Pressemitteilung vom 17. Dezember 1997

Umweltchemikalien mit hormoneller Wirkung

UFZ Leipzig-Halle entwickelt neue Teststrategien

"Angriff auf die Männlichkeit" (Stern), "Chemie mit kastrierender Wirkung" (Süddeutsche Zeitung), "Blöd und impotent dank Plastik und PCB" (Tageszeitung).; diese und ähnliche Schlagzeilen sorgen in Deutschland für eine breite öffentliche Diskussion über die Gefahr von endokrin (hormonell) aktiven Umweltchemikalien für den Menschen.

Dabei ist das Thema nicht neu. Bereits in den 30er Jahren erkannten Wissenschaftler, daß eine Reihe synthetischer Substanzen in der Lage sind, im Körper die Wirkung des weiblichen Geschlechtshormons östrogen zu imitieren. In den siebziger Jahren wurde in Südkalifornien bei Seevögeln eine starke Verschiebung des Geschlechterverhältnisses hin zu weiblichen Tieren beobachtet. Gleichzeitig traten vermehrt rein weibliche Brutpaare auf. Diese Störungen wurden auf die starke Belastung der Tiere mit chlorierten organischen Substanzen (insbesondere DDT, ein Schädlingsbekämpfungsmittel) zurückgeführt. Im Lake Apopka, Florida, wurden bei männlichen Alligatoren hohe Konzentrationen weiblicher Geschlechtshormone sowie verkleinerte Geschlechtsorgane gefunden. Dieser See ist stark mit Industriechemikalien verunreinigt. Eine Arbeitsgruppe in England fand bei Fischen, die unterhalb einer Kläranlage ausgesetzt wurden, Anzeichen für eine Verweiblichung von männlichen Tieren. Das Blut männlicher Tiere enthielt hohe Konzentrationen des Dotterproteins Vitellogenin, welches normalerweise nur von weiblichen Tieren zur Eiproduktion gebildet wird. Beim Menschen werden Krebserkrankungen der Geschlechtsorgane mit Xenoöstrogenen in Zusammenhang gebracht. Die Ursachen für den Rückgang der männlichen Fruchtbarkeit sind aber nach wie vor umstritten.

Die Liste von Chemikalien, die in Verdacht stehen, für die beobachteten Effekte verantwortlich zu sein, reicht von Zusätzen in Reinigungsmitteln (Alkylphenole) und Weichmachern in Kunststoffen über Pflanzenschutzmittel bis hin zu PCB's (polychlorierten Biphenyle). Die Frage nach der ökotoxikologischen Relevanz endokrin wirksamer Chemikalien kann nur durch eine Kombination verschiedener Untersuchungsstrategien beantwortet werden, wozu sowohl Kurzzeittests zum Nachweis östrogener Potentiale als auch Fortpflanzungs- und Entwicklungsuntersuchungen und epidemiologische Feldstudien gehören.

Am UFZ-Umweltforschungszentrums Leipzig-Halle GmbH werden derzeit mehrere Forschungsprojekte zu endokrin wirksamen Substanzen in aquatischen ökosystemen bearbeitet (gefördert durch das Umweltbundesamt und die Europäische Union). Wissenschaftler der Sektion Chemische ökotoxikologie entwickeln und standardisieren zunächst einfache Testsysteme zum Nachweis der Wirkung solcher Stoffe. Die Tests können nicht nur zur Untersuchung von Einzelsubstanzen, sondern auch von Stoffgemischen, wie sie in Abwasserproben vorhanden sind, eingesetzt werden und sind zudem kostengünstig. Die Wissenschaftler konzentrieren sich besonders auf den Nachweis von Umweltchemikalien, die wie weibliche Hormone (östrogene) wirken. Der einfache Kurzzeittest basiert auf Leberzellen, die aus Fischen isoliert wurden. Enthält eine Probe Stoffe mit östrogener Wirkung, so zeigen dies die Leberzellen an, indem sie das Protein Vitellogenin bilden. Der Test wird Mitte 1998 einsatzbereit sein.

Der Einfluß von endokrin bedingten physiologischen Veränderungen in Tieren und Menschen auf deren Fortpflanzungsfähigkeit ist bislang nicht ausreichend geklärt. Daher werden innerhalb eines internationalen Forschungsverbundes experimentelle Studien durchgeführt, um zu klären, ob durch Chemikalien ausgelöste östrogene Wirkungen auch tatsächlich zu nachteiligen Veränderungen in der Entwicklung und Fortpflanzung von Organismen führen. Registriert werden z.B. Geschlechtsdifferenzierung, Eiproduktion und Befruchtungsraten.

Die Ergebnisse der o.g. Forschungsprojekte tragen dazu bei, Reaktionen tierischer Organismen auf Belastungen mit hormonell wirksamen Chemikalien besser zu verstehen und negative Auswirkungen auf aquatische ökosysteme zu erkennen. In der Praxis werden die Tests wirksamere Umweltschutzmaßnahmen bei der Herstellung und Verwendung von östrogenen Substanzen erlauben und den Wasserwerken bessere Kontrollmöglichkeiten eröffnen.

Weitere Informationen:

Dr. Uwe Ensenbach, PD Dr. Helmut Segner oder Prof. Dr. Gerrit Schüürmann
Telefon: 0341/235-2618
UFZ-Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle GmbH
Sektion Chemische Ökotoxikologie
Permoserstr. 15
04318 Leipzig