Pressemitteilung vom 18. September 2008

Vegetation der Städte ähnelt sich

Neue Studie zeigt, dass Pflanzen in Städten stärker untereinander verwandt sind als auf dem Land

Halle/Saale. In deutschen Städten wachsen zwar mehr Pflanzenarten als auf dem Land. Die Pflanzenarten in der Stadt sind jedoch stärker untereinander verwandt und übernehmen oft ähnliche Funktionen. Dadurch sind Ökosysteme in der Stadt empfindlicher gegenüber Umwelteinflüssen. Zu diesem Ergebnis kommen Ökologen des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) nach der Auswertung von 14 Millionen Einträgen der bundesweiten Datenbank FLORKART, die mehrere tausend ehrenamtliche Helfer in den letzten Jahren zusammengetragen haben. Der Naturschutz müsse sich wegen der verändernden Umweltbedingungen nicht nur um den Erhalt einer möglichst großen Anzahl an Arten, sondern auch um deren verwandtschaftliche Vielfalt kümmern. Da die Urbanisierung bereits weit fortgeschritten ist und noch weiter fortschreiten werde, sei es nötig, Strategien zum Schutz der Artenvielfalt auch innerhalb von Städten zu entwickeln, schreiben die Wissenschaftler in der Oktober-Ausgabe des Fachjournals Ecology Letters.

Knoblauchsrauke (Alliaria petiolata)

Brassicaceen (Kreuzblütler), wie z.B. die Knoblauchsrauke (Alliaria petiolata) treten häufig in Städten auf.
Foto: André Künzelmann/UFZ

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Löwenzahn (Taraxacum spec.)

Ebenso findet man in Städten viele Asteraceen (Korbblütler). Ein Vertreter der Asteraceen ist der Löwenzahn (Taraxacum spec.)
Foto: André Künzelmann/UFZ

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Rasterzellen (Raster entspricht dem FLORKART-Raster)

Für die Studie wurden die Rasterzellen (Raster entspricht dem FLORKART-Raster) nach dem Anteil verschiedener Landnutzungstypen eingeteilt: Zellen, die über ein Drittel städtisch-industrieller Landnutzung beinhalten (Stadt-Zellen, rot), Zellen, die weniger als ein Drittel städtisch-industrieller Landnutzung beinhalten sind entweder landwirtschaftliche genutzte Zellen (mit > 50% landwirtschaftlicher Nutzung; gelb) oder naturnahe Zellen (mit > 50% Wäldern oder naturnahen Habitaten; grün). Alle Zellen, auf die die Auswahlkriterien nicht zutrafen (weiß) wurden nicht verwendet.
Quelle: UFZ

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Die Urbanisierung der Welt nimmt stark zu. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten, in Europa sind es sogar über 70 Prozent. Dass die Anzahl der Arten in Städten größer ist als im Umland, hat verschiedene Ursachen: Viele Städte sind in geologisch und strukturell vielfältigen Landschaften entstanden und daher schon von Natur aus artenreich, die Städte selber sind sehr vielfältig strukturiert, die Temperaturen sind höher als im Umland, einheimische und neue Arten werden häufig in Städte eingeführt. Städte beherbergen zwar mehr Arten als ihr Umland, für den Erhalt der biologischen Vielfalt ist jedoch nicht nur die reine Anzahl an Arten von Bedeutung, sondern auch deren Verwandtschaftsbeziehungen: Jede Art ist Träger ererbter Informationen, zum Beispiel über die Art ihrer Bestäubung oder die Struktur ihrer Blätter. Je größer die verwandtschaftliche Vielfalt einer Artengemeinschaft ist, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie Arten mit verschiedenen Merkmalen beinhaltet. Die Merkmale, und folglich auch die verwandtschaftliche Vielfalt, sind also das Rüstzeug, das Pflanzengemeinschaften die Reaktion auf verschiedene Umweltereignisse ermöglicht. Ohne das Wissen um Merkmale und Verwandtschaftsbeziehungen (ihre Phylogenie) wäre das Verständnis, wie Artengemeinschaften sich entwickeln und wie sie mit veränderten Umweltbedingungen zurechtkommen, unvollständig.

Für ihre Studie legten die Wissenschaftler ein Gitter mit rund 12 Kilometer breiten Zellen über die Bundesrepublik und charakterisierten die Zellen anschließend anhand der Landnutzung. 59 Zellen wurden als Stadt-, 1365 als Agrar- und 312 als Wald- bzw. naturnahe Landschaften eingestuft. "Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass in städtischen Gebieten andere Umweltfilter wirken als in ländlichen Gebieten", erklärt Sonja Knapp vom UFZ. Der Verlust an phylogenetischer Information verringert die Chancen von Artengemeinschaften, auf Veränderungen in der Umwelt zu reagieren und könnte langfristig die Funktionen von städtischen Ökosystemen negativ beeinflussen.

Vom 15. bis 19. September 2008 findet in Leipzig die bisher größte Konferenz von Ökologen aus ganz Europa statt. Über 1000 Teilnehmer aus mehr als 30 Ländern haben sich zur "EURECO-GFOE 2008" angemeldet. Die Tagung wird von der European Ecological Federation (EEF) und der Gesellschaft für Ökologie (GfÖ) im Congress Center Leipzig ausgerichtet und vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) sowie den Universitäten Halle-Wittenberg und Leipzig organisiert. Die EEF ist die Dachorganisation aller nationalen ökologischen Gesellschaften in Europa. In ihr sind über 8000 Ökologen organisiert. Die GfÖ dagegen ist die nationale Gesellschaft der Ökologen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz.
Tilo Arnhold

Weitere fachliche Informationen:

Sonja Knapp, Dr. Ingolf Kühn
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Telefon: 0345-558-5308, -5311
Sonja Knapp
Dr. Ingolf Kühn

oder über

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ
Pressestelle
Tilo Arnhold (UFZ-Pressestelle)
Telefon: +49 (0)341 235 1269
presse@ufz.de

Publikation

Sonja Knapp, Ingolf Kühn, Oliver Schweiger, Stefan Klotz:
Challenging urban species diversity: contrasting phylogenetic patterns across plant functional groups in Germany.
Ecology Letters
DOI: 10.1111/j.1461-0248.2008.01217.x
http://www3.interscience.wiley.com/journal/120749881/abstract
Die Untersuchungen wurden teilweise vom Virtuellen Institut für Makroökologie gefördert.

Links:

FloraWeb – Informationsportal des Bundesamtes für Naturschutz (BfN):
http://www.floraweb.de

Mehr zum Thema Biodiversität finden Sie in einer Spezialausgabe des UFZ-Newsletters zur 9. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention zur Biologischen Vielfalt (COP9), die im Mai 2008 in Bonn stattgefunden hat:
www.ufz.de/index.php?de=16853

Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ wurde 1991 gegründet und beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle/S. und Magdeburg rund 900 Mitarbeiter. Es erforscht die komplexen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt in genutzten und gestörten Landschaften, insbesondere dicht besiedelten städtischen und industriellen Ballungsräumen sowie naturnahen Landschaften. Die Wissenschaftler des UFZ entwickeln Konzepte und Verfahren, die helfen sollen, die natürlichen Lebensgrundlagen für nachfolgende Generationen zu sichern.
Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit 25.700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 15 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 2,3 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des großen Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).