Pressemitteilung vom 04. Juni 2008

Der Kormoran - die „schwarze Pest“ oder ein Beispiel für erfolgreichen Artenschutz?

Forscher schlagen einen Aktionsplan vor, um den Konflikt zwischen Fischern und Naturschützern zu schlichten

Leipzig. Europa braucht ein gemeinsames Management für Kormorane, um Naturschutz und Fischereiinteressen unter einen Hut zu bekommen. Eine wirksame Bestandsregulierung könne nur auf europäischer Ebene funktionieren, schreiben Forscher des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) im Fachjournal Environmental Conservation. Dazu schlagen sie einen fünfstufigen Aktionsplan vor, der mit einem Konsens über die tatsächlichen Zahlen der Tiere beginnen und mit einem internationalen Managementplan enden könnte. Momentan scheitere eine gemeinsame Lösung an verschiedenen Interessen der einzelnen Länder und an fehlender Koordination, so die Forscher. In Nordamerika existiere dagegen seit 2003 ein Managementplan für den Nordamerikanischen Kormoran, obwohl das Problem dort ähnlich komplex sei wie in Europa. Je nach Quelle schwanken die Angaben über die Größe der Population des Kormorans zwischen einer halben und anderthalb Millionen Vögeln in Europa. Der Vorschlag der Forscher für einen neuen Aktionsplan entstand aus 22 Interviews mit Verantwortlichen in mehreren EU-Ländern auf verschiedenen Verwaltungsebenen.

Forscher schlagen einen neuen Aktionsplan vor, um den Konflikt um den Kormoran (<i>Phalacrocorax carbo</i>) zu schlichten.

Forscher schlagen einen neuen Aktionsplan vor, um den Konflikt um den Kormoran (Phalacrocorax carbo) zu schlichten.
Foto: André Künzelmann/UFZ

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Modellrechnungen haben ergeben, dass es effektiver ist, die Brutmöglichkeiten für die Kormorane zu reduzieren als Tiere abzuschießen.

Modellrechnungen haben ergeben, dass es effektiver ist, die Brutmöglichkeiten für die Kormorane zu reduzieren als Tiere abzuschießen.
Foto: André Künzelmann/UFZ

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Fischer beschimpfen ihn als „schwarze Pest“, die ihnen die Fische vor der Nase wegfrisst - Tierschützer dagegen feiern die Zunahme der Kormoranbestände als Beleg dafür, dass die Schutzmaßnahmen der letzten Jahrzehnte erfolgreich waren. Versuche, den Bestand lokal oder regional zu regeln, bringen den Konflikt regelmäßig in die Schlagzeilen, auch weil diese Versuche erfolglos bleiben. Dabei ist schon lange klar, dass der Kormoran (Phalacrocorax carbo) nicht an Ländergrenzen halt macht. Als typischer Zugvogel brütet er im Nord- und Ostseeraum, überwintert aber in der Nähe des Mittelmeeres. Soll der Bestand des Kormorans reguliert werden, um den Konflikt zwischen Fischerei und Naturschutz zu entschärfen, dann betrifft das alle EU-Länder. Doch die Haltung zum Kormoran ist in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich: Die Niederlande beispielsweise sperren sich komplett gegen Eingriffe. Frankreich dagegen organisiert den Abschuss von 40 000 Tieren pro Jahr. „Bei 25 Mitgliedsstaaten eine Regelung zu finden, mit der alle Staaten zufrieden sind, ist natürlich ziemlich schwierig. Wenn auch nur einer der Mitgliedsstaaten nicht zustimmt, ist der Plan gescheitert“, beschreibt Vivien Behrens vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) das Dilemma. Die Sozialwissenschaftlerin hatte zusammen mit Kollegen untersucht, weshalb ein gesamteuropäisches Kormoranmanagement so schwierig ist und dazu Interviews mit verschiedensten Entscheidungsträgern geführt. Aus ihrer Sicht sind die bisherigen Versuche gescheitert, weil ein Hauptverantwortlicher fehlt: „Es ist in Europa ganz klar ein institutionelles Problem: Wer ist überhaupt zuständig - Naturschutzämter, Fischereibehörden oder wer? Es gibt verschiedene Ebenen von regional über national bis international. Aber es gibt keine Stelle, bei der die Fäden zusammenlaufen und die sagen könnte: Wir entwickeln jetzt einen Aktionsplan, mit dem man das Problem regeln könnte.“ Formell wäre das ORNIS-Komitee der Ansprechpartner, aber dort wird das Problem momentan als nicht so dringlich eingestuft. In den Sitzungen, in denen der Ansatz und die Ergebnisse der Forschungsarbeit vorgestellt wurden, gab es jeweils mindestens einen Vertreter eines Landes, das einen Aktionsplan nicht für notwendig hielt. Dr. Felix Rauschmayer vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) berichtet von der Reaktion auf seine Vorträge: „Manche Argumente gegen einen Aktionsplan waren wissenschaftlich nicht haltbar – sie wurden, und das war allen Anwesenden klar, nur als Einwand vorgeschoben.“ Die Konvention für migrierende Tierarten (CMS) hat dagegen klar signalisiert, dass des Bestand des Kormorans zur Zeit ausreichend gesichert ist und deshalb nicht reguliert werden muss, da diese Konvention ihren Schwerpunkt bei stark gefährdete Tierarten sieht.

Die Forscher haben deshalb einen fünfstufigen Aktionsplan entwickelt, der das Kormoranmanagement der EU aus der Sackgasse führen könnte. Zuerst geht es darum, gesicherte Zahlen über den Bestand zu erhalten, da die Angaben je nach Interessenlage variieren. Anschließend würden die regionalen Gegebenheiten verglichen, Nutzen und Kosten von Managementoptionen festgestellt sowie ein Gesamtmodell der Population erarbeitet werden. Danach müsste eine übergreifende Institution gefunden werden, die letztlich für ein gemeinsames Management verantwortlich wäre. „Diese Schritte müssen nacheinander gegangen werden. Würde man beim dritten Schritt anfangen und dann feststellen, dass über den ersten Schritt kein Konsens herrscht, dann würde alles wieder im Sande verlaufen.“ Ein schwieriger Prozess, der gegenseitiges Vertrauen erfordert, da alle Länder Rechte und Entscheidungsautonomie abgeben müssten. Dass ein grenzüberschreitendes Kormoran-Management aber möglich ist, zeigt das Beispiel der USA. Dort gibt es eine zentrale Behörde, die dafür zuständig ist: der U.S. Fish and Wildlife Service beim Innenministerium. Das Problem in Nordamerika ist mit dem in Europa vergleichbar: Seit den 70er Jahren haben dort die Populationen des Noramerikanischen Kormorans (Phalacrocorax auritus) zugenommen. Brut- und Überwinterungsgebiete verteilen sich über den ganzen Kontinent und damit über verschiedene Bundesstaaten. Nach einem intensiven Konsultationsprozess entstand 2003 ein über 200seitiger Managementplan, der jetzt konsequent umgesetzt wird. Dieser sieht mehrere Alternativen vor, die schrittweise aufeinander aufbauen und nur zum Einsatz kommen, wenn die vorige Stufe erfolglos blieb: 1. kein Eingreifen, 2. Vergrämung (jedoch ohne Abschuss), 3. lokale Schadensbegrenzung an kommerziellen Fischteichen, 4. streng überwachte Reduzierung der Ressourcen, 5. Reduzierung von regionalen Populationen und 6. landesweite Freigabe zur Jagd als allerletzte Alternative. Auf diese Weise soll der Bestand in Nordamerika um etwa 160.000 Tiere reduziert werden, was nach Einschätzung des U.S. Fish and Wildlife Service zu keinen deutlichen negativen Folgen für die Population führen wird.
Tilo Arnhold

Mehr zum Thema Biologische Invasionen und zu anderen Themen rund um die Biodiversität finden Sie in einer Spezialausgabe des UFZ-Newsletters zur 9. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention zur Biologischen Vielfalt (COP9), die vom 19. bis 30. Mai 2008 in Bonn stattgefunden hat.

Publikationen:

Behrens, V., Rauschmayer, F., Wittmer, H. (2008):
Managing international 'problem' species: why pan-European cormorant management is so difficult
Environ.Conserv. 35 (1), 55-63
http://dx.doi.org/10.1017/S037689290800444X

Berghöfer, A., Wittmer, H., Rauschmayer, F. (2008)
Stakeholder participation in ecosystem-based approaches to fisheries management: a synthesis from European research projects
Marine Policy 32 (2), 243-253
Die Untersuchungen wurden von der EU im Rahmen des Forschungsprojektes FRAP sowie von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert.
http://dx.doi.org/10.1016/j.marpol.2007.09.014

Weitere fachliche Informationen:

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Vivien Behrens
Telefon: 0341-235-1745 (UFZ) oder 0521-106-4656 (Universität Bielefeld)
http://www.ufz.de/index.php?de=7035
und
Dr. Felix Rauschmayer
Telefon: 0341-235-1656
http://www.ufz.de/index.php?de=1660
und
Sten Zeibig (UFZ/Universität Osnabrück)
Telefon: 0341-235-1718

oder über

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ
Pressestelle
Tilo Arnhold (UFZ-Pressestelle)
Telefon: +49 (0)341 235 1269
presse@ufz.de

Weiterführende Links

Zur Bedeutung von Puffern für ein effizientes und effektives Management biologischer Bestände unter Unsicherheit - ein ökologisch-ökonomischer Ansatz illustriert am Beispiel des Kormorans (Phalacrocorax carbo sinensis):
https://www.dbu.de/stipendien_20005/796_db.html
Taming the Intractable

FRAP - Fischwirtschaft und Biodiversitätsschutz: Nachhaltige Schutz- und Nutzungsstrategien am Beispiel von Fischotter, Kormoran und Robben
http://www.ufz.de/index.php?de=1717
http://www.frap-project.ufz.de/
http://www.ufz.de/index.php?de=6715

Kormoran-Management in den USA:
http://www.fws.gov/migratorybirds/issues/cormorant/cormorant.html
U.S. Fish and Wildlife Service: “Final Environmental Impact Statement - Double-crested Cormorant Management in the United States“
Double-crested Cormorant Management in the United States

Wetlands International Cormorant Research Group:
http://web.tiscali.it/sv2001/

Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ wurde 1991 gegründet und beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle/S. und Magdeburg rund 800 Mitarbeiter. Es erforscht die komplexen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt in genutzten und gestörten Landschaften, insbesondere dicht besiedelten städtischen und industriellen Ballungsräumen sowie naturnahen Landschaften. Die Wissenschaftler des UFZ entwickeln Konzepte und Verfahren, die helfen sollen, die natürlichen Lebensgrundlagen für nachfolgende Generationen zu sichern.
Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit 25.700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 15 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 2,3 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des großen Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).