Pressemitteilung vom 27. Mai 2014

Unterschiede beim Hochwasserschutz werden größer

UFZ-Forscher veröffentlichen ein Jahr nach dem Hochwasser 2013 erste Ergebnisse einer groß angelegten Haushaltsbefragung

Leipzig. Die Menschen in den sächsischen Hochwassergebieten sind zunehmend besser auf Fluten vorbereitet. Allerdings wachsen die Unterschiede zwischen jenen, die gut geschützt sind, und jenen, denen es an Absicherung mangelt. Gerade Haushalte, die zum zweiten oder dritten Mal seit 2002 im Wasser standen, hatten besonders schwer mit den Folgen des Hochwassers von 2013 zu kämpfen. Zu diesem Ergebnis kommt eine sozialwissenschaftliche Studie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ). Die Wissenschaftler hatten dazu knapp 1000 Haushalte in sächsischen Kommunen und Städten an Elbe, Mulde, Neiße und kleineren Gewässern in der Oberlausitz befragt, die seit 2002 mehrmals von Hochwasser betroffen waren. Ziel der Studie war es, die Auswirkungen der Fluten der letzten Jahre auf die Bevölkerung und deren Umgang damit zu untersuchen.

Eilenburg während des Mulde-Hochwassers im Juni 2013. Foto: André Künzelmann/UFZ

Eilenburg während des Mulde-Hochwassers im Juni 2013. Seit 2012 ist die Stadt durch umfangreiche Maßnahmen gut gegen Hochwasser geschützt. Die Schäden sanken bei den Befragten in Eilenburg daher auf unter fünf Prozent der Schäden von 2002.
Foto: André Künzelmann/UFZ

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Pirna während des Elbe-Hochwassers im Juni 2013. Foto: Tilo Arnhold/UFZ

Pirna während des Elbe-Hochwassers im Juni 2013. Die Lage der Stadt erschwert einen umfassenden Hochwasserschutz. Im Gegensatz zu gut geschützten Städten wie Eilenburg sanken die Schäden unter den Befragten 2002 wesentlich weniger stark und betrugen immer noch über die Hälfte der Schäden des Hochwassers von 2002.
Foto: Tilo Arnhold/UFZ

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Schadenssummen sinken insgesamt
2013 lagen die Schäden der befragten Haushalte mit rund 10 Millionen Euro deutlich unter denen von 2002, für das die Befragten insgesamt Schäden von rund 24 Millionen Euro angaben. Auch die durchschnittlichen Haushaltsschäden haben sich von rund 55.000 Euro in 2002 um die Hälfte reduziert. „Die beiden Hochwasserereignisse sind trotz ihrer zumindest auf den ersten Blick vorhandenen Ähnlichkeit, nicht ohne weiteres miteinander zu vergleichen. So blieben die Pegelstände in den untersuchten Orten 2013 meist hinter denen von 2002 zurück. Allerdings machten sich die Investitionen in den technischen Hochwasserschutz seit 2002 bemerkbar. Viele Haushalte waren außerdem einfach besser vorbereitet als 2002“, erklärt Dr. Christian Kuhlicke vom UFZ. 60 Prozent der Haushalte gaben an, 2002 sehr stark vom Hochwasser betroffen gewesen zu sein. 2013 waren es nur noch 27 Prozent. „Viele Haushalte wussten 2013, was zu tun ist“, meint Dr. Christian Kuhlicke. Auf die Fluten 2002 waren nach eigener Einschätzung über 75 Prozent gar nicht vorbereitet. 2013 schätzten sich aber über 40 Prozent als gut oder sogar sehr gut vorbereitet ein. Trotz der Unterschiede zwischen den Hochwasserereignissen 2002 und 2013 sind die langfristigen Folgen relativ ähnlich. Rund 70 Prozent der Befragten meinen, dass es ihrem Haushalt genauso gut geht wie vor dem Hochwasser. Für die Wissenschaftler ist dies ein Indiz, dass die meisten Haushalte die starke Betroffenheit und die negativen ökonomischen, gesundheitlichen und psychischen Belastungen gut überwunden haben.

Das Erleben mehrerer Hochwasser belastet Betroffene dennoch stark
Während 2013 die Folgen insgesamt also weniger schlimm waren, so sind die Folgen für jene Haushalte, die 2013 zum zweiten oder dritten Mal im Wasser standen, umso gravierender. 65 Prozent der Befragten haben in den letzten elf Jahren zwischen zwei und vier Hochwasser erlebt. Dies hat erheblich negative Folgen für die Haushalte, da sich ihre Situation häufiger zum Schlechten wendet. Gerade diese mehrfach betroffenen Menschen spielen auch mit dem Gedanken, wegzuziehen. Je nach Wohnlage kann das erhebliche negative Folgen für Kommunen und Städte nach sich ziehen oder aber auch neue Möglichkeiten eröffnen.

Keine landesweite Chancengleichheit beim Hochwasserschutz
Es sind vor allem die kaum oder gar nicht geschützten Kommunen, die in den letzten Jahren mehrfach betroffen waren. Einige Kommunen sind inzwischen deutlich besser geschützt als andere. Während in Eilenburg die Schäden 2013 unter fünf Prozent der Schäden von 2002 gesunken sind, betragen sie in Kommunen wie Pirna oder Glaucha immer noch über die Hälfte des Hochwassers von 2002. „Wir beobachten einen zunehmend ungleichen Schutz. Diese Unterschiede werden sich weiter verstärken, da nicht alle gleich gut geschützt werden können“, fürchtet Sozialgeograf Kuhlicke. Die Gründe dafür sind vielfältig: Einige Kommunen wie z.B. Pirna oder große Teile der Oberlausitz sind wegen ihrer geografischen Lage nur schwer zu schützen, bei anderen dagegen würden Aufwand und Nutzen in keinem akzeptablen Verhältnis stehen. Kleinere Kommunen werden daher langfristig weniger geschützt sein als größere Städte. „Ungeschützte Anwohner werden dann stärker betroffen sein. Umso wichtiger wird es werden, die Bürger besser an diesen Prozessen zu beteiligen und auch die private Vorsorge als Instrument des Hochwasserschutzes zu stärken.“

Private Vorsorge
Eine der Konsequenzen der Flut 2002 ist, dass die Anwohner durch Gesetzgeber und Versicherungen zu mehr privater Hochwasservorsorge aufgefordert werden. In diesem Punkt sind die Ergebnisse der Haushaltsbefragung ernüchternd: Rund 60 Prozent denken, dass sie durch ihr Handeln Hochwasserschäden nicht oder kaum verringern können. Verhaltens- oder Bauvorsorge findet vor allem im Nachgang zu einem Hochwasser statt. Sobald die Erinnerung verblasst ist, passiert kaum noch etwas. Besonders deutlich wird dies an der Anzahl der Versicherungsabschlüsse: In den Hochwasserjahren und kurz danach verdoppelte bis verfünffachte sich die Zahl der abgeschlossenen Elementarschadensversicherungen. Rund die Hälfte der seit der Wende abgeschlossenen Verträge geht also auf ein Hochwasser zurück.

Betroffene fühlen sich nicht in die Prozesse eingebunden
Gefordert sind Politik und Verwaltung auch in zwei anderen Punkten: Über drei Viertel der Befragten gaben an, keine Kenntnis von Hochwasserrisikokarten zu haben. Dabei sind diese ein wichtiges Mittel, damit sich Bürger über die Gefährdung und mögliche Konsequenzen von Fluten informieren können. Seit 2013 schreibt die EU-Hochwasserrichtlinie daher Hochwassergefahren und -riskokarten sowie Risikomanagementpläne als die wichtigsten Instrumente vor, um die Bürger besser auf solche Katastrophen vorzubereiten. Dass diese Karten für Laien oft nur schwer verständlich sind, hatten UFZ-Forscher bereits 2012 in einer anderen Studie festgestellt.
Stärker nachgedacht werden sollte auch über die Beteiligung der Bürger an den Planungsprozessen des Hochwasserschutzes. Über die Hälfte der Befragten hält die Bürgerbeteiligung bei der Planung und Umsetzung von Hochwasserschutzmaßnahmen für sehr wichtig, aber weniger als ein Zehntel hat bereits daran teilgenommen. An der Bereitschaft mangelt es jedoch nicht: Über die Hälfte würde sich gerne beteiligen. Die Mehrheit der Betroffenen würde die getroffenen Entscheidungen dann auch leichter akzeptieren. „Beteiligung wird also keinesfalls als ein „Schönheitswettbewerb“ gesehen, sondern als ein grundlegendes demokratisches Recht, das auch helfen kann, strittige Entscheidungen zu akzeptieren“, unterstreicht Christian Kuhlicke.

Fazit
Generell sollte private Vorsorge viel stärker gefördert und Fördermittel nicht nur für den technischen Hochwasserschutz ausgegeben werden, der eben nicht flächendeckend wirken kann. Der Schwerpunkt bei der Förderung von privater Vorsorge sollte dabei auf den weniger gut bzw. gar nicht geschützten Gebieten liegen. Auch sollte geprüft werden, inwiefern das derzeitige Versicherungssystem die negativen Folgen der Mehrfachbelastung der vom Hochwasser Betroffenen auffangen kann. In den weniger geschützten Räumen müssen sie sich derzeit – sofern möglich – selbst versichern oder sind auf staatliche Ad-hoc-Hilfen angewiesen, die keinen Rechtsanspruch auf Entschädigung begründen. Es bedarf einer systematischen, flächendeckenden und planvollen Regelung der Schadenskompensation, wie z.B. im Rahmen einer Pflichtversicherung. Tilo Arnhold

Veröffentlichung

Christian Kuhlicke unter Mitarbeit von Chloe Begg, Maximilian Beyer, Ines Callsen, Anna Kunath & Nils Löster (2014): “Hochwasservorsorge und Schutzgerechtigkeit: Erste Ergebnisse einer Haushaltsbefragung zur Hochwassersituation in Sachsen”
Hochwasservorsorge und Schutzgerechtigkeit: Erste Ergebnisse einer Haushaltsbefragung zur Hochwassersituation in Sachsen

Die Studie wurde durch die Europäische Union im Rahmen des Forschungsvorhabens emBRACE – (Building resilience amongst communities in Europe) gefördert.
Für die Untersuchung wurden 990 Fragebögen ausgewertet, was einer Abschöpfungsquote von 21,7 % entspricht. Die Fragebögen stammen aus Pirna (317 Fragebögen zum Hochwasser an der Elbe und ihren kleineren Zuflüssen 2002, 2006 und 2013), Zwickau (166 zum Hochwasser an der Zwickauer Mulde 2002 und 2013), Eilenburg und Glaucha (283 zum Hochwasser an der Mulde 2002 und 2013), der Neißeregion zwischen Zittau und Görlitz (122 zum Hochwasser 2010) und der Oberlausitz (102 zum Hochwasser an Spree und Landwasser 2010 und 2013).

Weitere Informationen

Dr. Christian Kuhlicke (Sozialgeograf und Sprecher des Arbeitskreises Naturgefahren/Naturrisiken der Deutschen Gesellschaft für Geografie)
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Telefon: 0341/235-1751
http://www.ufz.de/index.php?de=14283

oder über

Tilo Arnhold, Susanne Hufe (UFZ-Pressestelle)
Telefon: +49-(0)341-235-1635, -1630

Links

Eine Versicherungspflicht gegen Hochwasser? - Interview mit Prof. Reimund Schwarze, Umweltökonom am UFZ (02.05.2014)
http://www.ufz.de/index.php?de=32704

Christian Kuhlicke, Volker Meyer, Reimund Schwarze, Mathias Scholz (2013): “Ein 100%iger Hochwasserschutz ist nicht möglich – Wir brauchen vier Säulen einer nachhaltigen Hochwasservorsorge” (Standpunkt vom 18.06.2013)
Ein 100%iger Hochwasserschutz ist nicht möglich – Wir brauchen vier Säulen einer nachhaltigen Hochwasservorsorge

UFZ-Experten zum Hochwasser 2013 (Stand: Juli 2013)
http://www.ufz.de/index.php?de=31670

Hochwasserkarten oft schwer verständlich (Pressemitteilung vom 27. Juli 2012):
https://www.ufz.de/index.php?de=30719

Ausgewählte Forschungsprojekte:

emBRACE - Building Resilience Amongst Communities in Europe
http://www.embrace-eu.org/

CapHaz-Net- Social Capacity Building for Natural Hazards
http://www.caphaz-net.org

RISK MAP (Flood Risk Maps)
http://risk-map.org/

Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg über 1.100 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit fast 36.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 18 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 3,8 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).