Pressemitteilung vom 16. August 2005

Drei Jahre nach der Flutkatastrophe und (k)ein bisschen klüger?

Umweltforschungszentrum untersucht Risikomanagement bei Hochwässern

Leipzig. Das Hochwasser an Mulde und Elbe jährt sich diesen Sommer zum dritten Mal. Die materiellen Schäden sind weitgehend behoben, aber die Umsetzung von Vorsorgemaßnahmen geht weiter. Ein sozialwissenschaftliches Forscherteam des Umweltforschungszentrums Leipzig-Halle (UFZ) befasst sich mit den Folgen des Hochwassers für Mensch und Natur sowie mit Politikansätzen zur Hochwasservorsorge in Europa. Im Rahmen des derzeit größten EU-Forschungsvorhabens zum Thema Hochwasser ("FLOODsite") wird dabei zum einen analysiert, inwieweit das Hochwasser von 2002 die Wahrnehmung des Hochwasserrisikos durch Privatpersonen und verantwortliche Behördenvertreter verändert hat und welche konkreten Vorsorgehandlungen folgten – oder auch nicht. Zum anderen werden die verschiedenen in Europa praktizierten Methoden zur Bewertung von Hochwasservorsorgemaßnahmen untersucht.

Hochwasser August 2002 aus der Luft

Hochwasser August 2002
Die räumlichen Ausmaße der Überschwemmungen erschließen sich erst so richtig aus der Luft.
Foto: André Künzelmann/UFZ

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Hochwasserschäden

Hochwasser August 2002
Hochwasserschäden
Foto: André Künzelmann/UFZ

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Vom Hochwasser geschädigtes Haus

Hochwasser August 2002
Vom Hochwasser geschädigtes Haus
Foto: André Künzelmann/UFZ

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Hochwasserschutzmauern vor Eilenburg

Hochwasserschutzmauern vor Eilenburg
Foto: Christian Kuhlicke/UFZ

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Deichbau vor Eilenburg

Deichbau vor Eilenburg
Foto: Christian Kuhlicke/UFZ

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Technik allein reicht nicht zum Schutz

Die Auswirkungen des Hochwassers auf die Risikowahrnehmung der Menschen untersuchen die Wissenschaftler derzeit durch Haushaltsbefragungen und Expertengespräche in drei sächsischen Kommunen entlang der Mulde. In Eilenburg sowie in Sermuth und Erlln bei Colditz ermitteln sie, wie die Bewohner das Hochwasser verkraftet haben, wie sie in Zukunft mit dem Hochwasserrisiko umgehen werden, wie die Kommunen das Hochwasserrisiko einschätzen und wie die kommunalen Schutzkonzepte aussehen. Im Mittelpunkt dieser Untersuchungen steht ein Widerspruch, der die derzeitige Hochwasserschutzpolitik in Deutschland prägt. Einerseits sollen laut neuem Hochwasserschutzgesetz des Bundes die Bewohner hinter den Deichen mehr Verantwortung bei der Eigenvorsorge übernehmen (Versicherungen, angepasste Bauweise usw.). Andererseits wirken die Signale aus der Politik oft gegenläufig. "Der Schwerpunkt der konkreten Hochwasservorsorge-Maßnahmen nach dem Hochwasser bezog sich auf technische Maßnahmen. In vielen Fällen wurden und werden Deiche einfach höher und sicherer wieder aufgeschüttet" erzählt Dr. Frank Messner. "In vielen Orten an Mulde und Elbe werden Mauern errichtet, während zerstörte Gebäude oft an der gleichen Stelle wieder aufgebaut wurden."
Die materiellen Schäden des August-Hochwassers von 2002 wurden fast vollständig ausgeglichen – auch bei Betroffenen, die nicht versichert waren. Die Wissenschaftler fürchten, das Handeln des Staates könnte dazu führen, dass Anreize fehlen, Eigenvorsorge zu betreiben oder sich besser zu informieren. Diese Einstellung kann sich bei einer erneuten Jahrhundertflut als sehr nachteilig herausstellen, da Hochwasserschäden vor allem wenig informierte und kaum vorbereitete Bevölkerungsgruppen besonders stark treffen. Wie eine UFZ-Studie in Bennewitz an der Mulde zeigte, ist das Wissen der Bevölkerung über eigene Hochwasservorsorge nach wie vor sehr gering.

Zusammenarbeit zwischen einzelnen Ländern mangelhaft

Der zweite Forschungsschwerpunkt der UFZ-Wissenschaftler im Rahmen des EU-FLOODsite-Projektes beschäftigt sich mit der Frage, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage Entscheidungen über Hochwasserschutzmaßnahmen in der Politik getroffen werden. In einer vergleichenden Studie wird zurzeit für vier europäische Länder (Deutschland, Niederlande, Großbritannien, Tschechien) ermittelt, welche Bewertungsmethoden in der Praxis Verwendung finden. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass in fast allen untersuchten Ländern teilweise sehr präzise Hochwasserschadensanalysen eingesetzt werden, mit denen die Hochwasserschäden bei verschiedenen Überschwemmungsszenarien im Voraus abgeschätzt werden. Unterschiede bestehen beispielsweise darin, welche Schadensarten einbezogen werden. Schäden an Vermögenswerten wie Wohngebäuden finden überall Berücksichtigung, während Gesundheits- oder Umweltschäden nur selten abgeschätzt werden. In Deutschland stößt man auf sehr verschiedene Methoden der Hochwasserschadensanalyse, da hier Hochwasserschutz Aufgabe der Bundesländer ist. "Bei der Hochwasserschutzpolitik wird auch heute noch in engen politischen Grenzen gedacht wird und eine Zusammenarbeit der Flussanliegerländer findet bislang selten statt", kritisieren die UFZ-Wissenschaftler und schlussfolgern: "Die Wirkungen von regionalen Hochwasserschutz-Maßnahmen auf andere Flussabschnitte in der politischen Maßnahmenauswahl werde häufig vernachlässigt. Auf diese Weise mögen Hochwasserschutzkonzepte verbesserte Situationen für die Städte und Gemeinden am Oberlauf eines Flusses schaffen, während dadurch aber gleichzeitig das Hochwasserrisiko am Unterlauf erhöht wird."

Künftig einheitliche Hochwassergesetze in der EU

Nach Ansicht der Wissenschaftler des FLOODsite-Projektes sind zahlreiche Mängel in der heutigen Hochwasserpolitik vieler EU-Länder auf ein mangelndes Management der Hochwasserrisiken zurückzuführen. Dazu gehört u.a. das gesamte Risiko von Hochwasserereignissen deutlich zu machen – inklusive der Schäden einer Überschwemmung trotz technischer Maßnahmen. Wichtig ist es, öffentlich zu debattieren und die Aufgabenteilung im Vorfeld zu klären. "Kommunikation und Information sind daher wesentliche Aufgaben eines Hochwasserrisikomanagements. Ein zentrales Anliegen muss es weiterhin werden, Flussgebiete als Ganzes zu betrachten", fordert Messner. Die europäische Wasserpolitik schreibt das seit 2000 vor – allerdings nicht für den Bereich Hochwasserschutz. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung sind die derzeit in Arbeit befindlichen Hochwassergefahrenkarten für das gesamte Elbegebiet. Eine verbesserte Kooperation zwischen den Anliegerländern ist aber besonders bei der Entscheidung über Hochwasserschutzmaßnahmen mit grenzüberschreitenden Folgen geboten. Als Grundlage für eine verbesserte Kooperation wird derzeit am UFZ in Zusammenarbeit mit Experten aus der Praxis ein Methodenhandbuch zur Hochwasserschadensanalyse erstellt, um eine Harmonisierung der Bewertungsmethoden voranzubringen. Alle Ergebnisse und Erkenntnisse des FLOODsite-Projektes werden Eingang finden in eine neue Hochwasserschutz-Rahmengesetzgebung der EU, die sich zurzeit in Planung befindet.
Tilo Arnhold

weiterer Link:

www.floodsite.net

Weitere Information unter:

Dr. Frank Messner
UFZ-Department Ökonomie
Telefon: 0341-235-2204
E-mail: frank.messner@ufz.de

oder über

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ
Pressestelle
Tilo Arnhold / Doris Böhme
Telefon: +49 (0)341 235 2278
E-mail: presse@ufz.de