Standpunkt 17. Dezember 2007

Mehr Realismus in der Klimapolitik

von Reimund Schwarze*

(Der vorliegende Standpunkt ist in gekürzter Fassung am 18.12.2007 in der Financial Times Deutschland erschienen.)

Der Klimagipfel in Bali ist mit einem Fahrplan für weitere Verhandlungen zu Ende gegangen. Das ist gut, denn zwischenzeitlich lag ein Scheitern in der Luft. Der vielfach beschworene große Durchbruch wurde aber nicht erreicht. Die Industrieländer, allen voran die USA, haben sich nicht auf bindende Beschränkungen für den CO2-Ausstoß im Abschlussdokument geeinigt und melden in ersten Reaktionen "ernste Bedenken" an. Die Schwellenländer, allen voran Indien, waren nicht bereit, verbindliche erste Schritte in Richtung einer Emissionsminderung zu tun. Und die ärmsten Länder dieser Welt können nach wie vor nicht auf eine wirkliche Hilfe bei der Anpassung an den Klimawandel hoffen.

Kraftwerke tragen zum Kohlendioxid-Ausstoß bei.

Kraftwerke tragen zum Kohlendioxid-Ausstoß bei.
Foto: André Künzelmann/UFZ

Die Weltgemeinschaft befindet sich in einem Verhandlungsdilemma. Die Schwellenländer weisen - zu recht - den Industrieländern die historische Verantwortung für die Erderwärmung zu und verlangen das gleiche Recht auf nachholende Entwicklung. Die Industrieländer dagegen weisen - ebenso zu recht - darauf hin, dass die Schwellenländer schon in wenigen Jahren genauso viel oder sogar mehr als die Industrieländer emittieren. Nach neuesten Schätzungen der internationalen Energieagentur wird China bereits im nächsten Jahr die USA an der Weltspitze bei den C02-Emissionen ablösen, in wenigen Jahren auch die EU im Pro-Kopf Ausstoß an C02 überholen. Und niemand traut sich, das Thema Anpassungshilfen für die ärmsten Länder ernsthaft anzupacken, denn die Kosten dafür wären immens. Die Weltbank hat in einer extrem vorsichtigen Schätzung die dafür notwenigen Transfers auf 9 bis 41 Milliarden US-Dollar pro Jahr geschätzt. In Bali wurden gerade einmal Mittel im Umfang von 500 Millionen US-Dollar pro Jahr zugesagt. Und ob diese Zusagen schließlich Wirklichkeit werden, ist nach den Erfahrungen mit anderen Hilfszusagen der Weltgemeinschaft eher zweifelhaft.

Wie können wir dieses Wechselbad der Gefühle, dieses wiederkehrende Auf und Ab von großen Hoffnungen und herben Enttäuschungen, in der internationalen Klimapolitik überwinden? Zuallererst durch politischen Realismus. Was zählt ist, was sich durchsetzen lässt, und nicht, was wir glauben, was für die Verhinderung des Klimawandels notwendig wäre. Weltweite Klimapolitik ist ein schwieriger, langfristiger Lernprozess, der auf vielen Ebenen in unterschiedlicher Intensität stattfindet. Eine große weltweite Architektur der Klimapolitik wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Der Kyoto-Bali-Pfad ist nur ein Verhandlungsstrang unter anderen. Es existieren bereits heute zahlreiche parallele Abkommen zum Klimaschutz, z.B. zwischen den Ländern im asiatisch-pazifischen Raum und auf bilateraler Basis, z.B. zwischen Deutschland und der Türkei, die - dies sei am Rande bemerkt - dem Kyoto-Protokoll bis heute nicht beigetreten ist. Wir werden in Zukunft sehen, dass einige Länder auf den Kyoto-Bali-Zug aufspringen, andere werden wieder abspringen. Australien ist nach über zehn Jahren dem Kyoto-Protokoll beigetreten; Russland, fürchten viele, könnte den Rahmen bindender Verpflichtungen dagegen schon bald wieder verlassen, denn in 2010 wird das Land erstmals seine C02-Werte von 1990 überschreiten und müsste dann Einschnitte hinnehmen. Die Nationalstaaten sind in der Weltgemeinschaft souverän und werden nach ihren Prioritäten, d.h. nach ihren Vor- und Nachteilen, entscheiden. Der Ruf nach einem Weltklimarat mit hoheitlichen Befugnissen ist naiv und gefährlich. Ohne die Atomtechnik gäbe es heute nicht den UN-Sicherheitsrat. Ein ähnliches Drohpotenzial für den "Klima-Overkill" gibt es nicht und sollten wir uns nicht wünschen.

Realismus ist auch deshalb so wichtig, weil sonst die Glaubwürdigkeit in den Verhandlungen verloren ginge. Wenn die EU in eigenem Haus nicht sicherstellen kann, dass die "Mini-Ziele" des Kyoto-Protokolls bis 2012 erreicht werden und alle Mitgliedsstaaten dazu einen wirksamen Beitrag leisten - so ist der gegenwärtige Stand! - dann können wir von Ländern wie Indien und China keine vertragliche Bindung an Emissionsminderungen als Gegenleistung zu Hilfszahlungen erwarten. Schönfärberei und vollmundige Versprechen helfen uns hier nicht weiter.

In diesem Zusammenhang wird man auch noch einmal in der G8, also der Versammlung der stärksten Wirtschaftsmächte dieser Welt, die Bush-Initiative neu erwägen müssen. Die USA haben im September einen Emissionsgipfel mit klarer Technikorientierung für die fünfzehn größten C02-Emittenten, darunter Süd-Korea, Brasilien, Mexiko, China und Indien, auf den Weg gebracht. Viele Beobachter haben dies als Konkurrenzveranstaltung zu Bali gewertet. Ich sehe darin eine Chance, denn dort wäre die Verhandlungslage, insbesondere für China, eine ganz andere als in Bali. In großen internationalen Verhandlungen vertritt China immer die Stimme der G77, also die große Koalition der Entwicklungsländer. Deshalb lautete Chinas Position auch jetzt wieder: Entwicklungsländer haben auf sehr lange Zeit (bis 2080) überhaupt keine Minderungspflichten zu erbringen. Dass China sich in dieser Weise für die Entwicklungsländer einsetzt, bringt ihm strategische Vorteile. Heute verfügt es auf Grundlage dieser Politik über hervorragende Zugänge zu den afrikanischen Ressourcen. Im kleinen Rahmen aber könnte China durchaus zu Zugeständnissen bereit sein, weil es dort andere nationale Interessen ausspielen kann. Auch die Chinesen sehen, dass die C02-Minderung einen Zusatznutzen hat. Höhere Effizienz von Kraftwerken führt nicht nur zu geringerem C02-Ausstoß. Sie führt auch zu geringerem Ressourcenverbrauch, der inzwischen sehr teuer ist, und zu geringerer Luftverschmutzung. Und China kann nicht ausschließen, dass es emissionsarme Zukunftstechnologien künftig nur noch teuer einkaufen kann. Es will also gemeinsam mit anderen Ländern Technologie-Pionier sein. Eine Lösung des Emissionsminderungsproblems in einem kleinen Kreis von Ländern, die ein hohes Interesse an der Technikentwicklung haben, scheint mir viel leichter möglich, als in einem großen Kreis von Ländern, in denen auch das Problem der Verteilung der Anpassungslasten an dem Klimawandel zu lösen ist. Solche auf die gemeinsame Technikentwicklung orientierten Verhandlungen stehen nicht im Widerspruch zum Bali-Fahrplan, sondern können diesen sinnvoll ergänzen. Wir werden uns in Zukunft an ein vielschichtiges System internationaler Vereinbarungen zum Klimaschutz gewöhnen müssen, weil die Länder eben sehr unterschiedliche Interessenlagen in unterschiedlichen Verhandlungskonstellationen haben.

Und wir werden uns an moderate Ziele gewöhnen müssen, selbst wenn sie die Gefahr eines Klimawandels heraufbeschwören. Klima-Alarmismus hilft uns nicht. Denn selbst wenn der Klimawandel so fortschreitet, wie viele heute befürchten, wird gerade dies nicht zu einem Schub in der Emissionsminderung führen. Man wird angesichts akuter Gefahren des Klimawandels nicht als erstes C02-freie Kraftwerke bauen oder das 1,5-Liter-Auto auf den Markt bringen. Zuerst wären die Länder damit beschäftigt, sich zu schützen. Sie würden erst einmal fragen: Wo bauen wir Dämme? Wie sichern wir unsere Landwirtschaft? Nationale Anpassungspläne an Klimaschäden, wie sie die EU heute plant, sind wichtig, aber sie helfen uns nicht auf dem Weg zur Emissionsminderung. Hier hilft uns nur eine klare Technologieorientierung. Insofern gibt es Raum für eine internationale Technologie-Initiative der großen Zukunftsemittenten dieser Welt.

*Professor Reimund Schwarze ist Experte für internationale Klimapolitik am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig und lehrt Umweltökonomie an der Universität Innsbruck.