Schwerpunktthema April 2011

Wasser und Städte

Wasser in urbanen Räumen hat eine jahrtausendealte Geschichte und deshalb viele verschiedene Facetten. Neben seiner Funktion als Trink- und Brauchwasser bzw. Transportmedium gliedert, strukturiert und belebt es Städte als Lebensraum. Probleme gibt es immer dann, wenn Angebot und Nutzung ins Ungleichgewicht geraten - etwa durch zu viel oder zu wenig Wasser, durch schlechte Qualität oder mangelnde Entsorgung von Abwasser. Das war schon immer so. Doch die Probleme verschärfen sich offenkundig - vor allem durch den weltweiten Wandel des Klimas und der Landnutzung sowie demografische Veränderungen. Denn während in den Städten des vergleichsweise reichen und mit Wasser gesegneten Mitteleuropa immer weniger Menschen wohnen, explodiert die Bevölkerung der urbanen Ballungsräume in den Entwicklungs- und Schwellenländern Afrikas, Asiens und Südamerikas.

Wasser in der Stadt

Wasser in Städten dient nicht nur als Trinkwasser oder zur Entwässerung, sondern es strukturiert und belebt auch städtische Räume.
Foto: André Künzelmann/UFZ

Teekessel und zwei Gläser

Der Trinkwasserbedarf in ländlichen Räume von Entwicklungsländern liegt bei 20 bis 30 Liter pro Einwohner und Tag. Im Vergleich: In manchen Industrieländer liegt der Tirnkwasserbedarf bei 300 Litern pro Einwohner und Tag (USA). Durch die starke Urbanisierung ist zu erwarten, dass der Trinkwasserbedarf pro Einwohner in Schwellen- und Entwicklungsländern stark ansteigt. Schon heute ist in einigen Städten wie Peking oder Mexiko-Stadt der Wasserverbrauch nicht nachhaltig. Dort sinkt der Grundwasserspiegel extrem stark.
Foto: André Künzelmann/UFZ

Doch so unterschiedlich diese Wasserprobleme weltweit auch sein mögen - in der Wissenschaft ist man sich einig, dass sie einen gemeinsamen Lösungsansatz haben. Und der geht weit über die traditionelle Herangehensweise einer lokalen und bisweilen isolierten Betrachtung von Abwasser und Trinkwasser in Qualität und Quantität hinaus. Vielmehr soll der Metabolismus des urbanen Wassers verstanden werden. Das ist vergleichbar mit dem Verständnis des Stoffwechsels in unserem eigenen Körper. Erst das Zusammenspiel der einzelnen Prozesse, auch mit externen Faktoren, ergibt ein vollständiges Bild. Und genau das will die moderne Wasserforschung im urbanen Raum erreichen: eine integrierte Betrachtung qualitativer, quantitativer und technischer Aspekte der Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung unter Einbeziehung der Landnutzung im Stadtumland, des demografischen Wandels und der klimatischen Veränderungen. Angesichts der Tatsache, dass die Menschen in vielen Städten der Erde dringend zeitnahe Lösungen brauchen, haben die Wissenschaftler die Aufgabe, möglichst schnell präzise Entscheidungsgrundlagen und Strategien zu liefern. Lokale Wasserversorger, Verbände und Behörden arbeiten dabei eng mit Forschungseinrichtungen wie dem UFZ zusammen, sowohl bei den Projekten in den Entwicklungs- und Schwellenländern, als auch hier vor Ort in Deutschland.

Urbanes Wasser in Deutschland

Vorab: Die urbane Wasserwirtschaft in Deutschland bewegt sich im Vergleich zu den meisten anderen Ländern der Erde auf sehr hohem Niveau. Wenn es Probleme gibt, dann betreffen sie die Wasserqualität. UFZ-Chemiker Dr. Gerhard Strauch beispielsweise ist Experte für das Grundwasser unterhalb der Städte. "Das Schadstoffspektrum ist dort ein anderes als etwa unter Industrieanlagen: Wir finden zum Beispiel immer mehr hormonelle Substanzen und pharmazeutische Reststoffe." Deren potenzielle Langzeiteffekte auf Mensch und Ökosystem sind erst ansatzweise erforscht, ebenso eventuelle Kombinationswirkungen der verschiedenen Stoffe. In den Wasserkreislauf gelangen sie entweder durch unvollständigen Abbau im Klärwerk, über Leckagen in den Abwasserkanälen oder Mischwasserentlastungen bei starken Niederschlägen. Ziel der Wissenschaftler ist es, diesen Eintrag und die Ausbreitung der Spurenstoffe im urbanen Wasser bilanzieren und schlussendlich besser verstehen zu können. Für die Stadt Halle/S. und einen Stadtteil von Leipzig ist das bereits gelungen. Hier wurde zum Beispiel nachgewiesen, dass bis zu 25 Prozent der ins Oberflächenwasser gelangten Spurenstoffe aus dem Grundwasser kommen. Bislang ging man von weit weniger aus.

In diesem Jahr gehen die Wissenschaftler einen weiteren Schritt in Richtung einer integrierten Betrachtung des Wasserkreislaufs und untersuchen die Einflüsse und Wechselwirkungen von urbanen Abwässern, Gewässern und dem Grundwasser am Beispiel von Halberstadt im Harz. Dass sie dies gerade dort tun, ist kein Zufall, denn im Harz befindet sich eines der drei großen deutschen Observatorien, in denen Forscher verschiedener Einrichtungen die Langzeiteinflüsse des globalen Klimawandels, der Landnutzungsänderungen, der sozio-ökonomischen Entwicklung und der menschlichen Eingriffe auf terrestrische Ökosysteme ermitteln. Künftig wird auch Dresden im Fokus stehen, um zu untersuchen, in welchem Maße urbane Einflüsse zur Schadstoffbelastung der Gewässer beitragen. Dort wird in den nächsten Monaten in Zusammenarbeit des UFZ mit Technischer Universität und Stadtentwässerung Dresden ein weiteres Observatorium entstehen.

Nur zirka 25 Kilometer entfernt von Halberstadt befindet sich die Rappbodetalsperre, die größte Trinkwassertalsperre im Harz. Auch hier sind Wissenschaftler des UFZ zum Thema urbanes Wasser unterwegs und untersuchen ein globales Phänomen, das insbesondere der Wasserwirtschaft auf den Nägeln brennt: den seit Jahren steigenden Gehalt an gelöstem organischen Kohlenstoff (DOC) im Wasser. Dabei handelt es sich zunächst um natürliche und an sich ungiftige Abbauprodukte von Pflanzen (Huminstoffe), die in die Oberflächengewässer geschwemmt werden. Die aber färben das Wasser braun, sind schwer abbaubar und machen die Trinkwasseraufbereitung dadurch sehr aufwändig. Gelingt es nämlich nicht, sie zu entfernen, können sich bei der üblichen Desinfektion des Trinkwassers mit Chlor organische Chlorverbindungen bilden, die gesundheitlich bedenklich sind. Außerdem könnten sich im Trinkwassernetz vorhandene Bakterien von DOC ernähren und das Risiko einer Wiederverkeimung des Wassers erhöhen. Aufgabe der UFZ-Forscher ist aber nicht die Trinkwasseraufbereitung. Den Wissenschaftlern um Dr. Karsten Rinke geht es vielmehr darum, gemeinsam mit Talsperrenbetreiber und Behörden herauszufinden, warum die DOC-Konzentration ansteigt und wie man diesen Trend beeinflussen kann. Eine Vermutung ist, dass extremer werdende Niederschläge dafür verantwortlich sind. Um jedoch fundierte Aussagen treffen zu können, wollen die Forscher das Phänomen zusätzlich entlang eines Ost-West-Gradienten untersuchen - von der Talsperre Muldenberg über die Rappbodetalsperre hin zu den Rurtalsperren. So ließe sich der Einfluss von Klima, Landnutzung oder Geologie genauer quantifizieren.

Wie wichtig diese deutschen Projekte im Hinblick auf die globale Lösung des urbanen Wasserproblems sind, verdeutlicht Prof. Dr. Dietrich Borchardt, einer der UFZ-Wissenschaftler, die sich schon seit vielen Jahren und in vielen Ländern der Erde mit dem Thema Wasser beschäftigen: "Wir testen die Verlässlichkeit unserer Modelle in Deutschland, wo wir auf eine sehr gute Informations- und Datengrundlage zurückgreifen können. Nur wenn sie hier funktionieren, haben wir die Voraussetzung und damit eine echte Chance, sie auch in anderen Regionen der Welt sinnvoll anwenden zu können."

Urbanes Wasser in Lateinamerika

Das UFZ ist mit seiner "Wasser-Kompetenz" aber auch direkt in Städten der Entwicklungs- und Schwellenländer gefragt. Um die Menschen dort zu versorgen, werden zukünftig große Mengen an Trinkwasser, an Brauchwasser für Industrie und Landwirtschaft sowie zur Erzeugung von Energie und Konsumgütern nötig sein.

Staudamm des Rio Descoberto bei Brasilia, Brasilien

Staudamm des Rio Descoberto. Mehr als 90 Prozent des Trinkwassers im Bundesdistrikt werden bislang aus dem 25 km von Brasília entfernten Staudamm des Rio Descoberto und aus dem Rio Paranoá gewonnen.
Foto: Patricia Roeser/UFZ

In Brasília etwa, der Hauptstadt Brasiliens, werden 2013 die Trinkwasservorräte in den dafür vorgesehenen beiden Talsperren und die Aufbereitungskapazität für deren Wasser nicht mehr ausreichen, um die stetig wachsende Bevölkerung zu versorgen. An mangelndem Jahresniederschlag liegt es nicht, denn der ist mit 1500 mm immerhin dreimal so hoch wie in Leipzig. Doch er ist durch den ausgeprägten Wechsel von Regen- und Trockenzeit sehr ungleich über das Jahr verteilt. Außerdem wurde die Stadt vor zirka 50 Jahren für 500.000 Einwohner konzipiert und nicht für die 2,5 Millionen, die heute in Brasília leben. Hinzu kommt die Ausdehnung der landwirtschaftlichen Nutzfläche für die wasserintensive Produktion von Soja, Mais und Bohnen - allein von 2002 bis 2007 nahm die Ackerfläche rund um Brasília um fast 50 Prozent zu. Da der Bau einer weiteren Talsperre aufgrund der natürlichen landschaftlichen Gegebenheiten nicht möglich ist, wollen die Verantwortlichen in Brasília ihre Wasserprobleme lösen, indem der nahe gelegene Lago Paranoá als Trinkwasserreservoir erschlossen wird.

Doch auch das ist problematisch. Denn zum einen wird in den See das geklärte Abwasser der beiden veralteten städtischen Kläranlagen eingeleitet. Zum anderen sind in Abhängigkeit von der Jahreszeit sowohl die Nährstoff- als auch die Sedimentbelastung hoch. Wissenschaftliche Begleitung bei der Lösung dieser Aufgaben erhalten die Behörden vor Ort im Rahmen eines vom UFZ koordinierten und vom BMBF finanzierten Projektes, in dem deutsche und brasilianische Partner eng zusammenarbeiten. Erklärtes Ziel: Ein integriertes Wasserressourcenmanagement, das die natürlichen Rahmenbedingungen, das Wasserversorgungs- und Wasserentsorgungssystem sowie Aspekte der wasserwirtschaftlichen Verwaltung berücksichtigt. Die Ergebnisse der Wissenschaftler und Techniker fließen fortlaufend in die Arbeit vor Ort ein, zu Projektende 2013 soll das Entscheidungshilfesystem für Brasília fertig sein.

Auch die peruanische Hauptstadt Lima, Standort eines anderen BMBF-finanzierten Projektes (LiWa), ist mit einem extremen Bevölkerungswachstum konfrontiert. Aus den derzeit acht Millionen Menschen sollen in den nächsten 15 Jahren zwölf Millionen werden. Und die werden vor allem in jenen Stadtteilen wohnen, die schon jetzt über unzureichende Wasserversorgung und Abwasserentsorgung verfügen. Die Probleme sind im Vergleich zu Brasília jedoch etwas anders gelagert. Mit neun Millimetern Jahresniederschlag herrschen in Lima wüstenähnliche Wasserverhältnisse. Und der Fluss Rimac, aus dem sich der größte Teil des Trinkwassers speist, wird künftig durch stärker schwankende Niederschläge und abschmelzende Gletscher in den Anden noch größere Unregelmäßigkeiten in seiner Wasserführung aufweisen. Peruanische und deutsche Wissenschaftler arbeiten seit 2005 im Projekt "LiWa" an einer übergreifenden Lösung der dortigen Probleme. Neben naturwissenschaftlichen und technischen Fragen spielen vor allem auch sozio-ökonomische Aspekte eine Rolle. Ökonomen des UFZ entwickeln beispielsweise unterschiedliche Optionen für eine umweltgerechte Wasserpreisreform. Die soll unter anderem dazu beitragen, das Verbraucherverhalten nachhaltig zu beeinflussen und die Kosten für eine modernisierte Wasser- und Abwasserbewirtschaftung zu decken.
Susanne Hufe

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Referenzen (Auswahl)

Reinstorf, F., Leschik, S., Musolff, A., Osenbrück, K., Strauch, G., Möder, M., Schirmer, M. (2009):
Quantification of large-scale urban mass fluxes of xenobiotics and of the river-groundwater interaction in the city of Halle, Germany. Physics and Chemistry of the Earth 34 (8-9), 574-579

Strauch, G., Möder, M., Wennrich, R., Osenbrück, K., Gläser, H.-R., Schladitz, T., Müller, C., Schirmer, K., Reinstorf, F., Schirmer, M.:
Indicators for Assessing Anthropogenic Impact on Urban Surface and Groundwater. J. Soil and Sediments 8 (1), 23-33, 2008; DOI: http://dx.doi.org/10.1065/jss2007.06.234

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