Leipziger Wissenschaftler im Bunde mit der Maus

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung lud Kinder am „Türöffner-Tag“ zur Begegnung mit Nomaden

Leipzig. Im Zelt der Nomaden herrscht Gedränge. Zwei der Mädchen rüsten sich für den Marsch zum weit entfernten Brunnen, greifen sich Gefäße und ein zum Ring zusammengerolltes Tuch, welches das Balancieren der schweren Fracht auf dem Kopf erleichtert. Sie treten aus dem Zelt, wandern den Weg am Gebirge entlang, weichen Dornengestrüpp aus und achten auf wilde Tiere. Am Brunnen angekommen schöpfen sie das Wasser und helfen einander, die Last auf den Kopf zu heben. Dann der Weg zurück.

MausTag am UFZ- Teilnehmende Kinder

Den Kindern hat der MausTag am UFZ Spaß gemacht. Darüber hinaus haben sie mehr über das Leben von Nomaden erfahren.
Foto: Doris Böhme/UFZ

Brettspiel Nomadsed

Namoonga und Paul schlüpfen beim Brettspiel "Nomadsed" in die Rolle von Hirtennomaden, bei dem sie die täglichen Herausforderungen dieser Menschen kennenlernen und selbst Entscheidungen treffen müssen, um als Nomade gut durch das Leben zu kommen. Das Brettspiel wurde am UFZ im Rahmen eines wissenschaftlichen Projekts entwickelt.
Foto: Doris Böhme/UFZ

Das Zelt der Nomaden steht auf der Terrasse des Helmholtz Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Es ist kein wirkliches Zelt, sondern ein Viereck aus Bänken. Das Gebirge wurde nur gemalt und das Dornengestrüpp besteht aus Plastikbechern. Das Wasser wird aus einer Tonne geschöpft und die kleinen Trägerinnen sind keine Nomadenmädchen, sondern neugierige Kinder aus Leipzig.

Ins UFZ gekommen sind sie, weil die Maus eingeladen hatte, jener beige-braune TV-Star, der seit 41 Jahren die Hauptperson der „Sendung mit der Maus“ vom WDR ist. Als der schlaue Nager im vergangenen Jahr seinen Vierzigsten feierte, gab es zum ersten Mal die Sondersendung „Türen auf für die Maus – Special zum Türöffner-Tag“. Gezeigt wurde, wie Unternehmen, Forschungslabore, Vereine und Werkstätten einluden, etwas Spannendes zu entdecken. Das kam gut an und also wurden auch 2012 sonst verschlossene Türen geöffnet, 370 in ganz Deutschland. Und weil diesmal das Thema Umweltschutz und Nachhaltigkeit im Mittelpunkt des Maus-Tages steht, ist natürlich auch das UFZ dabei. Die Kinder sind gekommen, die Welt der Viehhirten im Trockengürtel der Erde zu erkunden.

Im Zelt der Nomaden geht es auch nach dem Aufbruch der Wasserholerinnen munter zu, aber Heike Franke behält den Überblick. Sie ist Mitglied des mit dem UFZ kooperierenden Amöba Verein für Umweltbildung e.V. und hat Erfahrung darin, Kindern komplexe Themen nahe zu bringen. Sie beherrscht dabei einen lockeren Mix aus Spiel, Klamauk und ernsthaften Gesprächen. Eben noch gibt sie hüftschwingend das tanzende Kamel und Augenblicke später überlegt sie mit den Kindern, wer behutsamer mit der Natur umgehe, die Nomaden oder Max Maßlos aus Europa.

Die Mädels kehren zurück, gießen das herbei geschleppte Wasser in den Bottich. Das nächste Trüppchen macht sich auf den Weg zum Brunnen und wieder ist Zeit für ein Gespräch am Fantasie-Feuer im Fantasie-Zelt. „Habt Ihr schon mal den Begriff ökologischer Fußabdruck gehört?“ Die jungen Freizeit-Nomaden sind sich nicht ganz sicher; Heike erklärt es. „Dann sind wir ja alle Großfüßler“, schlussfolgert einer in der Runde. Derweil kommen die Wasserholer wieder, der Bottich füllt sich Eimer für Eimer – aber ganz langsam nur, viel langsamer als die Badewanne zu Hause.

Die andere Hälfte der etwa 20 Besucher nähert sich dem Thema der nomadischen Ressourcennutzung über ein Brettspiel. Je fünf Mitspieler beugen sich über eine aus grünen und weniger grünen Sechsecken bestehende Steppe. Jedes der Kinder ist ein Nomade und managt seine Habe in Form zweier Sechseck-Weiden, eines Zeltes, einiger Schafe und Futter. Er selbst – der Hirte – hat der besseren Übersicht halber dieselbe Farbe wie seine Tiere und seine Unterkunft. Mit im Spiel sind aber auch die schwarze Figur, der gierige Viehdieb, und ein paar Ereigniskarten, auf denen von anhaltenden Dürrezeiten bis zu einem unerwarteten Futtergeschenk vom Onkel so manches passiert, das durchdachte Entscheidungen nötig macht. „Eines deiner Tiere ist an einer Krankheit gestorben, die anderen müssen geimpft werden. Bezahle eine Münze oder gib ein Schaf der Bank“, liest Spielführerin Romina dem betroffenen Nomaden vor. Der kommt ins Grübeln und rückt sein letztes Geld heraus.

Das Spiel „NomadSed“ entstand innerhalb eines wissenschaftlichen Projektes am UFZ, das sich mit den Zusammenhängen von Natur, Landnutzung und sozialen Fragen befasst. „Ursprünglich wollten wir nur eine Ausstellung zum Thema illustrieren“, erzählt Romina Drees, die Wissenschaftlerin, die derzeit ihre Doktorarbeit zu mobiler Weidewirtschaft in Trockengebieten schreibt und dafür Nomadengebiete bereist. „Daraus ist dieses Spiel entstanden, an dem inzwischen auch noch andere Umweltforscher, Ethnologen und Gestalter gefeilt haben.“ Und sie bekennt: „Manchmal spielen wir auch im Kollegenkreis und kommen auf immer neue Ideen, wie man ‚NomadSed’ perfektionieren könnte.“ Eigentlich für ökologisch interessierte Erwachsene gedacht, fasziniert das Spiel – mit gelegentlichen Hilfestellungen von Romina – auch die Sieben- bis Elfjährigen der heutigen Runde. Und jeder versteht: Nur wenn genügend von den grünen Futterkugeln auf dem Weide-Sechseck liegen, werden die Tiere satt und nur dann reicht Romina ein Lämmchen herüber. Am Schluss wird gezählt: Wer hat die meisten Schafe?

„Und - wie findet Ihr das Leben der Nomaden?“ fragt die Spielführerin beim Einpacken. „Aufregend. Und ganz schön schwierig“, sind sich die Spieler einig. Ihr Rückblick auf den Türöffner-Tag der Maus: „Bissel was habe ich schon über Nomaden gewusst, bissel was noch nicht“, meint Amelija (7) und will betont wissen, dass nichts zu schwer für sie gewesen ist. Paul (9) hingegen gesteht ein, dass er sich mit den Nomaden vorher noch nicht ausgekannt habe. Jetzt wisse er mehr. Und besser als in der Schule sei es im Umweltforschungszentrum auf jeden Fall gewesen.
Marlis Heinz

Weitere Informationen

Romina Drees
Department Ökologische Systemanalyse
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Tel.: 0341 235 1723
Romina Drees

Melanie Heyde
Dept. Stadt- und Umweltsoziologie
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
Tel. 0341 235 1745 Melanie Heyde
und
Amöba - Verein für Umweltbildung e.V.
c/o Umweltbildungsbüro Leipzig
Permoserstr. 15
04318 Leipzig

Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg ungefähr 1.000 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit über 31.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 18 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 3,4 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).