Gemeinsame Pressemitteilung von Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) vom 2. März 2015

Jetzt keine Kapazitätszahlungen für Kohle- und Gaskraftwerke

Wissenschaftler befürworten Mix von Maßnahmen, um die deutsche Stromversorgung zu sichern

Leipzig/Mannheim. Zusätzliche Zahlungen an die Betreiber von Kohle- und Gaskraftwerken sind gegenwärtig nicht erforderlich, um die Stromversorgung in Deutschland sicherzustellen. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler deutscher Forschungsinstitute in einer aktuellen Untersuchung. Sie weisen insbesondere darauf hin, dass derartige Zahlungen erhebliche ökonomische Risiken bergen und die Umsetzung der Energiewende gefährden könnten. Die Forscher sprechen sich stattdessen dafür aus, den Strommarkt zu stärken, die Erzeugung erneuerbaren Stroms bedarfsgerechter zu gestalten und den Ausbau von Netzen, Speichern und Nachfragemanagement voranzutreiben.

Foto: ENERGY-TRANS (Collage: modus: medien + kommunikation gmbh)

Foto: ENERGY-TRANS (Collage: modus: medien + kommunikation gmbh)

Bei einer aktuellen wissenschaftlichen Untersuchung kommen Forscher des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) sowie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), der Freien Universität Berlin, der Universität Münster und der Universität Stuttgart zu dem Schluss, dass die Einführung eines gesonderten Kapazitätsmechanismus kurz- bis mittelfristig nicht notwendig ist, um die Versorgungsicherheit zu gewährleisten. Das Bundeswirtschaftsministerium prüft gegenwärtig, ob Kraftwerksbetreiber zukünftig nicht nur für die Erzeugung von Strom, sondern auch für Bereitstellung gesicherter Erzeugungskapazitäten entlohnt werden sollen. Gestern endete die Frist für Stellungnahmen zu den Plänen des Ministeriums.

„Bei der Diskussion um Kapazitätszahlungen darf nicht nur auf Versorgungssicherheit geschaut werden“, betont Dr. Paul Lehmann, Ökonom am UFZ. Entscheidend sei auch, welche zusätzlichen Kosten durch einen solchen staatlichen Eingriff auf die deutsche Volkswirtschaft und die Stromverbraucher zukommen. Zudem sei fraglich, ob Kapazitätszahlungen für konventionelle Kraftwerke überhaupt mit der Energiewende vereinbar sind. Gerade auch aufgrund fehlender Erfahrungswerte und politischer Einflussnahme bestünde die Gefahr von Fehlanreizen, durch welche der Weiterbetrieb unflexibler und CO2-intensiver Kraftwerke gefördert und so der angestoßene Umbau der Stromerzeugung erschwert würde.

Weiterhin befürchten die Wissenschaftler, dass einmal gewährte Kapazitätszahlungen politisch nur schwer zurückzunehmen seien, auch wenn sich zukünftig herausstellen sollte, dass solche zusätzlichen Zahlungsströme ökonomisch nicht mehr zu rechtfertigen sind. „Noch ist unklar, ob und in welcher Form Versorgungsengpässe in Zukunft überhaupt auftreten werden“, stellt DLR-Wissenschaftler Matthias Reeg klar. „Die Vorfestlegung auf derartige Zahlungen wäre zum heutigen Zeitpunkt äußerst problematisch.“

Grundsätzlich sei der Strommarkt in seiner heutigen Ausgestaltung durchaus in der Lage, auch zukünftig effizient Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Allerdings könnten diverse marktliche und staatliche Ursachen, wie etwa die Marktmacht einzelner Stromproduzenten oder die Unsicherheit über die zukünftige Ausgestaltung der Energiepolitik, die Funktionalität des Marktes hemmen. „Maßnahmen, die diese Markthemmnisse reduzieren und die Funktionsweise des Strommarktes fördern, sind aus heutiger Sicht der Schaffung eines neuen Kapazitätsmarktes klar vorzuziehen“, hebt ZEW-Ökonom Dr. Dominik Schober entsprechend hervor.

Die Forscher befürworten daher ein breites Maßnahmenbündel, um die Stromversorgung in Deutschland weiterhin sicherzustellen. Denn Versorgungssicherheit werde nicht nur durch den Einsatz von Kohle- und Gaskraftwerken garantiert. Wichtig sei es zudem, den Strommarkt an den Bedürfnissen fluktuierender Stromerzeugung auszurichten, etwa durch Anpassungen der Fristigkeiten und Vorlaufzeiten der an den Strombörsen gehandelten Produkte. Gleichzeitig müsse die Einspeisung von Erneuerbaren-Strom bedarfsgerechter gestaltet werden. Hierbei spiele etwa die regelbare Stromerzeugung in Biomasseanlagen eine wichtige Rolle, deren Flexibilitätspotenziale trotz politischer Bemühungen nach wie vor kaum ausgeschöpft würden.

Und auch die vermeintlich unflexible Stromerzeugung aus Wind und Sonne könne einen stärkeren Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten, wie dies etwa in Dänemark bereits heute der Fall ist. Beispielsweise können Photovoltaikanlagen gefördert werden, die nach Osten und Westen ausgerichtet sind und somit nicht primär in der Mittagszeit, sondern in den Morgen- und Abendstunden Strom liefern. Entscheidende Beiträge für die Versorgungssicherheit können auch durch den Bau von Netzen und Speichern sowie die Flexibilisierung der Nachfrage erreicht werden. Eine solche Flexibilisierung erfordere, dass die Endverbraucherpreise stärker Überangebote und Knappheiten am Strommarkt widerspiegelten als bisher. In Anbetracht dieser alternativen Handlungsmöglichkeiten raten die Wissenschaftler daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt von der Einführung von weiteren Kapazitätszahlungen ab.

Die Studie wurde im Rahmen der Forschungsallianz ENERGY-TRANS der Helmholtz-Gemeinschaft erstellt.

Hintergrundinformation

Policy Brief:
Paul Lehmann, Robert Brandt, Erik Gawel, Sven Heim, Klaas Korte, Andreas Löschel, Philipp Massier, Matthias Reeg, Dominik Schober, Sandra Wassermann.
„Braucht Deutschland jetzt Kapazitätszahlungen für eine gesicherte Stromversorgung?“ ENERGY-TRANS Policy Brief 01/2015.
Abrufbar unter: www.energy-trans.de/1087_1455.php

Ausführliches Diskussionspapier:
Matthias Reeg, Robert Brandt, Erik Gawel, Sven Heim, Klaas Korte, Paul Lehmann, Philipp Massier, Dominik Schober, Sandra Wassermann.
„Kapazitätsmechanismen als Rettungsschirm der Energiewende? Zur Versorgungssicherheit bei hohen Anteilen fluktuierender erneuerbarer Energien im Stromsystem.“
ENERGY-TRANS Diskussionspapier 01/2015.
Abrufbar unter: www.energy-trans.de/925_1454.php

Helmholtz-Allianz ENERGY-TRANS:
„Zukünftige Infrastrukturen der Energieversorgung. Auf dem Weg zur Nachhaltigkeit und Sozialverträglichkeit“.
Webseite: www.energy-trans.de

Weitere Informationen:

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Dr. Paul Lehmann
paul.lehmann@ufz.de
Te.: 0341/235-1076

Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW)
Dr. Dominik Schober
schober@zew.de
Tel.: 0621/1235-385

oder über die Pressestellen der Institute:

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung
Tilo Arnhold, Susanne Hufe (UFZ-Pressestelle)
Telefon: +49-(0)341-235-1635, -1630

Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW)
Felix Kretz
Tel. 0621/1235-103
kretz@zew.de
www.zew.de/de/presse/latest

Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg über 1.100 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit fast 36.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 18 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 3,8 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).