Standpunkt vom 2. März 2010

Energetische Verwendung von Biomasse nur mit Augenmaß vorantreiben*

von Dr. Grit Ludwig

Die energetische Nutzung von Biomasse gilt als Hoffnungsträger zur Erreichung der Klimaschutzziele sowohl Deutschlands als auch der Europäischen Union. Bioenergie soll gleichzeitig einen Beitrag zur Sicherung der Energieversorgung leisten. Doch der Ausbau der Biomasseproduktion ist umstritten, vor allem, weil er Konflikte mit dem Natur- und Umweltschutz hervorruft und die Nahrungsmittelpreise zu erhöhen droht. Die kontroversen Diskussionen, die um die Bioenergie geführt werden, spiegeln sich auch in den jüngsten Aktivitäten des europäischen und des bundesdeutschen Gesetzgebers wider. So wurden Ausbauziele festgelegt und teils wieder reduziert, Förderregelungen zur Erreichung der Ziele überarbeitet und mit Nachhaltigkeitsanforderungen flankierende Maßnahmen geschaffen.

Als bedeutendster neuer Rechtsakt auf europäischer Ebene ist zunächst die Erneuerbare-Energien-Richtlinie vom 23. April 2009 zu nennen. Diese verankert erstmals einen verbindlichen Zielwert für den Anteil erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch in der EU, und zwar von 20% bis zum Jahr 2020. Im Verkehrssektor schreibt die Richtlinie einen für jeden Mitgliedstaat bindenden Anteil erneuerbarer Energien von 10% bis zum Jahr 2020 vor. Deutschland hatte sich im August 2007 in den so genannten Meseberger Beschlüssen ebenso ambitionierte Ziele gesetzt. Bei der Erreichung dieser Zielwerte kommt der Bioenergie eine bedeutende Rolle zu, denn diese ist mit den bereits zur Verfügung stehenden Technologien realisierbar und ist in vielen Anwendungen einsatzfähig. Allerdings reicht das heimische Angebot an nachwachsenden Rohstoffen nicht aus, um die Quoten zu erfüllen. Zudem sind Importe aus tropischen Ländern billiger. Beides führt dazu, dass der Bedarf in Deutschland und Europa zu einem großen Teil aus Ländern des Südens, in denen niedrigere Umwelt- und Sozialstandards gelten, gedeckt wird. In den letzten Jahren ist vor allem die Verwendung von Palmöl aus Indonesien und Malaysia zur Stromerzeugung in die öffentliche Kritik geraten, für dessen Gewinnung wertvolle tropische Naturwälder zerstört wurden.

Zur Umsetzung der deutschen Zielquoten hat der Bundesgesetzgeber mit Wirkung zum 1. Januar 2009 das Erneuerbare-Energien-Gesetz neu gefasst und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz verabschiedet. Biokraftstoffe - als neben Stromerzeugung und Wärmebereitstellung dritter Nutzungspfad von Biomasse – werden bereits seit Beginn des Jahres 2007 durch die Beimischungsquote nach § 37a Bundesimmissionsschutzgesetz gefördert. Letztere wurde allerdings - unter anderem als Reaktion auf die Kritik in der Öffentlichkeit wegen der Auswirkungen auf Umwelt und soziale Rechte - nach langen politischen Kontroversen mit Gesetz vom 15. Juli 2009 von 6,25% auf 5,25% im Jahr 2009 gesenkt und bei 6,25% für die Jahre 2010 bis 2014 eingefroren.

Die EU reagierte auf die öffentliche Diskussion mit der Verabschiedung von Nachhaltigkeitskriterien. Diese betreffen zunächst nur die Arten von Biomasse, die die drängendsten Konflikte auslösen, nämlich Biokraftstoffe und flüssige Biobrennstoffe. Die Nachhaltigkeitsanforderungen sind in Art. 17 bis 19 der Erneuerbare-Energien-Richtlinie verankert und gelten sowohl für in der EU bereitgestellte als auch für aus Drittstaaten importierte Biomasse. Sie beziehen sich im Wesentlichen auf die Einsparung von Treibhausgasemissionen, den Schutz von Flächen mit anerkanntem hohen Wert hinsichtlich der biologischen Vielfalt sowie den Schutz von Flächen mit hohem Kohlenstoffbestand. Auf Initiative des Europäischen Parlaments wurden darüber hinaus in Art. 17 Abs. 7 Erneuerbare-Energien-Richtlinie Berichtspflichten der Kommission hinsichtlich weiterer Umweltauswirkungen und der Beeinträchtigung sozialer Rechte eingefügt. Bereits knapp vier Monate nach der Veröffentlichung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie, hat die Bundesregierung deren Art. 17 bis 19 mit der Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung und der Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung umgesetzt. Letztere gilt auch für den Einsatz von Biomasse zur Wärmebereitstellung nach dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz. Die Einhaltung der Nachhaltigkeitskriterien soll durch Zertifizierung sichergestellt werden.

Auch für die Zukunft ist eine dynamische Entwicklung des Rechts betreffend die energetische Nutzung von Biomasse zu erwarten. Beispielsweise verpflichtet Art. 17 Abs. 9 Erneuerbare-Energien-Richtlinie die EU, über Anforderungen an ein Nachhaltigkeitskonzept für die energetische Nutzung fester und gasförmiger Biomasse zu berichten. Außerdem arbeitet die EU nur kurze Zeit nach der Verabschiedung der Nachhaltigkeitskriterien der Erneuerbare-Energien-Richtlinie bereits an deren Verbesserung. Nach Art. 19 Abs. 6 Erneuerbare-Energien-Richtlinie muss die Kommission dem Rat bis zum 31.12.2010 einen Bericht vorlegen, in dem sie die Auswirkungen so genannter indirekter Landnutzungsänderungen auf die Treibhausgasemissionen prüft und Möglichkeiten untersucht, diese zu verringern. Die verabschiedeten Kriterien erfassen direkte Flächennutzungsänderungen, d.h. die Umwandlung ökologisch wertvoller Bereiche in landwirtschaftliche Flächen zur Produktion von Energiepflanzen. Sie bieten dagegen keine Handhabe, wenn das Land, auf dem die Biomasseproduktion stattfindet, vorher in anderer Weise genutzt wurde und die ursprüngliche Nutzung auf eine bisher nicht landwirtschaftlich genutzte Fläche ausweichen muss. Bisher konnte für die Einbeziehung indirekter Flächennutzungsänderungen in die Nachhaltigkeitsanforderungen der Erneuerbare-Energien-Richtlinie noch keine zufrieden stellende Methodik gefunden werden.

Abgesehen von dem Problem der indirekten Landnutzungsänderungen decken die bisher vorliegenden Kriterien auch andere Nachhaltigkeitsaspekte nicht vollständig ab. Dies betrifft vor allem soziale Gesichtspunkte, Anforderungen an die landwirtschaftliche Produktion außerhalb der EU sowie steigende Nahrungsmittelpreise. Bei den beiden ersten Punkten ist eine Integration in eine Kriterienliste zumindest teilweise denkbar, nicht jedoch bezüglich der Gefahr steigender Nahrungsmittelpreise.

Neben diesen Defiziten der Unvollständigkeit der Kriterienliste und der Nichterfassbarkeit von Konflikten sind auch Vollzugsprobleme zu erwarten. Zertifizierungssysteme sollen es ermöglichen, Umweltstandards für in der EU verwendete Biomasse auch in Staaten außerhalb der EU durchzusetzen. Mit der Zertifizierung werden private Organisationen beauftragt, die sich in der Regel nicht vor Ort befinden und denen Kontrollen daher nur sporadisch möglich sind. Fraglich ist z.B., wie ein Gutachter durch einen nur wenige Tage umfassenden Besuch bei einem – bis zu mehrere zehntausend Hektar umfassenden - landwirtschaftlichen Betrieb in einem Entwicklungsland die Einhaltung der Kriterien überprüfen soll.

Bis ein konsistenter und wirksamer Ordnungsrahmen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene geschaffen ist, sollten europäischer und nationaler Gesetzgeber bei der Förderung der energetischen Verwendung von Biomasse mit Augenmaß vorgehen. Die Biomasseproduktion hängt von der Verfügbarkeit von Boden und Wasser ab, sie ist daher an begrenzte Ressourcen gebunden. Auf diese kommen mit der Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung einer wachsenden Weltbevölkerung - wobei auch die Nachfrage nach ressourcenintensiv produziertem Fleisch steigt – und mit der zunehmenden stofflichen Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen durch die Industrie weitere Herausforderungen zu. Die Biomassepolitik sollte daher daraufhin überprüft werden, die Chancen, die Bioenergie für den Klimaschutz bietet, besser zu nutzen. Die Förderlandschaft für Energie aus Biomasse sollte überprüft werden: Bisher wird Bioenergie getrennt nach Nutzungspfaden gefördert, was die Suche nach kostengünstigen Verwendungen mit möglichst hoher Treibhausgasminderung behindert. Priorität sollte zunächst der Verwertung von Abfall- und Reststoffen zukommen. Außerdem bringt – wie Studien belegen - die Verwendung zur Wärmeerzeugung und zur Stromproduktion einen wesentlich größeren Nutzen für das Klima als der Einsatz als Biokraftstoff. Forschungsgelder sollten verstärkt in Studien gelenkt werden, die Umwelt- und soziale Auswirkungen der Biomasseproduktion untersuchen. Insgesamt sollten Politik und Gesellschaft vermehrte Anstrengungen nicht nur im Hinblick auf die Klimaschutzstrategie der Substitution fossiler durch eneuerbare Energien unternehmen. Ein größeres Augenmerk sollten sie auch auf Effizienzgesichtspunkte und vor allem auf Fragen der Suffizienz richten.

*Die Autorin ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Department Umwelt- und Planungsrecht des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung – UFZ, Leipzig. Der Beitrag ist eine gekürzte Fassung eines Artikels, der im Dezember 2009 in der Zeitschrift Natur und Recht (NuR), S. 831 veröffentlicht wurde. Zum Thema Bioenergie vgl. auch den Aufsatz der Autorin "Nachhaltigkeitsanforderungen beim Anbau nachwachsender Rohstoffe im europäischen Recht", in der Zeitschrift für Umweltrecht (ZUR) 2009, S. 317.