UFZ-Thema des Monats April

Biodiversität und Politik

Verbindliche politische Regelungen sind für die Erhaltung der Biodiversität zentral, nicht zuletzt deshalb, um den Konflikt zwischen Nutzung und Erhaltung zu entschärfen. Einmal sind Teile der Biodiversität von hoher gesellschaftlicher, insbesondere ökonomischer und sozialer Bedeutung, weil sie wertvolle Ausgangsstoffe für eine Vielzahl von Produktionsverfahren liefern - von der Pharmazie bis zur Pflanzenzüchtung - oder ganz unmittelbar die Lebensgrundlagen und die Nahrungssicherheit von Menschen betreffen. Neben diesem gesellschaftlichen Nutzen muss aber auch der Eigenwert der Natur berücksichtigt werden. Wir brauchen daher verbindliche Regelungen, um die Erhaltung der Biodiversität bzw. einzelner Pflanzen und Tiere zu gewährleisten.

Mangrovenwald in Kerala, Indien

Mangrovenwald in Kerala, Indien. So genannte "Hot spots" (Ökosysteme mit einer hohen biologischen Vielfalt) oder besonders wichtige Ökosysteme, wie Mangrovenwälder, sind nicht gleichmäßig über der Erde verteilt. Daher ist deren Schutz eine grenzüberschreitende Aufgabe.
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Ganz gleich, ob es um Regelungen und Gesetze für den gesellschaftlichen Nutzen oder den Eigenwert (den Naturschutz) geht, sind eine Vielzahl von Akteuren und Institutionen involviert, die auf verschiedenen Handlungsebenen operieren: Von der lokalen Ebene über den Nationalstaat bis zur europäischen oder internationalen Ebene. Zudem gibt es in der Biodiversitätspolitik Schnittmengen mit anderen Politikfeldern wie der Landwirtschaft, dem Handel oder der Armutsbekämpfung. Das bedeutet, dass in der Biodiversitätspolitk eine Vielzahl von potenziellen Ziel- oder Interessenkonflikten zu berücksichtigen sind. Sie wird deshalb - wie viele Felder der Umweltpolitik - zunehmend als Querschnittsthema verstanden.

Internationale Biodiversitätspolitik im Zusammenspiel verschiedener Handlungsebenen (Multi-Level Governance)

COP 9 Konferenz in Bonn, 2008, Podium

Auf einem Side-Event zur 'Conference of the Parties' (COP 9) in Bonn, Mai 2008
Foto: UFZ

Politik zur Erhaltung der Biodiversität ist von Beginn an mit einem Paradox im Hinblick auf ihren räumlichen und sozioökonomischen Bezug konfrontiert: Einerseits sind in diesem Feld - mehr noch als in anderen Feldern der Umweltpolitik - die konkreten lokalen Bedingungen zu berücksichtigen: Welches Ökosystem liegt vor und wie sieht seine Dynamik aus (naturräumlich)? Wie sehen die konkreten Nutzungsformen vor Ort aus (sozio-ökonomisch)? Welche Abhängigkeiten zwischen Biodiversität und gesellschaftlichen Prozessen sind zu berücksichtigen (sozio-ökonomisch)? Andererseits handelt es sich aber bei der Biodiversität um ein globales Gemeingut, das internationale Anstrengungen zur Abstimmung und Koordinierung von Erhaltungsmaßnahmen erforderlich macht.

Die biologische Vielfalt ist nicht gleichmäßig über den Globus verteilt. Das macht den Schutz so genannter "Hot-Spots" (Ökosysteme mit einer sehr hohen biologischen Vielfalt) bzw. besonders wichtige Ökosysteme (Mangrovenwälder, Korallenriffe, tropischer Regenwald.) zu einer grenzüberschreitenden Aufgabe. Deshalb kann weder auf den Ausgleich von Kosten - beispielsweise beim Verzicht auf eine Nutzung - noch auf die Verteilung von Vorteilen aus der Nutzung verzichtet werden. Dazu bedarf es internationaler Abkommen wie der "Konvention über biologische Vielfalt" (KbV oder englisch CBD). Dieses Abkommen hat dementsprechend auch drei gleichberechtigte Ziele:

  1. die Erhaltung der Biodiversität
  2. ihre nachhaltige Nutzung und
  3. den gerechten Vorteilsausgleich aus der Nutzung ihrer Bestandteile

Neben der lokalen und internationalen Ebene spielen die nationale und die europäische Ebene eine wichtige Rolle. Der Gesetzgeber setzt internationale Abkommen in europäische Richtlinien und nationale Gesetze um und gibt gleichzeitig der lokalen sowie der regionalen Ebene konkrete Rahmenbedingungen vor. Mehr und mehr werden Maßnahmen zur Erhaltung der Biodiversität international koordiniert, innerhalb Europas z.B. durch die Einrichtung des Schutzgebietssystems Natura 2000. Damit solche internationalen oder europäischen Maßnahmen nicht zu Konflikten auf der lokalen Ebene führen (wie bei Interessenkonflikten zwischen Zielen des Umweltschutzes und der lokalen Bevölkerung), müssen die unterschiedlichen Handlungsebenen miteinander abgestimmt werden.

Doch das ist nicht alles: Neben dem Zusammenspiel der verschiedenen Handlungsebenen ist zu beachten, dass eine Vielzahl von Akteuren in die Nutzung und Erhaltung der Biodiversität involviert ist. Das sind staatliche Akteure aus Umwelt- und Naturschutzpolitik, Landwirtschafts- und Wirtschaftspolitik. Das sind Akteure aus der Zivilgesellschaft wie Umweltverbände und -vereine. Und das sind auch Akteure aus dem privaten Sektor, z.B. aus Landwirtschaft, Industrie oder Handel. Verbindliche Entscheidungen im Bereich der Biodiversitätspolitik werden damit faktisch im Rahmen von Multi-Level Governance getroffen, und es liegt auf der Hand, dass das konkrete Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen und der verschiedenen Akteure nicht immer ganz einfach ist.

Die Beteiligung (Partizipation) von Öffentlichkeit und Interessenträgern bei der konkreten Umsetzung von Maßnahmen zur Erhaltung der Biodiversität trägt in der Regel wesentlich zur Verbesserung der Qualität und der öffentlichen Akzeptanz von Entscheidungen bei. Partizipation ermöglicht zudem die Initiierung von Lernprozessen und vereinfacht den Prozess der Umsetzung von politischen Entscheidungen. Bei der Multi-Level Governance der Biodiversität in der EU betrifft dies die Umsetzungen der Vogel- und der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie sowie die Einrichtung des Natura 2000-Netzwerk an Schutzgebieten. Die Ergebnisse eines vom UFZ koordinierten EU-Projektes (GoverNat: Multi-level Governance of Natural Resources: Tools and Processes for Biodiversity and Water Governance in Europe; siehe auch www.governat.eu oder www.ufz.de/index.php?de=19231) legen allerdings nahe, dass besondere Bedingungen zu beachten sind, damit Partizipationsprozesse auch die gewünschten Ergebnisse erzielen:

  • Die Erwartungen der Teilnehmer an die Verfahren müssen transparent und klar formuliert werden, damit es nicht zu Missverständnissen, Frustration oder Konflikten kommt.
  • Der kulturelle und institutionelle Kontext ist zu berücksichtigen.
  • Die Auswahl der relevanten Akteure muss sorgfältig erfolgen.
  • Initiativen "von unten" sollten einbezogen werden.
  • Der konkrete Nutzen von Beteiligungsprozessen sollte analysiert werden.
  • Die Verteilung der Kosten muss geklärt werden.

Die Schnittstelle Wissenschaft - Politik

Marktstand mit Früchten

Marktstand mit Früchten.
André Künzelmann/UFZ

Marktstand mit Fischen

Marktstand mit Fischen.
Der Mensch nutzt viele "Dienstleistungen" der Natur - häufig ohne einen angemessenen Gegenwert zu bezahlen bzw. nachhaltig zu wirtschaften. Beispiele solcher so genannten Ökosystemdienstleistungen sind Insekten die Fruchtpflanzen bestäuben oder Mangrovenwälder und Korallenriffe, die vielen Fischarten als Kinderstube dienen. Solche Ökosysteme stellen daher in vielen Erdregionen eine wichtige Basis für die Fischereiwirtschaft dar.
André Künzelmann/UFZ

Politik zur Erhaltung der Biodiversität ist auf wissenschaftliche Beschreibungen und Erklärungen angewiesen, Gleichzeitig ist es aber keineswegs trivial, die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschungen in Politik umzusetzen. Schon seit vielen Jahren ist die Einsicht gewachsen, dass es hier noch viel zu verbessern gäbe. So arbeitet das wissenschaftliche Beratungsgremium der "Konvention über biologische Vielfalt" (KbV/CBD) eher wie ein politisches Verhandlungsgremium und liefert nicht genügend unabhängige wissenschaftliche Expertise. Seit 2005 gibt es nun konkrete Beratungen und Verhandlungen, wie diese Situation verbessert werden könnte. Ursprünglich stand die Idee im Raum, in Anlehnung an den Weltklimarat einen "IPCC für Biodiversität" zu gründen. In einem internationalen Workshop, der im Herbst 2006 am UFZ stattfand, kamen die Teilnehmer jedoch zu dem Ergebnis, dass die Probleme im Bereich der Biodiversität doch etwas anders gelagert sind und die Struktur des Weltklimarates (IPCC) nicht eins zu eins übertragen werden kann. So haben wir es hier zum einen mit einem komplexen Zusammenspiel mehrerer internationaler Abkommen zu tun: Neben der KbV/CBD sind beispielsweise das Washingtoner Artenschutzabkommen und die Abkommen zu wandernden Arten und zu Feuchtgebieten zu berücksichtigen. Und wie bereits erläutert muss die lokale Ebene und damit eine Vielzahl gesellschaftlicher Nutzungs- und Wissensformen berücksichtigt werden. Dazu gehören sowohl die zahlreichen vorhandenen wissenschaftliche Netzwerke als auch lokale Experten und indigenes Wissen.

Die aktuellen Diskussionen um die Einrichtung einer neuen internationalen Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik stehen kurz vor dem entscheidenden Schritt, der Etablierung eines Intergovernmental Panel on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES).
Auch wenn es für wichtige Fragen noch keine abschließende Antwort gibt, so zeichnet sich doch ab, dass es nicht so sehr um die Einrichtung eines neuen Megagremiums, ähnlich dem IPCC, geht. Vielmehr wurde die Idee aufgegriffen, dass die bestehenden Netzwerke auf den verschiedenen Ebenen in einen neuen Mechanismus eingebunden werden sollen und auf den verschiedenen Handlungsebenen die Links zwischen Wissenschaft, anderen Wissensformen und Entscheidungsträger sehr spezifisch eingerichtet werden müssen. In der Frage, wie das genau erfolgen soll und wie der Gesamtprozess selbst gesteuert werden kann, liegt noch ein erhebliches politisches Spannungspotenzial. Um dieses Potenzial zu erkennen und letztlich zu seiner Entschärfung beizutragen, startet aktuell ein BMBF-Forschungsprojekt im Department Umweltpolitik am UFZ (NesNet: Nested Networks - Neue Formen von Governance der Forschung).

Ökosystemdienstleistungen und die Grenzen der Nutzung

Mit dem Begriff der Ökosystemdienstleistungen wurde die Nützlichkeit der Biodiversität zur Befriedigung einer Fülle menschlicher Bedürfnisse und zur Regulierung anderer Umweltprozesse wie Klima oder Wasserqualität in den letzten Jahren immer stärker betont. Gleichzeitig müssen wir jedoch den Grenzen der Nutzung gerecht werden, wie sie durch den Eigenwert der Natur oder das langfristige Funktionieren von Ökosystemen gesetzt werden. Wie das in umweltpolitischen Entscheidungen umgesetzt werden kann, ist Gegenstand eigenständiger Forschungen am UFZ zur Gestaltung gesellschaftlicher Naturverhältnisse:

Im neuen Projekt PRESS (PEER Research on EcoSystem Services; PEER heißt Partnership for European Environmental Research und ist ein Zusammenschluss von sieben europäischen Umweltforschungszentren: www.peer.eu) untersuchen sieben europäische Forschungszentren, wie Ökosystemdienstleistungen in Europa räumlich verteilt sind und welche potenziellen Ziel- und Interessenkonflikte bei deren Nutzung auftreten können.

Im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt GeNECA (Gerechte Nachhaltige Entwicklung auf Grundlage des Capability-Ansatzes; Forschungsprojektverbund im Rahmen des BMBF-Förderschwerpunktes "Wirtschaftswissenschaften für Nachhaltigkeit") werden Fragen der Gestaltung von Natur-Gesellschafts-Beziehungen und der intragenerationalen Gerechtigkeit (d.h. von Fragen der gerechten Nutzung natürlicher Ressourcen zwischen verschiedenen Generationen) mithilfe des in der Entwicklungspolitik eingesetzten Capability-Ansatzes untersucht. Der Capability-Ansatz wird auf deutsch auch Ansatz der Befähigungs- oder Verwirklichungschancen genannt und zur Analyse der individuellen und gesellschaftlichen Lebensqualität eingesetzt. Das Projekt verbindet grundlagenorientierte konzeptionelle Arbeit mit einer quantitativen Analyse und konkreten Fallbeispielen. Das biodiversitätsbezogene Fallbeispiel geht der Frage nach, ob eine stärker bedürfnisorientierte Diskussion und Argumentation zu einer nachhaltigeren Nutzung von Ökosystemen beitragen kann.

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Ausgewählte Publikationen zum Forschungsfeld Biodiversität und Politik

Behrens, V., Rauschmayer, F., Wittmer, H., 2008. Why pan-European cormorant management is so difficult - a contribution to managing international ‘problem’ species. Environmental Conservation 35/1: 55-63.

Berghöfer, A., Wittmer, H., Rauschmayer, F., 2008. Stakeholder Participation in Ecosystem-Based Approaches to Fisheries Management: A Synthesis from European Research Projects. Marine Policy 32/2:243-253.

Brand, U. and C.Görg (2008): The Clash of Global Regulations. Internationalisation of the State and Post-Fordist Governance of Nature: The Case of Genetic Resources, in: Review of International Political Economy (RIPE) 2008, 15:4, pp 567 - 589

Brand, U. and C.Görg (2008): Sustainability and globalisation: A theoretical perspective, together with Ulrich Brand in: Jacob Park, Ken Conca & Matthias Finger (eds): "The Crisis of Global Environmental Governance: Towards a New Political Economy of Sustainability", Routledge: Environmental Politics, London/New York 2008, pp13-33

Brand, U., C.Görg, J.Hirsch and M.Wissen (2008): Conflicts in Environmental Regulation and the Internationalization of the State. Contested Terrains, Routledge/RIPE Studies in Global Political Economy, London/New York 2008

Burchardt, H.-J., A.Brunnengräber and C.Görg (Hrsg, 2008): Mit mehr Ebenen zu mehr Gestaltung? Multi-Level-Governance in der transnationalen Sozial- und Umweltpolitik, Nomos Verlag: Schriften zur Governanceforschung, Baden-Baden

Görg, C. (2005)Die Glokalisierung der Naturverhältnisse. Kultur, Politik und Gesellschaft in der Biodiversitätspolitik, in: Umweltpsychologie, 9. Jg., Heft 2/2005, S. 110-125

Görg, C. (2007): Multi-Level Environmental Governance. Transformation von Staatlichkeit - Transformation der Naturverhältnisse, in: A.Brunnengräber/H.Walk (Hg): Multi-Level-Governance. Klima-, Umwelt- und Sozialpolitik in einer interdependenten Welt, Nomos-Verlag, Baden-Baden, 2007, 75-98

Görg, C. (2007): Landscape Governance. The "politics of scale" and the "natural" conditions of places, in Geoforum Vol 38, No 5, September 2007, pp 954-966

Görg, C., S.Beck, A.Berghöfer, S.van den Hove, T.Koetz, H.Korn, S.Leiner, C.Neßhöver, F.Rauschmayer, M.Sharman, H.Wittmer and K.Zaunberger (Ed. 2007): International Science- Policy Interfaces for Biodiversity Governance - Needs, Challenges, Experiences A Contribution to the IMoSEB Consultative Process; UFZ-Leipzig, May 2007

Görg, C. and F.Rauschmayer (2009): Multi-level-governance and the politics of scale - the challenge of the Millennium Ecosystem Assessment, in: Gabriela Kütting/Ronny Lipschutz (Eds): Environmental governance, power and knowledge in a local-global world, Routledge London&New York 2009, pp 81-99

Rauschmayer, F., van den Hove, S., Koetz, T. 2009. Participation in EU biodiversity governance: How far beyond rhetoric? Environment and Planning C 27/1, 42-58. DOI: 10.1068/c0703j

Rauschmayer, F., Paavola, J., Wittmer, H. 2009. European Governance of Natural Resources and Participation in a Multi-Level Context: An Editorial. Environmental Policy and Governance 19(3), 141-147. DOI: 10.1002/eet.504

Rauschmayer, F., Berghöfer, A., Omann, I., Zikos, D. 2009. Examining Processes or Outcomes? Evaluation Concepts in European Governance of Natural Resources. Environmental Policy and Governance 19(3), 159-173. DOI: 10.1002/eet.506

Rauschmayer, F., Wittmer, H., Berghöfer, A., 2008. Institutional challenges for resolving conflicts between fisheries and endangered species conservation. Marine Policy 32/2:178-188.