Pressemitteilung vom 16. Oktober 2002

Biologische Invasionen - Herausforderungen für die Wissenschaft

Biologische Invasionen sind in den letzten Jahren zum Problem geworden - weltweit. Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen, die sich aufgrund menschlicher Mithilfe außerhalb ihrer Entstehungsgebiete ausbreiten, gelten als ein wesentlicher Gefährdungsfaktor der biologischen Vielfalt und als Verursacher von Kosten in Milliardenhöhe.
Hinsichtlich des Stellenwertes dieser Problematik in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch in der öffentlichen Wahrnehmung gibt es - bedingt durch die Diskrepanz zwischen arm und reich - erhebliche Unterschiede unter den einzelnen Ländern der Erde.

Unzählige Beispiele auf allen Kontinenten lassen sich finden, welche die Bedeutung biologischer Invasionen deutlich machen: die wirtschaftlichen Schäden der aus Osteuropa nach Nordamerika eingeschleppten gemeinen Zebramuschel werden auf mittlerweile 5 Milliarden Dollar beziffert - man berief eigens ein "National Invasive Species Council" ein, was sich mit den Folgen der Bioinvasionen auseinandersetzt; der in den Viktoriasee (Ostafrika) aus Effektivitätsgründen eingesetzte Nilbarsch hat mehr als hundert einheimische Fischarten ausgerottet und damit die biologische Vielfalt erheblich gemindert, mit ungeklärten Folgen für dieses Ökosystem; im südlichen Afrika belasten eingeführte Kiefern- und Akazien-Arten den bereits angespannten Wasserhalt und gefährden zudem die einzigartige Fynbos-Vegetation.

Dokumentiert werden solche und viele andere Fälle verstärkt seit Anfang der 1980er Jahre, als man die Brisanz dieses Themas erkannte. Die Anfänge invasionsbiologischer Forschung, auch in Deutschland, reichen jedoch weit in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. In der naturgeschichtlichen Tradition wurden und werden bis heute die Veränderungen der Floren und Faunen durch das Auftreten und die Ausbreitung neuer Arten sehr detailliert registriert.
Arbeiten über ökologische und ökonomische Konsequenzen von Invasionen sind dagegen deutlich seltener. Trotz einiger hervorragender Fallstudien fällt die summarische Einschätzung der Problemlage schwer oder ist weitgehend auf Hypothesen angewiesen. In Deutschland scheint bislang keine Art durch eine eingeführte Art ausgerottet worden zu sein. Ob dies jedoch auch für Unterarten oder Varietäten gilt, ist bereits fraglich. Sicher ist, dass auch in Deutschland Lebensgemeinschaften in ihrer Zusammensetzung und Struktur erheblich durch die Ausbreitung von Pflanzen und Tieren verändert worden sind. Andere ökosystemare Folgen sind wahrscheinlich, jedoch selbst bei auffälligen Arten noch nicht in Gänze verstanden.

Wissenschaftler aus 12 Nationen berieten in Halle

In der vergangenen Woche trafen sich etwa 100 Bioinvasions-Spezialisten aus 12 Nationen im Umweltforschungszentrum am Standort Halle, um die Herausforderungen der nächsten Jahre für die Wissenschaft in Bezug auf Ursachen und Auswirkungen biologischer Invasionen zu identifizieren.

Die Fachleute referierten die neuesten Erkenntnisse aus Biologie, Biogeografie, Genetik, Wirtschaftswissenschaften und von betroffenen Fachbehörden. Schwerpunkte waren:

  • Die Analyse biogeografischer Prozesse, die biologischen Invasionen zu Grunde liegen. Dazu gehören Fragen, ob sich Arten in ihren neuen Gebieten genauso verhalten, wie in den alten hinsichtlich der Ansprüche an Boden, Klima oder Parasiten.
  • Ökologische und evolutionäre Interaktionen: Es wurde aufgezeigt, dass es zu Veränderungen in der Evolution der Arten kommt, die wiederum Auswirkungen auf Wechselbeziehungen zwischen Tieren und Pflanzen haben können.
  • Marine Invasionen: Insbesondere durch den weltweiten Austausch von Ballastwasser (zur Stabilisierung der Schiffe) mit den darin enthaltenen Arten kommt es zu massivem Austausch von gebietsfremden Arten mit enormen wirtschaftlichen Schäden.
  • Ökonomische Auswirkungen und Herausforderungen für den Naturschutz. Nur durch die enge Zusammenarbeit von Natur- sowie Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern, können die wirtschaftlichen Auswirkungen abgeschätzt und effektive Maßnahmen erarbeitet werden, die durch Fachbehörden des Naturschutzes umgesetzt und ergänzt werden können.

Im Verlauf der Tagung wurde deutlich, dass Europa sowohl durch biologische Invasionen betroffen ist als auch europäische Arten in andere Kontinente ausgewandert sind. Durch die Zunahme von Verkehrs- und Warenströmen im Zuge der fortschreitenden Globalisierung der Märkte wird dieses Phänomen noch weiter zunehmen. Daher ist die wissenschaftliche Kooperation in Ergänzung zu lokalen und regionalen Initiativen notwendig um angemessene rechtliche Rahmenbedingungen zu diesem Problem abzuleiten. Nur durch die effektive Verknüpfung von Wissenschaft, Verwaltung und Öffentlichkeit wird es möglich sein, negative Auswirkungen biologischer Invasionen auf Gesundheit, Wirtschaft und Umwelt zu minimieren.

Organisiert wurde die Zusammenkunft von der deutschen Arbeitsgemeinschaft NEOBIOTA, die sich als Initiative für theoretische und angewandte Forschung und als Kompetenzzentrum für invasionsbiologische Fragen und damit auch als eine Beratungsstelle für Politik und Gesellschaft versteht. Der Bezugsraum der Arbeitsgemeinschaft NEOBIOTA ist im Kern Mitteleuropa, wobei die internationalen Bezüge angesichts der weltweit organisierten invasionsbiologischen Forschung und Praxis unverzichtbar sind (nähere Informationen unter www.tu-berlin.de/~neobiota).

Fachlicher Ansprechpartner im UFZ:

Dr. Stefan Klotz,
Sektion Biozönoseforschung,
Telefon: 0345/5585-301,
klotz@halle.ufz.de