Schwerpunktthema November 2012

Chemikalienabbau in Böden als mikrobielle Ökosystemdienstleistung

Mikroorganismen sind die heimlichen Herrscher auf unserer Erde. Sie treiben die Kohlenstoff- und andere Elementkreisläufe an, haben weltweit eine ähnlich große Biomasse wie die Pflanzen und in einer Handvoll Erde leben mehr Bakterien als es jemals Menschen auf dem Planeten gegeben hat. Ebenso sind sie äußerst anpassungsfähig und selbst in der Antarktis, in der Tiefsee oder im tiefsten Erduntergrund in großer Zahl zu finden. Ein Leben wie es heute auf der Erde existiert, wäre ohne sie kaum denkbar. Der Schriftsteller Guy Krneta malt in seinem Buch ‚Zmittst im Gjätt uss / Mitten im Nirgendwo‘ eindrücklich aus, welche Unbill über die Menschheit hereinbräche, wenn die durch Mikroben bewirkte alkoholische Gärung in Weinfässern und Bierbottichen ausbliebe.

Wesentlich gravierender ist jedoch eine andere Vorstellung: Was könnte passieren, wenn die schadstoffabbauenden Mikroorganismen ihren Dienst einstellen würden? Unser modernes Leben ist auf Erdöl und eine Vielzahl von Chemikalien angewiesen. Laut Schätzungen werden jährlich 400 Millionen Tonnen an synthetischen Chemikalien produziert, vier Milliarden Tonnen Erdöl gefördert, und es sind 69 Millionen verschiedene chemische Produkte käuflich erwerbbar. Ein Teil dieser Chemikalien gelangt durch menschliches Handeln schließlich gewollt oder ungewollt in die Umwelt. Diese Belastung mit vom Menschen in Umlauf gebrachten (anthropogenen) Chemikalien stellt ein immenses Problem für die betroffenen Ökosysteme und nicht zuletzt auch für uns Menschen dar.

Abbau durch Mikroorganismen: eine Frage der Logistik

Bodenprobe

Viele Bodenbakterien besitzen die Fähigkeit giftige Chemikalien abzubauen. Der Abbau der Chemikalien ist jedoch häufig durch die mangelnde Beweglichkeit von Bakterien im Boden eingeschränkt, welche häufig verhindert, dass diese zu den Orten mit hohen Schadstoffkonzentrationen gelangen können.
Foto: André Künzelmann/UFZ

Pilzmycel mit sich darauf bewegenden Bakterien (grün)

Pilzgeflechte durchziehen großflächig Böden, auf denen sich Bakterien bewegen können (grüne Punkte auf dem Bild). UFZ-Wissenschaftler wiesen nun in Laborversuchen nach, dass man sich dieses Verhalten zu Nutze machen kann: Ölabbauende Bakterien bewegten sich entlang der Pilznetze zu den Chemikalienquellen hin.
Foto: Katrin Päzolt und Dr. Thomas Neu/UFZ

Viele Mikroorganismen besitzen die Fähigkeit, giftige Chemikalien in harmlose Bestandteile wie Wasser, Kohlendioxid und Kochsalz zu zerlegen und so Energie und Bausteine für ihr Wachstum zu gewinnen. Unter optimalen Bedingungen können sie sich dabei rasant vermehren und Umweltschadstoffe vollständig abbauen. Diese Selbstreinigungskraft der Natur ist eine essentielle Ökosystemdienstleistung. Sie wird in der Umweltbiotechnologie gezielt ausgenutzt und oft mit technischen Mitteln unterstützt. Als Beispiele seien die Abwasserreinigung in Kläranlagen oder die biologische Sanierung (Bioremediation) verunreinigter Böden genannt. Damit eine Bodenverschmutzung auf mikrobiologischem Weg beseitigt werden kann, müssen jedoch mehrere Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens muss der Boden das Überleben und die Aktivität der mikrobiellen Lebensgemeinschaften erlauben, zweitens müssen die Mikroorganismen die Schadstoffe grundsätzlich abbauen können und drittens müssen die Schadstoffe vor allem in Kontakt mit den Mikroorganismen kommen, das heißt, sie müssen bioverfügbar sein. Es besteht also die logistische Herausforderung, die richtigen Dinge zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu haben.

Die prinzipielle Abbaubarkeit von Chemikalien unter optimalen Laborbedingungen ist daher noch kein Garant dafür, dass mikrobielle Gemeinschaften die Schadstoffe auch unter realen Umweltbedingungen abbauen. Vielmehr muss der Schadstoffabbau in natürlichen Ökosystemen in Abhängigkeit vom komplexen Wechselspiel der Mikroorganismen untereinander und mit ihren Umweltbedingungen betrachtet werden. Beispielsweise sind viele Ölschadstoffe nur gering wasserlöslich (hydrophob) und lagern sich vorwiegend an Bodenbestandteile an. Von dort werden sie nur schwer an die Bakterien abgegeben.

Ein weiteres Hindernis ist die Unbeweglichkeit der Bakterien im Boden. Die Vielzahl mikroskopischer Bodenpartikel, luftgefüllte Poren, mangelnde Feuchtigkeit oder auch die Notwendigkeit, sich vor größeren Fressfeinden in kleinen Bodenporen in Sicherheit zu bringen, schränken die Mobilität der Bodenbakterien erheblich ein und behindern ihre aktive Nahrungssuche erheblich. Selbst bei einer typischen Besiedlungsdichte von hundert Millionen Bakterien pro Gramm Boden ergeben sich dadurch Distanzen von bis zu mehreren hundert Mikrometern zwischen Schadstoffvorkommen und abbauenden Kolonien. Biotechnologische Reinigungsmaßnahmen sollten deshalb das Ziel haben, die Schadstoffe in richtiger Konzentration bioverfügbar zu machen, also die mittleren Distanzen zwischen Bakterien und ihrer Nahrung zu verkürzen bzw. dafür zu sorgen, dass die Bakterien ihre Mobilitätshindernisse überwinden können.

Das Potenzial von Pilznetzwerken

Im Department Umweltmikrobiologie am UFZ konnte in Laborexperimenten gezeigt werden, dass das unterirdische Netzwerk von Pilzen (Myzel) ansonsten immobilen, schadstoffabbauenden Bakterien den Zugang zu Ölschadstoffen erleichtern und damit den Abbau verbessern kann. Durch ihre Oberflächeneigenschaften und ihre raumfüllende Struktur bilden Pilze ein mikroskopisch feinverädertes Geflecht auf dem sich Bakterien sehr schnell fortbewegen und Mobilitätshindernisse überwinden können (‚Pilzautobahnen’).

In Laborversuchen wurden die natürlichen Bodenbedingungen vereinfacht nachgestellt und die UFZ-Forscher konnten demonstrieren, dass Ölschadstoffe nur in Gegenwart von Myzelien abgebaut wurden und Bakterien sich entlang der Netze zielgerichtet zu den Chemikalienquellen hin bewegten. Bei der Bodensanierung wurde dieser logistische Effekt der Myzelien bisher oft übersehen. Dabei sind Pilzgeflechte die größten Lebewesen der Erde. Ein Organismus kann sich über mehrere Hektar erstrecken. Außerdem kann er nicht nur Bakterien erlauben, sich im Boden wie auf einem Autobahnnetz zu bewegen, sondern auch Nährstoffe, Wasser und selbst Schadstoffe transportieren, wie kürzlich am UFZ ebenfalls nachgewiesen wurde. Gleichzeitig sind viele Pilze auch als effiziente Schadstoffabbauer bekannt. Bisher sind gerade knapp 100 000 von geschätzten 1,5 Millionen Pilzarten überhaupt beschrieben und von ihren Eigenschaften und Fähigkeiten weiß man oft nur sehr wenig.

Es bleibt also noch viel zu tun, um die Ökologie des mikrobiellen Schadstoffabbaus genauer zu verstehen und das biotechnologische Potenzial der beschriebenen Prozesse für natürliche Sanierungsverfahren ausnutzen zu können. Die Robustheit dieser Prozesse für unterschiedliche mikrobielle Gemeinschaften, Schadstoffe und Umweltbedingungen und ihre Auswirkungen auf den Schadstoffabbau werden deshalb am UFZ weiter experimentell untersucht.

Die Rolle der ökologischen Modellierung

Eine ideale Ergänzung zu den experimentellen Studien sind Simulationsmodelle, die UFZ-Forscher im Department Ökologische Systemanalyse entwickeln. Mit diesen Modellen lässt sich das beobachtete Verhalten der mikrobiellen Systeme noch besser im Detail verstehen. Die ökologischen Modellierer bringen eine andere Sichtweise auf die Experimente mit als ihre Kollegen aus der Umweltmikrobiologie. In ihren Erklärungsansätzen können sie auch auf bekannte theoretische Konzepte der generellen Ökologie zurückgreifen. Die verschiedenen Hypothesen, die aus der Interpretation der Experimente resultieren, werden in Modelle integriert und ihre jeweiligen Auswirkungen bei unterschiedlichen Rahmenbedingungen getestet (z.B. bei unterschiedlicher Beweglichkeit der Bakterien oder unterschiedlichen Konzentrationen und Verteilungen der Schadstoffe).

Durch den Vergleich der Simulationsergebnisse mit Messdaten aus den Experimenten können dann Rückschlüsse auf die Gültigkeit der Hypothesen gezogen werden. Außerdem lassen sich, anders als in realen Systemen, in den Modellen beliebige einzelne Prozesse (de)aktivieren und dadurch auch isoliert oder unter extremen Gegebenheiten simulieren. So wird beispielsweise der Transport von Bakterien und Schadstoffen entlang der Netzwerke zusammen aber auch jeweils einzeln untersucht. Auf diese Weise werden die dem mikrobiellen Ökosystem zugrundeliegenden Mechanismen schrittweise aufgedeckt und ihre Wechselwirkungen analysiert.

Darüber hinaus ist es mit den Modellen oft wesentlich einfacher, die verschiedensten Umweltbedingungen zu variieren und auch diverse räumliche oder zeitliche Heterogenitäten zu integrieren. Hinzu kommt die Möglichkeit, durch vielfach wiederholte Simulationen unter grundsätzlich gleichen Bedingungen den Einfluss von zufälligen Schwankungen zu untersuchen. Diese Vorteile gewinnen noch einmal an Bedeutung, wenn mehrere mikrobielle Arten interagieren und unterschiedliche Schadstoffe sowie weitere Ressourcen berücksichtigt werden sollen, um sich den komplexen Gegebenheiten in realen Böden schrittweise anzunähern.

Durch die systematische Analyse einer Vielzahl von Szenarien erlauben die Simulationsmodelle schließlich die Identifikation von physiko-chemischen und ökologischen Schlüsselfaktoren für die Verbesserung des mikrobiellen Schadstoffabbaus. Daraus leiten die Umweltmikrobiologen und ökologischen Modellierer Vorhersagen ab, unter welchen Gegebenheiten im Boden besonders große Steigerungen dieser Ökosystemdienstleistung zu erwarten sind. Das ist wichtig, um das Abbaupotenzial für ein bestimmtes Ökosystem möglichst gut abschätzen zu können. Des Weiteren können die Forscher Aussagen darüber treffen, welche Ökosystemfunktionen erhalten werden müssen, um einen bereits stattfindenden Schadstoffabbau nicht zu gefährden, insbesondere auch im Hinblick auf sich wandelnde Umweltbedingungen.

Simulation der Ausbreitung von Bakterien

Mit einem Computermodell ausgeführte Simulationen unter Berücksichtigung bodentypischer räumlicher Heterogenitäten.
A: Rahmenbedingungen – die Bakterien (dargestellt durch den weißen Punkt in der Mitte) können sich in den blauen Gebieten relativ gut bewegen, in den schwarzen Gebieten ist ihre Beweglichkeit jedoch sehr stark eingeschränkt (z.B. durch Wassermangel).
B: Simulierte Bakterienkolonie (die Dichte der Bakterien steigt von schwarz nach weiß) – die Bakterien konnten vor allem die für sie geeigneten Gebiete besiedeln, die Unwegsamkeiten aber kaum überwinden.
C: Resultierende Schadstoffverteilung (die Konzentration der Schadstoffe steigt von gelb nach grün) – die grünen Gebiete zeigen, dass ein großer Teil der Schadstoffe nicht von den Bakterien erreicht und abgebaut wurde.
Quelle: Dr. Thomas Banitz/UFZ (Originalgrafiken publiziert in Environ. Pollut. 159: 2781-2788, 2011)

Simulation der Ausbreitung von Bakterien mit einem Netzwerk

Simulationsergebnisse unter gleichen Umweltbedingungen, aber mit einem Netzwerk, das eine sehr schnelle Bakterienbewegung erlaubt (ähnlich dem Effekt der ‚Pilzautobahnen’).
D: Zu den Rahmenbedingungen gehört hier auch das Netzwerk, dargestellt durch das weiße Gitter.
E: Die Bakterien konnten nun auch die unwegsamen Gebiete besiedeln und die Kolonie bedeckt fast die gesamte simulierte Fläche.
F: Begünstigt durch die Netzwerke haben die Bakterien im gleichen Zeitraum die Schadstoffe nahezu vollständig abgebaut.
Quelle: Dr. Thomas Banitz/UFZ (Originalgrafiken publiziert in Environ. Pollut. 159: 2781-2788, 2011)

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Referenzen (Auswahl)

BANITZ, T., I. FETZER, K. JOHST, L.Y. WICK, H. HARMS and K. FRANK (2011)
Assessing biodegradation benefits from dispersal networks. Ecol. Modell. 222: 2552-2560

BANITZ, T., K. JOHST, L.Y. WICK, I. FETZER, H. HARMS and K. FRANK (2012)
The relevance of conditional dispersal for bacterial colony growth and biodegradation. Microb. Ecol. 63: 339-347.

BANITZ, T., K. JOHST, L.Y. WICK, S. SCHAMFUSS, H. HARMS and K. FRANK (2012)
Highways versus pipelines: contributions of two fungal transport mechanisms to efficient bioremediation. Environ. Microbiol. Rep., (in press).

BANITZ, T., L.Y. WICK, I. FETZER, K. FRANK, H. HARMS and K. JOHST (2011)
Dispersal networks for enhancing bacterial degradation in heterogeneous environments. Environ. Pollut. 159: 2781-2788.

FURUNO, S., S. FOSS, E. WILD, K.C. JONES, K.T. SEMPLE, H. HARMS and L.Y. WICK (2012)
Mycelia promote active transport and spatial dispersion of polycyclic aromatic hydrocarbons. Environ. Sci. Technol. 46: 5463-5470.

FURUNO, S., K. PAZOLT, C. RABE, T.R. NEU, H. HARMS and L.Y. WICK (2010)
Fungal mycelia allow chemotactic dispersal of polycyclic aromatic hydrocarbon-degrading bacteria in water-unsaturated systems. Environ. Microbiol. 12: 1391-1398.

HARMS., H., D. SCHLOSSER and L.Y. WICK (2011)
Untapped potential: exploiting fungi in bioremediation of hazardous chemicals. Nat. Rev. Microbiol. 9: 177-192.

KOHLMEIER, S., T.H.M. SMITS, R.M. FORD, C. KEEL, H. HARMS and L.Y. WICK (2005)
Taking the fungal highway: mobilization of pollutant-degrading bacteria by fungi. Environ. Sci. Technol. 39: 4640-4646.

WICK, L.Y., R. REMER, B. WÜRZ, J. REICHENBACH, S. BRAUN, F. SCHÄFER and H. HARMS (2007)
Effect of fungal hyphae on the access of bacteria to phenanthrene in soil. Environ. Sci. Technol. 41: 500-505.

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