Prof. Georg Teutsch, Wissenschaftlicher Geschäftsführer am UFZ

Wasserforschung - Quo Vadis?

Interview mit Prof. Dr. Georg Teutsch, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung - UFZ

Mehr als 200 Wissenschaftler der deutschen und internationalen Wasserszene trafen sich im Sommer 2010 auf Einladung des UFZ zur "Water Research Horizon Conference", die von BMBF, BMU und DFG unterstützt wurde. Warum?

Weil die Wasserforschung in Deutschland in einer besonderen Situation ist. Einerseits gibt es in mehreren Bereichen regional sehr starke Kompetenzen, in denen die deutsche Wasserforschung auch im internationalen Vergleich eine führende Rolle einnimmt. Dabei denke ich beispielsweise an Entwicklungen im Bereich der Wassertechnologien, aber auch beim integrierten Wasserressourcenmanagement. Andererseits sind die Kompetenzen der deutschen Wasserforschung stark fragmentiert. Finanziell ist Deutschland in Sachen Wasserforschung zwar gut aufgestellt. Aber das Fördersystem ist sehr heterogen: Die Universitäten sind länderfinanziert, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen aus Bund und Ländern gemischt finanziert. Zudem gibt es ein vielschichtiges Gefüge von Drittmittel finanzierten Projekten, dem es meist an langfristiger Perspektive und Abstimmung fehlt. So sammelt sich in den verschiedenen Forschungseinrichtungen - allein in Deutschland sind das über 500 Arbeitsgruppen in mehr als 100 Forschungseinrichtungen! - wichtiges und gutes, aber bruchstückhaftes Wissen an, das bisher nur schwer zusammenzufügen ist.

Dazu kommt, dass sich die Herausforderungen im Wasserbereich weltweit stark verändern. Der globale demografische, wirtschaftliche und klimatische Wandel sowie der damit einhergehende Landnutzungswandel wirken sich auf unsere Wasserressourcen und damit auch auf die Forschungsthemen aus. Die Veränderungen in der Verfügbarkeit, Verteilung und Qualität der Wasserressourcen haben Rückkopplungen auf alle Systeme. Sie interagieren mit der Ökologie, der Lebensmittelproduktion, der Energieversorgung und vielem anderen. Wir müssen lernen, einerseits diese Interaktionen und Rückkopplungen zu verstehen und andererseits durch Bündelung der Kompetenzen und eine gemeinsame Anstrengung der interdisziplinären Wasserforschungs-Community auch komplexe Lösungen für komplexe Probleme zu entwickeln.

Also ein "Bündnis Wasserforschung"?

Ja. Die "Water Science Alliance" ist eine Allianz der stärksten Kompetenzträger in Deutschland, die gewillt sind, mit ihrem Know-How in so genannten "Themen Clustern" zusammen an den "Grand Challenges" der Wasserforschung zu arbeiten. Die Water Science Alliance soll dazu genutzt werden, insbesondere die Schnittstellen des Wissens verschiedener Kompetenzträger zu bearbeiten und dadurch Synergieeffekte zu erzielen.

Die Ergebnisse der Diskussion der verschiedenen Forschungsfelder sind in einem White Paper zusammengefasst. Diese sollen möglichst bald in verschiedene Förderprogramme einfließen, beispielsweise in das 8. Forschungsrahmenprogramm der EU. Worauf soll sich die deutsche Wasserforschung zukünftig konzentrieren?

Eines der Forschungsfelder hängt mit ganz typischen Symptomen der Globalisierung zusammen: dem Klimawandel und dem Bevölkerungswachstum, besonders in Megacities. Wenn 2050 geschätzte 9 Milliarden Menschen mit Lebensmitteln versorgt werden müssen, wird deutlich mehr Wasser als heute für die landwirtschaftliche Produktion benötigt. Gleichzeitig werden in den Ballungszentren viel effizientere Wasserver- und -entsorgungssysteme gebraucht. Durch die Klimaveränderungen werden sich die Probleme in vielen heute schon wasserarmen Gebieten drastisch verschärfen. Ein zweites wichtiges Thema ist das Management der Wasserqualität. Wir haben es noch nicht geschafft, den Beitrag der einzelnen Kompartimente von der Landoberfläche über die Untergrundpassage bis zum Fluss als biogeochemisches System mit unterschiedlichen Stoffkomponenten im Zusammenhang so zu verstehen, dass wir verlässliche Empfehlungen für Maßnahmen der Qualitätsverbesserung geben können.

Kann man denn Entwicklungen, trotz Unsicherheit, auch über Jahre und Jahrzehnte ähnlich wie in der Klimaforschung voraussagen?

Ja, das ist grundsätzlich möglich. Die Wasserforschungs-Community hat eine lange Tradition in der Entwicklung analytischer sowie numerischer Modellwerkzeuge. Die meisten dieser Modelle haben ihren Ursprung in Prozess- und Feldstudien in verschiedenen Maßstäben. Um Entwicklungen in die Zukunft über Jahrzehnte vorherzusagen, steht die Hydrologie heute vor der außerordentlichen Herausforderung, ihr sehr umfangreiches Prozesswissen und das dazugehörige Modellinstrumentarium problemorientiert in einer sinnvollen Weise, das heißt so detailliert wie nötig und so einfach wie möglich, zusammenzubringen. Die Komplexität der gesellschaftlichen Fragen und damit der Fragen über zukünftige Entwicklungen hat im Zusammenhang mit dem globalem Wandel und Klimawandel stark zugenommen. Die Entwicklung entsprechender Systemmodelle konnte bisher nicht mithalten. Hier gilt es, einen so genannten "Community-Effort" (nicht ein Community-Modell!) zu organisieren, in dem alle relevanten Modellentwicklungsgruppen unter Verwendung moderner Software-Engineering- und Benchmarking-Werkzeuge aufeinander abgestimmt die Entwicklung voranbringen.

Ist die deutsche Wasserforschungs-Community für diese Herausforderungen gerüstet?

Ja, aber das reicht nicht. Deutschland kann sich nicht losgelöst von der internationalen Forschungs-Community sehen. Es gibt im internationalen Raum sehr gute Forschungseinrichtungen und Forschergruppen, mit denen die deutsche Wasserforschung bereits in vielfältigem Kontakt steht. Das ist wichtig, denn die Herausforderungen im Wasserbereich sind schließlich auch globaler Natur. Kooperationen sind daher auf europäischer Ebene, z. B. durch gemeinsame EU-Programme, aber auch durch bilaterale Kooperationen ins Ausland angestrebt. Wir planen deshalb, die Water Science Alliance ähnlich wie auf der nationalen Ebene auch im internationalen Raum aufzubauen. Mit dem Water Institute in Waterloo (Kanada) haben wir im April dieses Jahres bereits einen Kooperationsvertrag unterschrieben. Weitere werden folgen.

Eines der im White Paper vorgeschlagenen Themen ist spezifisch auf den mediterranen Raum fokussiert. Was sind die besonderen Interessen an dieser Region?

Der mediterrane Raum ist bezüglich Wasser eine der vulnerabelsten Regionen weltweit. Neben dem prognostizierten Rückgang der Grundwasserneubildung um mindestens 50 Prozent innerhalb der nächsten 80 - 100 Jahre ist es die besondere geopolitische Bedeutung dieser Region, die das Thema Wasser dort außerordentlich interessant macht. Im küstennahen Mittelmeerraum wird (auch durch Zuwanderung) eine Bevölkerungszunahme von heute 180 Millionen Einwohnern auf über 250 Millionen bis zum Jahr 2025 erwartet. Die meisten kleineren und mittelgroßen Städte, aber auch Megastädte wie Istanbul oder Kairo, haben bis heute keine nennenswerte Abwasserbehandlung. An der Nordküste des Mittelmeers finden Sie heute eine der weltweit größten Konzentrationen an Immobilienbesitz und Tourismusinfrastruktur, die ohne adäquate Wasserversorgung nicht überleben kann. Entlang der Südküste des Mittelmeers wird im Zusammenhang mit Projekten wie z. B. DESER TEC oder TransGreen die Solarthermie im großen Maßstab eingeführt. Fünf der zehn weltweit attraktivsten Länder im Bereich der Wassertechnologie-Investitionen liegen im circum-mediterranen Raum.

Das UFZ plant, zusammen mit dem Forschungszentrum Jülich sowie mit lokalen Partnern ein Observatoriennetzwerk in dieser Region einzurichten. Damit können die Änderungen des Wasserkreislaufs und der Ökosysteme beobachtet werden, die durch Änderungen des Klimas, der Landnutzung, aber auch der Wassernutzung, urbaner Besiedelung etc. hervorgerufen werden. Durch das Verständnis und die Modellierung dieser Prozessänderungen können Szenarien entwickelt werden, die als Basis für Entscheidungen, z. B. für das Wassermanagement dienen. Zudem sollen Technologieentwicklungen zur dezentralen Meerwasserentsalzung, Effizienzsteigerung in der Landwirtschaft oder zur Aufbereitung von Brauchwasser Lösungen bieten, um den Problemen in einem der weltweit wichtigsten Wassermangelgebiete zu begegnen.

Was sind die nächsten Schritte?

Am 8. und 9. Juni dieses Jahres findet die 2. Water Research Horizon Conference in Berlin statt. Arbeitstitel der Veranstaltung ist "New Concepts in Model Development and Data Integration for Understanding Water, Matter and Energy Fluxes at Management Scale". Hier wird die Diskussion zu zwei der sechs Themenbereiche des White Papers konkretisiert und in ersten Workshops sollen konkrete Projekte und Projektanträge initiiert werden. Das BMBF wird in den nächsten Monaten seinen neuen Förderschwerpunkt "Nachhaltiges Wassermanagement" vorstellen. Dies ist, neben der Förderung durch die EU, die DFG, als auch das BMU, der Rahmen, in dem die Aktivitäten der Water Science Alliance gefördert werden sollen. Hier sind also alle Forscher des Wasserbereichs gefragt, selbst aktiv zu werden. Die Helmholtz-Gemeinschaft wird das Thema "Wasser" im Rahmen eines sogenannten Portfoliothemas prioritär, auch langfristig mit erhelblichen zusätzlichen Mitteln fördern.

Interview: Elisabeth Krüger und Doris Böhme, UFZ