er, Aletta Bonn, Helge Bruelheide, Petra Dieker, Nico Eisenhauer, Peter H. Feindt, Gregor Hagedorn, Bernd Hansjürgens, Irina Herzon, Angela Lomba, Elisabeth Marquard, Francisco Moreira, Heike Nitsch, Rainer Oppermann, Andrea Perino, Norbert Röder, Christian Schleyer, Stefan Schindler, Christine Wolf, Yves Zinngrebe, Sebastian Lakner (2019): Action needed for the EU Common Agricultural Policy to address sustainability challenges (preprint version). DOI: 10.5281/zenodo.3666258.  

IPCC, 2019. Climate Change and Land: An IPCC Special Report on climate change, desertification, land degradation, sustainable land management, food security, and greenhouse gas fluxes in terrestrial ecosystems - Summary for Policy Makers. https://www.ipcc.ch/srccl/chapter/summary-for-policymakers/

IPBES 2018. The assessment report on land degradation and restoration. Bonn, https://www.ipbes.net/system/tdf/2018_ldr_full_report_book_v4_pages.pdf?file=1&type=node&id=29395.


Weitere Informationen

UFZ-Pressestelle

Susanne Hufe
Telefon: +49 341 235-1630
presse@ufz.de


Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

www.ufz.de

Die Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.

www.helmholtz.de
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