Pressemitteilung vom 4. August 2011

Nicht mehr wissenschaftliches, sondern politisch relevantes Wissen für Biodiversität erforderlich!

Offener Brief von Wissenschaftlern in SCIENCE erschienen

Washington. In einem offenen Brief an Science warnen 28 Wissenschaftler davor, den künftigen globalen Experten-Rat für Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen zu sehr an bereits bestehende Gremien wie dem Millennium Assessment oder dem Weltklimarat IPCC anzulehnen und auf rein wissenschaftliche Abschätzungen zu beschränken. Um tatsächlich Entscheidungen "an der Basis" zu erreichen und zu motivieren, könnten die bereits verfügbaren Modelle nicht einfach für den IPBES-Prozess (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) eins zu eins übernommen werden, schreiben die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazin SCIENCE. Die Erweiterung des wissenschaftlich fundierten Wissens zu den Prozessen, die die biologische Vielfalt weltweit bedrohen, sei zwar wichtig, aber die Ziele des künftigen Biodiversitätsrates sollte weiter gesetzt werden und vor allem Prozesse zum Aufbau von lokalen Kapazitäten stärken.

9. UN-Konferenz COP9 in Bonn 2008, Konferenzsaal

Der Erhalt der biologischen Vielfalt stand im Mittelpunkt der 9. UN-Konferenz COP9, die vom 19. bis zum 30. Mai 2008 in Bonn stattfand.
Foto: UFZ

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Die UN-Mitgliedsländer hatten sich im Juni 2010 im südkoreanischen Busan auf die Einrichtung eines neuen internationalen Wissenschaftlergremiums für Biodiversität geeinigt. Im Dezember hatte die UN-Generalversammlung der Gründung des Weltbiodiversitätsrats (IPBES) zugestimmt. Mit diesem zwischenstaatlichen UN-Ausschuss soll ein neues Gremium der wissenschaftlichen Politikberatung für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt ins Leben gerufen werden. Die konkrete Ausgestaltung ist genauso wie die Finanzierung und der Sitz des neuen Gremiums noch Gegenstand zwischenstaatlicher Verhandlungen. Um den Sitz des Sekretariates von IPBES bewirbt sich auch Deutschland, das Bonn vorgeschlagen hat, wo bereits verschiedenste UN-Organisationen vertreten sind.

Mit ihrem offenen Brief reagieren die Wissenschaftler auf einen Artikel, der im März in SCIENCE erschienen war und in dem vier Wissenschaftler Optionen für die Ausgestaltung eines neuen Gremiums diskutieren. Im Mai 2011 trafen sich international renommierte Experten aus Wissenschaft und Politik am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), um zu diskutieren, ob der Weltklimarat in der Tat als ein Vorbild für Politikberatung in anderen Bereichen wie Biodiversität und Ernährungssicherheit dienen kann und welche Alternativen bestehen (http://www.ufz.de/index.php?en=21365). Aus Sicht der Gruppe um Prof. Mike Hulme von der University of East Anglia/ Norwich ist es wichtig, Politikberatung nicht auf rein wissenschaftliche Analysen und Bewertungen zu beschränken, sondern auch lokales Wissen einzubeziehen, da sich Veränderungen in der Biodiversität oft zuerst lokal bemerkbar machen und es Jahre dauern kann, bis dieses Wissen in globale Berichte einfließt. "Um das Wissen von lokalen Gruppen und indigenen Völkern mit zu nutzen, reicht es nicht, ausschließlich ein neues Gremium zu schaffen, sondern es sollten das bereits vorhandene Wissen und bestehende Netzwerke aus Wissenschaft, Politik und Akteuren enger verknüpft werden", erläutert Prof. Christoph Görg vom UFZ. Und seine Kollegin Dr. Silke Beck, die den IPCC sozialwissenschaftlich untersucht hat, ergänzt: "Ein neuartiges, dezentrales Netzwerk kann nicht einfach die traditionellen wissenschaftlichen Verfahren übernehmen, sondern erfordert auch neue Formen der Abstimmung und Qualitätskontrolle, die stärker den Bedürfnissen seiner Adressaten Rechnung tragen, offen und transparent und damit auch glaubwürdiger sind."

Görg, Beck und andere UFZ-Wissenschaftler sprechen sich bereits seit mehreren Jahren für die Einrichtung eines neuartigen Gremiums aus, um Experten weltweit zu mobilisieren und Wissen zur Erhaltung der Biodiversität bereit zu stellen. Ein Treffen von 30 internationalen Experten im Oktober 2006 am Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung war hierfür ein wichtiger Beitrag, die zur Etablierung von IPBES geführt haben.
Tilo Arnhold

Publikation

Mike Hulme et al. (2011): IPBES - beyond science assessments. SCIENCE, www.sciencemag.org/content/current
C. Perrings et al. (2011): The Biodiversity and Ecosystem Services Science-Policy Interface. SCIENCE Vol. 331 no. 6021 pp. 1139-1140. DOI: 10.1126/science.1202400
www.sciencemag.org/content/331/6021/1139.summary

Weitere Informationen

Dr. Silke Beck, Prof. Christoph Görg, Dr. Axel Paulsch
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Telefon: 0341-235-1733, -1628, -1650
Dr. Silke Beck
Prof. Christoph Görg
Dr. Axel Paulsch

Tilo Arnhold
UFZ-Pressestelle
Tel.: 0341/235-1635
presse@ufz.de

Sebastian Tilch (NeFo-Pressestelle)
Telefon: 0341-235-1062
www.biodiversity.de/index.php/de/fuer-presse-medien/medienkontakt

Weiterführende Links

BMBF-Projekt: Nested Networks: Neue Formen der Governance der globalen Umweltforschung (NESNET)
www.ufz.de/index.php?de=19865

Offizielle IPBES-Webseite
http://ipbes.net

Hintergrundinfos zu IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services)
www.biodiversity.de/index.php/de/biodiversitaet/biodiversitaet-international/ipbes

Wie kann das internationale wissenschaftliche Beratungsgremium IPBES zur Rettung der biologischen Vielfalt beitragen? NeFo-Interview mit Prof. Christoph Görg
Interview lesen
www.biodiv-network.de/upload/papers/Veranstaltungen/Prsentation_Grg.pdf

Ergebnisse von Busan
www.unep.org/pdf/SMT_Agenda_Item_5-Busan_Outcome.pdf

Leipzig Workshop Recommendations for a Knowledge-Policy Interface for Biodiversity Governance
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Wissenschaftler fordern bessere Vernetzung (Pressemitteilung vom 11. Oktober 2006)
www.ufz.de/index.php?de=10436

Die biologische Vielfalt der Welt braucht eine bessere Lobby (Pressemitteilung vom 26. September 2006)
www.ufz.de/index.php?de=10382

Die Biodiversitätsforschung in Deutschland ist auf zahlreiche Institutionen wie Hochschulen, außeruniversitäre Einrichtungen und Ressortforschung bis hin zu Naturschutzverbänden und Firmen verteilt. Das Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung, ein Projekt im Rahmen von DIVERSITAS-Deutschland, möchte der Forschungscommunity deshalb eine gemeinsame institutionsunabhängige Kommunikationsstruktur und -kultur anbieten. Mehr dazu erfahren Sie unter:
www.biodiversity.de

Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg ungefähr 1.000 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit über 30.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 17 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 3 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).