Presseinformation vom 16. Juni 2014

Europäische Gewässer stärker durch Chemikalien belastet als bislang angenommen

Großflächige Studie zeigt: Ökologische Ziele der Wasserrahmenrichtlinie werden vermutlich verfehlt

Die Gewässerqualität bis 2015 deutlich zu verbessern, das haben sich die EU-Mitgliedsstaaten nicht zuletzt durch die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) auf die Fahnen geschrieben. Wie eine aktuelle Studie des Instituts für Umweltwissenschaften Landau und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) mit Kollegen aus Frankreich (Universität Lorraine und EDF) und der Schweiz (EAWAG) zeigt, wird dieses Ziel aufgrund starker Schadstoffeinträge wohl nicht erreicht werden. Ein Grund: Aktuelle Maßnahmen zur Verbesserung der Gewässerqualität berücksichtigen Chemikalieneinträge nur unzureichend. Dabei sind die ökologischen Risiken durch Chemikalien wesentlich höher als bislang angenommen, wie die Studie erstmals auf europäischer Ebene belegt.

Eintrag von Chemikalien in Gewässer durch Landwirtschaft. Foto: André Künzelmann/UFZ

Der Eintrag der Chemikalien in die Gewässer erfolgt zu einem erheblichen Teil durch die Landwirtschaft. Pestizide stellen mit Abstand die stärkste Belastung für die Gewässer dar.
Foto: André Künzelmann, UFZ

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Anglerruten am Donauufer. Foto: André Künzelmann/UFZ

Anglerruten am Donauufer. Flüsse, wie hier die Donau, sind faszinierende Ökosysteme. Dem Menschen stellen sie wichtige Funktionen zur Verfügung – als Urlaubsparadies, als Fischereigewässer oder als Trinkwasserreservoir für Millionen Menschen. Aber sie werden auch durch Chemikalieneinträge beeinträchtigt – aus anliegenden Kommunen, der Landwirtschaft und der Industrie. Das führt zu einem Chemikalien-Cocktail, der Algen und Wassertieren nicht gut bekommt und auch Risiken für den Menschen birgt.

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Bislang gingen Umweltbehörden und Teile der Fachwelt davon aus, dass der Eintrag von Chemikalien eher ein lokales Problem in einigen Gewässern darstellt. Die aktuelle Untersuchung zeigt nun erstmals im großen Maßstab das ökologische Risiko durch Chemikalieneinträge für mehrere Tausend europäische Gewässer: Die chemische Belastung stellt für rund die Hälfte der europäischen Gewässer ein ökologisches Risiko dar. Bei rund 15 Prozent könnten sogar akut toxische Effekte auf Gewässerorganismen auftreten.

Reale Situation europäischer Gewässer vermutlich noch schlechter

Untersucht haben die Wissenschaftler aus Landau und Leipzig mit den französischen und schweizerischen Kollegen EU-weite Überschreitungen von Risikoschwellen in den Einzugsgebieten großer Gewässer wie Donau und Rhein. Für diese Flussgebietseinheiten wurde berechnet, in welchem Maße die Risikoschwellen für die drei Organismengruppen Fische, Wirbellose und Algen/Primärproduzenten in den vergangenen Jahren überschritten wurden. Die analysierten Daten stammen aus der behördlichen Überwachung. Die Probenabdeckung ist daher räumlich und zeitlich sehr unterschiedlich, so dass direkte Vergleiche zwischen den Ländern teilweise schwierig sind. Dass etwa Frankreichs Gewässerqualität laut der Studie am schlechtesten dasteht, liegt vermutlich daran, dass die Behörden dort über ein sehr engmaschiges Messnetz verfügen und viele Substanzen analysiert werden. In anderen Ländern werden Risiken durch unzureichende Überwachung dagegen gar nicht erkannt. „Generell haben wir in unserer Analyse das Risiko eher unter- als überschätzt“, so Studienleiter Jun.-Prof. Dr. Ralf B. Schäfer vom Institut für Umweltwissenschaften Landau. „Die reale Situation der europäischen Gewässer ist wahrscheinlich noch schlechter“.

Der Eintrag der Chemikalien in die Gewässer erfolgt größtenteils durch die Landwirtschaft und städtische Kläranlagen. Pestizide stellen mit Abstand die stärkste Belastung für die Gewässer dar, allerdings treten auch Organozinnverbindungen, bromierte Flammschutzmittel und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, die aus Verbrennungsprozessen resultieren, in bedenklichen Konzentrationen auf. Aktuell fokussieren die EU-Vorgaben zur Gewässerqualität vor allem auf Einträge von sogenannten prioritären Stoffen, d.h. rund 40 Chemikalien, die als besonders gefährlich eingestuft wurden. „Glücklicherweise sind viele dieser prioritären Substanzen heute nicht mehr zugelassen und ihre Konzentrationen gehen vielerorts zurück. Das Problem ist aber, dass viele aktuell verwendete Chemikalien bei der Überwachung der Gewässer gar nicht berücksichtigt werden“, so Dr. Werner Brack vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Zudem zeigen neuere Erkenntnisse, dass die angenommenen Wirkschwellen für einige Stoffe zu hoch angesetzt sein könnten.

Konkretere Rahmenvorgaben und Koordination unabdingbar

Um der Vielfalt möglicherweise schädlicher Stoffe in der Umwelt gerecht zu werden, empfehlen die an der Studie beteiligten Wissenschaftler daher eine intelligente Verknüpfung von ökologischen, wirkungsbasierten und chemischen Screening-Methoden. Nur so kann mit vertretbaren Kosten das ganze Spektrum an ökotoxikologisch relevanten Substanzen erfasst werden. „Gefährliche Stoffe können auch dann aufgespürt werden, wenn sie noch nicht auf die Prioritätenliste gesetzt wurden“, verdeutlicht Werner Brack. Allerdings zeigt die aktuelle Studie, dass auch auf Grundlage der heute bereits überwachten Stoffe Handlungsbedarf besteht. „Für die Praxis bedeutet das, dass sich auf allen Ebenen dringend etwas bewegen muss zum nachhaltigen Schutz der Gewässer“, so Schäfer. Das reicht von der generellen Vermeidung von Chemikalieneinträgen in Gewässer und dem Ersetzen von besonders problematischen Substanzen über die Verringerung der Ausbringung von landwirtschaftlichen Chemikalien bis hin zur verbesserten Klärung von Abwässern. Die Forschergruppe ist sich einig: Es ist zu befürchten, dass die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie auf Grund der massiven chemischen Belastung verfehlt werden, sollte sich an der aktuellen Situation nichts ändern. Längerfristig habe das auch Risiken für den Menschen zur Folge, wenn beispielsweise Funktionen des Ökosystems, wie die Selbstreinigungskraft des Wassers beeinträchtig werden.
Kerstin Theilmann

Die Studie:

„Organical chemicals jeopardize the health of freshwater ecosystems on the continental scale“
Egina Malaj, Peter C. von der Ohe, Matthias Grote, Ralph Kühne, Cédric P. Mondy, Philippe Usseglio-Polatera, Werner Brack, Ralf B. Schäfer.

Die Studie wurde am 16. Juni 2014 in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS, Early Edition) zunächst online veröffentlicht und ist unter diesem Link abrufbar:
http://www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1321082111

Die Untersuchungen wurden gefördert von Electricité de France (EDF), der Französischen Nationalen Forschungsagentur (ANR) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Beteiligte Institutionen:

Institut für Umweltwissenschaften Landau der Universität Koblenz-Landau, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Electricité de France (EDF) in Frankreich, Universität Lorraine in Frankreich und EAWAG in der Schweiz.

Weitere Informationen

Universität Koblenz-Landau
Institut für Umweltwissenschaften Landau
Jun.-Prof. Dr. Ralf B. Schäfer
Tel.: +49 6341 280-31536
E-Mail: schaefer-ralf@uni-landau.de

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Department Wirkungsorientierte Analytik
Dr. Werner Brack
Tel.: +49 341 235-1531
Dr. Werner Brack

Pressekontakt

Universität Koblenz-Landau

Kerstin Theilmann (Pressestelle)

Tel.: +49 6341 280-32219

E-Mail: theil@uni-koblenz-landau.de

oder

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung
Tilo Arnhold, Susanne Hufe (UFZ-Pressestelle)
Telefon: +49-(0)341-235-1635, -1630

Weiterführende Links

Umweltverhalten von Chemikalien
www.ufz.de/index.php?de=32298

EU-Projekt SOLUTIONS
www.solutions-project.eu

Das Institut für Umweltwissenschaften Landau betreibt grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung, in deren Fokus die vielfältigen Interaktionen zwischen Mensch und Umwelt stehen. Das Institut vereint die Expertisen von neun interdisziplinären Arbeitsgruppen und damit aktuelle Forschung vom Molekül über Ökosysteme bis zur menschlichen Gesellschaft. Das Institut für Umweltwissenschaften Landau wurde 2004 an der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau gegründet. Weitere Informationen:
www.umwelt.uni-landau.de

Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg über 1.100 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit fast 36.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 18 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 3,8 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).